Books I've Read: Heinz Strunk - Der goldene Handschuh

Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich ein Buch kurz nach seinem Erscheinen gelesen habe, ein deutschsprachiges noch dazu, aber als ich Heinz Strunk bei Druckfrisch sah und er über sein jüngstes Buch Der goldene Handschuh sprach, da war ich sofort fasziniert. Ein Protagonist aus dem untersten sozialen Milieu, der in der Großstadt versucht zu überleben, das hat mich ein wenig an Berlin Alexanderplatz erinnert. Aber auch wenn es die eine oder andere Parallele gibt: Der goldene Handschuh ist eine völlig andere Geschichte, und eine wahre noch dazu. Strunks Protagonist ist niemand anderes als Fritz Honka, der in der Siebzigerjahren vier Frauen ermordete und die zerstückelten Leichen in seiner Wohnung aufbewahrte, bis sie zufällig bei einem Brand entdeckt wurden.

Der Titel Der goldene Handschuh bezieht sich auf die Reeperbahn-Kneipe "Zum goldenen Handschuh", die heute noch geradezu selbstbewusst die Bezeichnung "Honka-Stube" über der Tür trägt. In besagter Kneipe - die 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche geöffnet hat - trifft sich der Bodensatz der Hamburger Gesellschaft, die allerunterste Unterschicht. Eine der ersten Figuren, die Strunk erwähnt, ist Leiche - seinen Spitznamen hat er bekommen, weil er auf dem Barhocker hängt als ob ihn längst das Zeitliche gesegnet hat. Hier vegetieren die Leute vor sich hin, die kein Leben mehr haben und ihr erbärmliches Dasein damit fristen, literweise Fako (Fanta-Korn, allein das sagt schon einiges aus) in sich hineinzuschütten. Honka, ein gebürtiger Leipziger, ist überglücklich, als er den Spitznamen Fiete bekommt, denn dies bedeutet, dass er ein Handschuh-Stammgast ist, dass er dazu gehört.

Wer hier einen Krimi erwartet, wird enttäuscht werden. Als wir Honka zum ersten Mal begegnen, hat er schon einen Frau ermordet, worauf Strunk allerdings nicht wirklich eingeht. Bis er die nächste Frau, allesamt schwer alkoholkranke Prostituierte ohne festen Wohnsitz, tötet, ist das Buch schon fast zu Ende. Der goldene Handschuh ist ein Psychogramm, ein Einblick in die Seele eines Monsters. Doch trotz seiner abscheulichen Taten gelingt es Strunk, dass man bis zu einem gewissen Grad so etwas wie Sympathie für Honka entwickelt. Honka war, was Strunk nicht erwähnt, als Kind im KZ, wie auch sein kommunistischer Vater, der kurz nach Kriegsende starb. Dafür erzählt Strunk in schmerzhafter Deutlichkeit, wie Honka als Knecht auf einem Bauernhof fast zu Tode gefoltert und wie er nur wenig später vergewaltigt wird. Geradezu herzzereißend ist es, als Honka in einer Periode der Vernunft versucht, ein ganz normales Leben zu führen: Mit einem geregelten Job als Nachtwächter, mit weniger Alkohol und mit Ausflügen am Wochenende. Natürlich muss er dabei scheitern: Er verfällt wieder in alte Muster und setzt eine nicht mehr endende Abwärtsspirale in Gang.

Daneben erzählt Strunk von der (fiktiven) Hamburger Reedersfamilie von Dohren. Die ältesten Söhne heißen alle Wilhelm Heinrich, sodass der Autor sie bloß WH1, WH2 und WH3 nennt. WH1 hat sich währen der Nazi-Zeit maßlos an jüdischem Eigentum vergriffen und ist nun voller Hass, weil er nach Kriegsende dafür geächtet wurde. Sein Sohn WH2 führt die Reederei, wenn auch eher aus Gewohnheit denn aus Leidenschaft. Sein Sohn WH3 kam mit einem Gendefekt zu Welt und ist der Außenseiter an seiner Schule. Und dann ist da noch WH2s Schwager Karl von Lützow, ein seelenloser Anwalt, der wie WH2 und WH3 im Handschuh landet. Hier zeigt Strunk, dass Ober- und Unterschicht sich gar nicht so fern sind: Wie Honka trinkt Karl bis zur Besinnungslosigkeit, wie für Honka sind Frauen für Karl und WH3 nur Mittel zum Zweck, um ihre Dauergeilheit vorübergehend in den Griff zu bekommen.

Der goldene Handschuh ist kein Buch für Zartbesaitete. Es ist brutal, es ist gruselig und es ist abstoßend. Manchmal frage ich mich, wie ich es überhaupt geschafft habe, es durchzulesen, weil es nahezu unerträglich ist. So bringt Honka eines Tages Gerda mit nach Hause, wie alle seine Sexualpartnerinnen, eine alte, abgewrackte Alkoholikerin, die versucht, irgendwie bis zur Rente durchzuhalten, damit ihr der Staat eine warme Wohnung und regelmäßige Mahlzeiten finanziert. Honka sperrt sie ein, macht sie zu seiner Sklavin, vergewaltigt sie mit einer Bockwurst - die dann auch noch durchbricht, sodass er Stunden später die Fleischreste mühselig aus ihrer Vagina pulen muss. Das ist keine besonders schaurige Stelle, das ganze Buch wimmelt vor solchen Geschehnissen. Nicht umsonst ist einer der zentralen Sätze Ein Elend alles.

Strunks Buch ist jedoch nicht nur das brillante Portrait eines Serienmörders, es ist auch eine gelungene Sozialstudie. Es schafftt es, die spezielle Klientel des Handschuh lebendig werden zu lassen und vor allem ihre Sprache zu sprechen. Besonders beeindruckend dabei ist, dass Der goldene Handschuh - obwohl die ganze Pisse, Scheiße und Kotze beinahe von der Seite trieft - geradezu poetisch geschrieben ist. Derbe und ekelerregend, aber poetisch. Und trotz all seiner Brutalität witzig und originell und geistreich. Was Döblin für die Hauptstadt mit Berlin Alexanderplatz erreicht hat, gelingt Strunk für Hamburg mit Der goldene Handschuh: Ein Einblick in die dunkelsten Ecken einer Stadt, die einem in der Realität glücklicherweise verborgen bleiben.

Fazit: Ein Geniestreich.

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