2016: The Year in Review

2016 ist ein Jahr, auf das ich eigentlich gar nicht zurückschauen möchte, weil es für mich persönlich das schlimmste Jahr überhaupt war. So ziemlich das Einzige, an das ich mich gerne erinnere, sind diverse Alben, Bücher, Fernsehserien und Filme, die mir zumindest vorübergehend Freude bereitet haben. Auch wenn ich in diesem Jahr so wenig "konsumiert" habe wie noch nie, möchte ich doch meine Lieblinge vorstellen. Fangen wir an mit der obligatorischen Liste der liebsten Alben:

10. Richmond Fontaine - You Can't Go Back If There's Nothing To Go Back To




2016 war das Jahr, in dem wir Abschied von Richmond Fontaine nehmen mussten. Ihr letztes Album ist eine Höhepunkt in ihrer 22-jährigen Bandgeschichte: überwiegend ruhige, weite, sanfte Americana-Songs und dazu Willy Vlautins Geschichten von einfachen Menschen, Abschieden und täglichen Kämpfen. Richmond Fontaine haben ihren Hut genommen, aber an dieses Album wird man sich immer gerne erinnern.

Lieblingslieder: Wake Up Ray, I Got off the Bus, Don't Skip Out on Me



9. Lucinda Williams - The Ghosts of Highway 20




Auf ihrem Doppelalbum setzt Lucinda Williams sich mit dem Tod ihres Vaters Miller auseinander, dessen Gedicht "Dust" sie gleich zu Anfang vertont. Die Lieder sind raue, staubige, reduzierte Meditationen über die Liebe und das Leben, das Sterben und den Tod. Das Cover von Springsteens "Factory" fügt sich nahtlos in Williams' eigene Lieder ein, überhaupt erinnert Ghosts häufig an Nebraska: So trübe, und doch so reichhaltig.

Lieblingslieder: Dust, Doors of Heaven, Close the Door on Love



8. Sturgill Simpson - A Sailor's Guide to Earth




Mit Metamodern Sounds in Country Music hat Sturgill Simpson einen Klassiker des Genres geschaffen. Auf dem Nachfolger stellt er sich breiter auf: Rock und Country treffen hier auf Soul und R'n'B. Inspiriert von seiner Vaterschaft und unterstützt von den Dap-Kings versammelt Simpson Songs voll großer Gesten. Ein Nirvana-Cover gibt es obendrauf.

Lieblingslieder: Welcome to Earth (Pollywog), Sea Stories, Call to Arms



7. Thao & The Get Down Stay Down - A Man Alive




A Man Alive ist ein Elektropoprock-Feuerwerk sondergleichen: Mal völlig chaotisch, mal straightforward, mal dezent. In ihren Texten setzt sich Thao Nguyen mit ihrem Vater auseinander, der die Familie früh verlassen hat, und mit ihrer Wut und ihrer Trauer. Ein starkes Album einer starken Künstlerin.

Lieblingslieder: Astonished Man, Slash/Burn, Billionaire



6. Leonard Cohen - You Want It Darker




Von all den großartigen Musikern, die in diesem Jahr verstorben sind, hat mich kein Tod mehr getroffen als der von Leonard Cohen. Dabei macht Cohen auf You Want It Darker überdeutlich, dass seine Zeit abläuft - nicht ohne seinen typischen trockenen Humor. Ein düsteres, würdevolles, in jeder Hinsicht phänomenales Album, das wie kein anderes in Cohens generell hervorragendem Spätwerk vor Augen führt, warum er einer der größten Künstler unserer Zeit war.

Lieblingslieder: On the Level, Leaving the Table, Steer Your Way



5. Hiss Golden Messenger - Heart Like a Levee




Es gibt viel trauriges Zeug auf dieser Liste, die Ausnahme ist Heart Like a Levee von Hiss Golden Messenger. Musikalisch stellen Levee und das Zusatzalbum Vestapol zwar keine große Weiterentwicklung dar, aber die Songs sind so erhebend und so wunderschön, dass man sie einfach lieben muss. Ein Werk, das sich nahtlos an die erstklassigen Vorgänger Haw und Lateness of Dancers anschließt.

Lieblingslieder: Biloxi, Heart Like a Levee, Highland Grace



4. William Tyler - Modern Country




Als Lyrics-Fanatiker hätte ich es kaum für möglich gehalten, dass mich ein Instrumentalalbum so begeistern kann. Das liegt sicher daran, dass es Modern Country an nichts fehlt. In weitläufigen, musikalischen Landschaften zeichnet Ausnahmegitarrist William Tyler das Bild des untergehenden, alten Amerikas. Der schönste Abgesang des Jahres.

Lieblingslieder: I'm Gonna Live Forever (If It Kills Me), Gone Clear, The Great Unwind



3. Andrew Bird - Are You Serious




Are You Serious ist nicht gerade Andrew Birds experimentellstes Album, was vielleicht ein Grund dafür ist, warum es von der Kritik so unterschätzt wird. Zwar präsentiert sich Bird musikalisch relativ eingängig (aber keineswegs unoriginell), die Texte sind jedoch die wahre Leistung. Ich kenne kein Album, in dem die lebensbedrohliche Erkrankung eines geliebten Menschen so treffend eingefangen wird wie in Are You Serious. Es gibt auch kein Album, das mir so durch das Jahr geholfen hat wie dieses und allein dafür werde ich Andrew Bird immer dankbar sein.

Lieblingslieder: Puma (Lieblingslied des Jahres), The New Saint Jude, Valleys of the Young



2. Margo Price - Midwest Farmer's Daughter




Margo Price ist nicht nur meine liebste Neuentdeckung des Jahres, sie ist ein weiterer Beweis dafür, dass es um die Countrymusik nicht so schlecht steht, wie gemeinhin kolportiert wird. Midwest Farmer's Daughter ist ein traditionelles Album, das das Zeug zum Klassiker hat. Price ist nur eine begnadete Sängerin, ihre Lieder über Armut, Gewalt und Alkoholismus sind von einer Authentizität, die ihresgleichen sucht.

Lieblingslieder: Hands of Time, Tennessee Song, Hurtin' (On the Bottle)



1. Drive-by Truckers - American Band




American Band ist, rein musikalisch betrachtet, sicher nicht das beste oder aufregendste Album des Jahres. Aber es ist mit Sicherheit das aktuellste Album des Jahres. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist ein Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte und die Drive-by Truckers haben diesen Umbruch perfekt eingefangen. Das Quintett zeichnet das Bild einer zerrissenen Gesellschaft in der Rassismus und Waffengewalt allgegenwärtig ist. American Band ist voller Wut und Trauer, aber auch voller Liebe und Menschlichkeit. Unterlegt von geradlinigem Rock und ruhigem Folk erzählen die Songwriter Patterson Hood und Mike Cooley Geschichten von Menschen, die im von Aggressivität geprägten, öffentlichen Diskurs keine Stimme haben: die Gewaltopfer, die Hoffnungslosen und überhaupt all diejenigen, die einfach nur in Ruhe und Frieden leben möchten. Ich wünsche mir, dass American Band 2016 weit überdauert, dass es immer wieder gespielt wird, wenn Donald Trump im Januar zum Präsidenten ernannt wird. Das Album mahnt an, was schief läuft in den USA, aber es ist auch eine Erinnerung daran, dass eine andere Gesellschaft möglich ist.

Lieblingslieder: Ramon Casiano, Sun Don't Shine, Baggage




HONORABLE MENTIONS: Dass When I Was a Boy von Adam Remnant und Tender Warriors Club von Lady Lamb nicht in dieser Liste auftauchen liegt einzig und allein daran, dass es sich um EPs handelt. Zwei hervorragende Werke, die die Vorfreude auf die nächste LP ins Unermessliche steigen lassen. Einen Sonderpreis hat The Secret Lair von Tyler Lyle verdient, der in jedem Monat eine EP und einen Podcast von beachtlicher Qualität veröffentlicht und mir viele, viele neue Lieblingslieder beschert hat.



Weitere Empfehlungen

In diesem Jahr habe ich einige wenige Neuerscheinungen gelesen (wenn auch mehr, als in den Jahren zuvor) und mein unangefochtener Favorit ist Moonglow von Michael Chabon, der sich hier back on top präsentiert. Eine wunderbare Spinnerei voll absurdem Humor, tiefer Trauer und noch größerer Liebe, die mit dem Großvater auch einen überaus faszinierenden Protagonisten bietet. Was die Sachbücher betrifft, kann ich jedem nur White Trash von Nancy Isenberg empfehlen, das ergründet, wie die Ignoranz von Armutsursachen das politische Klima in den USA prägte und prägt. Der zweite Teil von The Arab of the Future ist ein Meisterstück von einer Graphic Novel, die in Zeiten des Syrienkriegs zudem noch über eine ungewollte Aktualität verfügt. Ebenfalls empfehlen kann ich Der goldene Handschuh von Heinz Strunk, auch wenn ich das Buch aufgrund seiner schonungslosen Brutalität wohl kein zweites Mal lesen kann.

Ein paar Kinofilme habe ich auch gesehen. Mein Favorit ist Spotlight, der nicht nur vor Augen führt, wie wichtiger ehrlicher Journalismus ist, sondern auch daran erinnert, wie die katholische Kirche tausendfaches Leid ermöglicht und vertuscht hat. Ein so guter wie wichtiger Film. Ebenfalls sehr geliebt habe ich auch Jim Jarmuschs Paterson, der beweist, dass man eine Geschichte auch ohne großes Drama erzählen kann, und dass das Ergebnis vielleicht sogar umso schöner ist.

In Sachen Fernsehserien bin ich ziemlich hinterher, ich habe es nicht einmal geschafft, die neuen Folgen von Gilmore Girls zu sehen, obwohl dies meine liebste Serie überhaupt ist. Von denen, die ich gesehen habe, ist Better Call Saul meine unangefochtene Nummer Eins. Die zweite Staffel ist noch einmal ein Stück besser als die erste, auch weil hier Kim Wexler (gespielt von der großartigen Rhea Seehorn) mehr in den Mittelpunkt gerückt wird - vor allem in "Rebecca", ein Höhepunkt der Montagetechnik. The Americans präsentieren sich auch in der vierten Staffel auf gewohnt hohem Niveau, und so spannend und so herzzerreißend wie eh und je. In Sachen Sitcom muss ich einfach die zweite Staffel von Unbreakable Kimmy Schmidt loben, die es geschafft hat, PTSD humoristisch zu verarbeiten, ohne ihre Hauptfigur jemals der Lächerlichkeit Preis zu geben.

Neben den eigentlich Fernsehserien habe ich, da es ja auch ein Wahljahr in den USA war, viel Late Night geschaut. Insbesondere Last Week Tonight mit John Oliver und Full Frontal mit Samantha Bee haben auf meisterhaftem Niveau Journalismus und Satire verbunden, wenngleich ich auch an der Late Show with Stephen Colbert und Late Night with Seth Meyers viel Spaß hatte. Bleibt zu hoffen, dass uns während der Trump-Präsidentschaft das Lachen nicht im Halse stecken bleibt.

A propos Late Week Tonight: John Oliver hat definitiv die schönste Hommage auf das grauenvoll Jahr 2016 gezeigt, mit der ich mich verabschieden möchte.

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