Bob Dylan und der Nobelpreis

Ihr habt es wahrscheinlich schon gehört: Bob Dylan erhält in diesem Jahr den Literaturnobelpreis. Für mich war das eine faustdicke Überraschung. Natürlich, His Bobness ist schon lange als Preisträger im Gespräch. In der zwölften Klasse (2002 oder so) habe ich mal in einem Referat erwähnt, dass Dylan schon länger als Preisträger im Gespräch ist - nur dass man eine Vorstellung davon bekommt, wie lange er schon als Preisträger gehandelt wird. Tatsächlich habe ich nicht mehr daran geglaubt, dass Bob Dylan jemals den Literaturnobelpreis erhält. In den letzten Jahren war er, anders als Philip Roth und Haruki Murakami, auch nicht mehr unter den Top-Favoriten.

Nun hat er ihn also doch noch gekriegt. Nicht nur im Komitee selbst, das die Verkündung kurzfristig um eine Woche verschoben hat, sondern auch in der Öffentlichkeit ist die Entscheidung umstritten. Viele sind empört, dass es wieder nicht Roth oder Murakami geworden ist und noch mehr finden, dass Songtexte keine Literatur sind. Ich persönlich habe mich einfach gefreut - zum einen, dass ich den diesjährigen Preisträger ausnahmsweise kenne und zum anderen, dass es jemand geworden ist, der mir sehr viel bedeutet. Aber nicht nur das: Meiner Meinung nach hat Bob Dylan den Literaturnobelpreis wirklich verdient.

Kennengelernt habe ich Bob Dylan fast auf den Tag genau vor 16 Jahren. Seinen Namen kannte ich natürlich schon vorher, aber mit seiner Musik war ich nicht vertraut. Dann sah ich im Kino Wonder Boys, für den er den Song "Things Have Changed" geschrieben hat. Ich will ehrlich sein: Als ich ihn zum ersten Mal gehört habe, war ich nicht begeistert. Seine Stimme kratzte in meinen Ohren. Aber weil ich Wonder Boys so sehr mochte, interessierte mich, was dieser alte Mann mit seiner schnodderigen Art dazu zu sagen hat. Also hörte ich mir den Text genau an - und meine Welt veränderte sich für immer. Niemals zuvor hatte ich so etwas Geniales gehört. Dylan war es wirklich gelungen, in wenigen Strophen das Wesen von Grady Tripp (dem Protagonisten von Wonder Boys) zu erfassen. Den Selbsthass, die Angst, die Verlorenheit - als das hatte er in ein paar Versen eingefangen. Bob Dylan hat mit einem Song meinen Musikgeschmack für immer verändert. Nach "Things Have Changed" habe ich alles, was ich bis dato gehört habe, nicht mehr angerührt, da es mir im Vergleich einfach furchtbar schlecht erschien (mit Ausnahme von Aimee Mann). Kurz darauf sah ich im Fernsehen das Musikvideo von "Subterranean Homesick Blues" und seine Worte fegten über mich hinweg wie eine Lawine. Kurz gesagt: Es waren die Worte, die mich zu einem Dylan-Fan gemacht haben. Je mehr ich von ihm hörte, desto mehr liebte ich auch seine Musik. Inzwischen kratzt seine Stimme nicht mehr, ich finde sogar, dass er ein ausgesprochen ausdrucksstarker Sänger ist.

Seine ganze Karriere über hat Dylan polarisiert, von daher sollte es keine Überraschung sein, dass auch die Vergabe des Literaturnobelpreises an ihn die Geister scheidet. Die Kritikpunkte kann ich allerdings nur bedingt nachvollziehen. Erstens: Philip Roth oder Haruki Murakami oder [beliebigen Autor einsetzen] hätten den Preis bekommen sollen. Sicher. Es gibt viele Autoren, die diesen Preis verdient hätten. Zu viele. Da er nur einmal im Jahr verliehen wird, wird es immer Schriftsteller geben, die leer ausgehen. Dass Dannie Abse ihn nie bekommen hat, finde ich immer noch äußerst bedauerlich. Das schmälert aber nicht den Wert ihres Werkes. Und wer weiß - vielleicht werden Roth oder Murakami ja auch noch ausgezeichnet. Bei Dylan hat es wie gesagt ja auch eine Weile gedauert.

Zweitens: Songtexte sind keine Literatur. Dieses Argument tut mir in der Seele weh. Wie kann man allen Ernstes behaupten, dass Lyrics keine Lyrik sind? Poesie und Musik waren schon immer eng miteinander verbunden. Gerade in Zeiten, als viele Menschen noch nicht Lesen und Schreiben konnten, wurden lyrische Texte mit Musik überliefert. Das Wort Lyrik geht auf das Instrument Lyra zurück. In manchen Sprachen wie dem Hebräischen und dem Jiddischen gibt es nur ein Wort für Lied und Gedicht. In beiden Gattungen spricht man von Rhythmus, Ton oder Strophe. Wenn ich mir Dylans Worte ohne die Musik anschaue, dann verstehe ich nicht, warum sie nicht genau so gut oder schlecht sein sollten wie ein reines Gedicht.

Drittens: Wenn man schon Songwriter auszeichnet, dann Leonard Cohen oder Tom Waits oder [beliebigen Songwriter einsetzen]. Ich liebe Leonard Cohen und Tom Waits und hätte mich ebenso gefreut, wenn sie den Preis gewonnen hätten. Dennoch denke ich, dass wenn man einen Songwriter auszeichnet, Bob Dylan die logische erste Wahl ist. Mir fällt kein Musiker aus den letzten 50 Jahren ein, der das Songwriting so revolutioniert und so viele Komponisten beeinflusst hat wie Bob Dylan. Dylan hat den Popsong endgültig zur Kunstform erhoben und hochwertige Lyrics massentauglich gemacht. Eine Hit-Single wie "Like a Rolling Stone", gut sechs Minuten voll gepackt mit Worten, wäre vor Bob Dylan undenkbar gewesen. Damit ist Dylan zum Vorbild für unzählige weitere Songschreiber geworden. Springsteen oder Neil Young wären ohne ihn kaum vorstellbar, ebenso Jeff Tweedy oder Ryan Adams, oder, noch jünger, Tyler Lyle oder Joe Pug (um jetzt nur einige meiner Lieblingsmusiker zu nennen). Ich bin nicht mal sicher, dass Leonard Cohen oder Tom Waits ohne Bob Dylan heute so berühmt wären, wie sie es sind, einfach weil Bob Dylan gezeigt hat, dass man kein klassischer Sänger sein muss, um ein großartiger Musiker zu sein.

Gerade dieser Einfluss ist es, der meiner Meinung nach die Vergabe an Bob Dylan rechtfertigt. Es mag viele Schriftsteller und Songschreiber geben, deren Werk eine genauso hohe Qualität aufweist, aber nur wenige habe die literarische Landschaft derart geprägt wie Bob Dylan. Und nur wenige haben so ein nachhaltiges Werk. Songs wie "Like a Rolling Stone" oder "The Times They are a-Changin'" haben auch nach 50 Jahren und mehr nichts von ihrer Strahlkraft verloren und ich bin zuversichtlich, dass sie auch künftige Generationen inspirieren werden. Es ist auch nicht so, dass Bob Dylan jemand wäre, der nur in den Sechzigern groß war - auch heute noch setzt His Bobness Maßstäbe.

Ich bin gespannt, was Bob Dylan selbst zur Preisvergabe sagt - oder ob er überhaupt irgendetwas sagt. Wahrscheinlich wird es ihn lange nicht so kümmern wie all jene, die sich jetzt darüber freuen oder sich darüber ärgern. Only a fool in here would think he's got anything to prove.

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