Books I've Read: Helen Macdonald - H Is for Hawk





Wir lesen Bücher aus den verschiedensten Gründen; was mich an H Is for Hawk besonders interessiert hat, ist die Frage, wie man den Tod seines Vaters übersteht. In ihrem autobiographischen Sachbuch schildert Helen Macdonald eine ganz spezielle Form der Trauerbewältigung: Die Abrichtung eines Habichts. Die Wissenschaftlerin und Schriftstellerin hat seit ihrer Kindheit eine Passion für Raubvögel. Als kleines Mädchen liest sie alle Standardwerke zur Falknerei und versucht sogar, mit ihren Händen hinter dem Rücken zu schlafen, wie es ein Raubvogel tun würde. Als Falknerin hat sie bereits langjährige Erfahrung, aber als ihr Vater stirbt und sie in ein tiefes Loch fällt, beschließt sie, erstmals einen Habicht zu trainieren, der als der wildeste und unberechenbarste Raubvogel von allen gilt.

In H Is for Hawk beschreibt Macdonald aber nicht nur ihren Trauerprozess und die Abrichtung des Habichts, sie verwebt ihre eigene Geschichte auch mit der Biographie T.H. Whites. Der englische Schriftsteller ist heute vor allem durch seine König-Artus-Romane bekannt (die auch als Vorlage für den Disneyfilm Die Hexe und der Zauberer dienten), aber in den 1930ern schrieb er ein Buch namens The Goshawk, in dem er die Abrichtung eines Habichts, genannt Gos, beschreibt. White ist eine ziemlich tragische Figur: Er wuchs in Indien in einem zerrütteten Elternhaus auf, bevor er als Jugendlicher nach England kam und zunächst ein trostloses Lehrerdasein fristete. Außerdem war White homosexuell mit Hang zum Sado-Masochismus, versuchte aber, die Neigung zu unterdrücken. Die Abrichtung seines Habichts wird zu einem ziemlichen Desaster. Der Vogel hat für White eine nahezu mythische Bedeutung, aber er versteht die Bedürfnisse des Tieres nicht und scheitert schließlich damit, es zu zähmen.

Ganz anders Macdonald: Ihr Habicht-Weibchen, das sie Mabel nennt, entpuppt sich als relativ umgänglich - was natürlich nichts daran ändert, dass es sich um ein wildes Tier handelt. Zunächst sperrt Macdonald sich und Mabel in ihrem dunklen Haus ein, damit sich der Habicht an sie gewöhnen kann. Nach einer Weile fliegt Mabel auf ihre Hand; die beiden wagen sich nach draußen, um sich an Menschen zu gewöhnen (nicht nur Mabel, auch Macdonald muss dies wieder lernen) und schließlich geht sie mit ihrem Vogel auch zur Jagd. Macdonalds Beschreibungen des Habichts und ihrer Ausflüge in die Natur sind umwerfend schön und poetisch, aber die Natur wird nie romantisiert. So beschreibt sie detailliert, wie Mabel Kaninchen und Fasane fängt, und wie Macdonald ihr dabei hilft, in dem sie den Kaninchen das Genick bricht und den Vogel dabei unterstützt, seine Opfer auseinander zu nehmen. Hin und wieder attackiert Mabel sogar ihre Trainerin.

Macdonalds tiefe Trauer, die sich zur Depression ausweitet, sorgt dafür, dass sie eine außergewöhnliche, um nicht zu sagen ungesunde Beziehung zu dem Vogel entwickelt. Ihr Selbstbewusstsein steht und fällt mit ihren Erfolgen als austringer. Aber das nicht alles: Macdonald nähert sich ihrem Habicht immer mehr an, auch weil sie es so will. "Der Habicht war alles, was ich sein wollte", sagt sie an einer Stelle. Sie zieht sich von den Menschen zurück und lebt nur noch für ihr Tier und die Jagd, als könne sie so ihrer Trauer davon fliegen. Erst eine Gedenkfeier zum Tode ihres Vaters hilft ihr dabei, sich wieder als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Die intensive Beziehung zu Mabel hat aber auch ihr Gutes: Der Habicht verwundet sie nicht nur, er hilft auch dabei, Wunden zu heilen.

H Is for Hawk ist ein Buch wie kein anderes. Es ist eine Autobiographie, eine Biographie, eine Abhandlung über die Abrichtung von Raubvögeln. Macdonald verfügt dabei über eine Sprachgewalt, die ihresgleichen sucht. Dass die Falknerei ihr ganz eigenes Vokabular hat, trägt sicher zur Besonderheit des Buches bei, aber auch Macdonalds Schilderungen der Jagd, oder ihre Ausführungen zu White, sind voller Poesie, Einsicht und Erstaunen - und so lebendig: Es ist fast so, als ob wir bei der Jagd mit dabei wären, als ob Mabel auf unserer Faust sitzen würde. Auch habe ich bisher nur wenige Bücher gelesen, in denen die Trauererfahrung so pointiert, so real und gleichzeit so lyrisch beschrieben wird. Darin liegt ein großer Trost.

Fazit: Ein in jeder Hinsicht einzigartiges Buch.

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