Project Ireland: I Spend My Days in Endless Roaming
Am Vierzehnten machte ich mich dann auf den Weg nach
Carrickfergus. Man kann von Belfast aus den Zug nehmen, was mir ja lieber ist
als der Bus. Die Fahrt dauert eine halbe Stunde und kostet vier Pfund return,
was echt unglaublich günstig ist im Vergleich zu hiesigen Gefilden: Eine
Zugfahrt nach Münster dauert zum Beispiel auch nur 30 Minuten, aber das Hin-
und Rückfahrticket kostet 15 Euro, das ist dreimal so teuer. Unfassbar. Aber
zurück zu Carrickfergus. Die Stadt ist ja in erster Linie für ihre mittelalterliche
Festung bekannt, und die wollte ich mir ansehen. Eigentlich bin ich kein großer
Fan von Schlössern und dergleichen, aber Carrickfergus Castle hatte ich mal bei
Last Night of the Proms gesehen, wo es schon sehr beeindruckend ausgeschaut
hatte. Außerdem mag ich den Song, der nach dem Ort benannt ist.
Ich hatte keinen Stadtplan, also folgte ich am Bahnhof
einfach zwei Männern, die aussahen, als ob sie das Gleiche vorhatten wie ich.
Wir mussten ein Stück durch die Stadt laufen, die nicht nur recht klein ist,
sondern auch staunchly loyalist und vor allem unsagbar hässlich. Sie
sieht total heruntergekommen aus und es gibt sehr viele Baustellen. Eine echte
Beleidigung fürs Auge. Die beiden Herren führten mich tatsächlich zum Schloss,
das mich auf den ersten Blick auch nicht gerade vom Hocker riss. Irgendwie
hatte ich es mir größer vorgestellt. Ich hatte es vorher allerdings auch nur
bei Nacht gesehen, hübsch angestrahlt, aber so im Tageslicht… es ist halt ein
Schloss. Da ich aber schon einmal da war, wollte ich es mir auch ansehen und
bezahlte die fünf Pfund Eintritt.
Im Innenhof war gerade eine Vorführung im Gange, als ich eintrat.
Vier Männer hatten eine musketierähnliche Uniform angezogen und demonstrierten,
wie die alten Feuerwaffen funktionierten. Die Musketen wurden geladen und
abgefeuert, wobei es jedes Mal zwei bis drei Minuten dauerte, die Waffe
nachzuladen. Eine ganz schön lange Zeit für heutige Verhältnisse. Speere waren
damals auch noch in Verwendung, allerdings eher um die Soldaten anzuführen und
nicht um den Gegner damit aufzuspießen, wie der Chef der Bande erklärte.
Anschließend ging ich in den Schlossturm, „The Keep.“
Carrickfergus Castle wurde im 12. Jahrhundert erbaut und war tatsächlich bis
ins 19. Jahrhundert als Festung im Einsatz. In der langen Geschichte war
allerdings nur einmal ein König dort zu Gast, King John (Lackland), Anfang des
13. Jahrhunderts. Es war auch ein Modell von ihm zu sehen, und zwar auf einem
Örtchen in einer kleinen Ecke des Turms. Ob es deshalb wohl auch „john“ genannt
wird? Selbst als Adliger war das mittelalterliche Leben auf einem Schloss kein
Spaß. Zum einen muss es immer ziemlich kalt gewesen sein und zum anderen gab es
kaum was zu essen. In der Fastenzeit durften die Bewohner zudem kein Fleisch,
keine Milch und keine Eier zu sich nehmen; mit Ausnahme von Fisch ernährten sie
sich also praktisch vegan. Da war ich schon froh, im 20. Jahrhundert geboren
worden zu sein.
Im Turm befinden sich unter anderem eine Banquet Hall und
ein sogenannter „solar room“, der mit Spielzeug ausgestattet ist, damit auch
die Kleinen ihren Spaß haben. Es gibt zum Beispiel ein riesiges Schachbrett und
verschiedene Tafeln, die auf kindgerechte Weise etwas über das Leben im
Mittelalter erzählten – zum Bespiel, dass es früher eine Stunde dauerte, bis
die Damen und Herren auf dem Schloss angezogen waren (wofür sie natürlich ihre
Diener hatten).
Auch im Rest des Schlosses befanden sich einzelne Räume,
etwa ein Gefängnis, das im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzkeller verwendet
wurde, eine Kapelle und die Kammer des Burgvogts. Besonders tückisch war der
„murder room“: Hier wurden Gitter heruntergelassen, sodass der eindringende
Feind gefangen war, woraufhin dann heißes Öl über ihn gegossen wurde. Uah. Von
den Schlossmauern hatte man übrigens einen guten Blick auf die Umgebung, unter
anderem auf den Hafen, an dem William of Orange am 14. Juni 1690 anlegte, auf
dem Weg zur Battle of the Boyne, um beim Thema zu bleiben.
Insgesamt verbrachte ich etwa eine Stunde auf dem Gelände.
Es war schon ganz okay, aber ich bin einfach kein Fan von Schlössern. Wen das
interessiert, der sollte aber schon in Carrickfergus vorbeischauen, denn es
gehört zu den am besten erhaltenen mittelalterlichen Gebäuden in ganz Irland. Danach
musste ich erst einmal überlegen, was ich noch machen wollte. Es war furchtbar
kalt, mindestens zehn Grad weniger als am Vortag, sodass ich spontan in das
Stadtmuseum ging, um mich aufzuwärmen. Schließlich war der Eintritt frei. Das
Museum liegt im Touristenbüro, was schon darauf hinweist, dass es nicht
besonders viel zu sehen gibt. Es ist eigentlich nur ein Raum, in dem einige
Gegenstände aus der Geschichte der Stadt zu sehen waren, die so uninteressant
sind, dass ich mich nicht an einen von ihnen erinnern kann. Was ich hingegen
recht spannend fand war, dass man an einem Computer “Kane’s Atlas“
durchblättern konnte. Dabei handelt es sich um einen Atlas aus dem frühen 18.
Jahrhundert, der Richard Kane, einem britischen General und späteren Gouverneur
von Minorca, gestiftet wurde. Für Landkarten habe ich ja eh eine Schwäche und
es war ganz interessant zu sehen, was vor 300 Jahren von der Welt bekannt war.
Danach fuhr ich dann aber zurück nach Belfast, weil man
sonst nichts in Carrickfergus unternehmen kann. Ich weiß ja nicht, wie die
Stadt vor 100 oder 200 Jahren aussah, aber dem „I wish I was in Carrickfergus“
aus dem Song kann ich nicht beipflichten. In Belfast wollte ich noch eine Tour
durch das Rathaus machen, aber da ich noch ein bisschen Zeit hatte, startete
ich zuvor einen neuen Versuch der Mitbringselbeschaffung. Im Touriprospekt war
noch ein Gift Shop an der Waterfront aufgeführt, der jedoch geschlossen hatte.
Auf dem Weg in die Innenstadt kam ich aber zufällig an der Arthur Street
vorbei, in der sich genau das befand was ich gesucht hatte. Es gab gleich zwei
Läden à la Fitzroy, die haufenweise coole Geschenkideen bereit hielten, auch
wenn diese nicht gerade billig waren. Wenigstens waren die Sachen recht
originell und keine kitschiger 08/15-Tourikram.
Um drei Uhr ging ich dann zur City Hall. Da es Samstag war,
war der Haupteingang geschlossen, sodass man laut Schild den Südeingang
benutzen sollte. Gesagt, getan, doch auch der war dicht. Oh nein, sollte an
diesem Samstag etwa keine Führung stattfinden? Machten sie gleich vier Tage zu
sowie die Linen Hall Library, nur wegen diesem einen blöden Feiertag? Als ich
wieder zurück zur Nordseite ging sah ich allerdings, dass der Osteingang
geöffnet war, weil sich dort ein Café befindet. Ich ging also herein und fragte
an der Rezeption, ob heute eine Tour stattfinden würde. „Die hat schon
angefangen, aber wenn du den Gang heruntergehst müsstest du sie noch
erwischen!“ Yeah!
So war es dann auch. Erstaunlicherweise hatten sich etwa 20
Leute eingefunden, um die Tour mitzumachen. Der Guide, der ungefähr in meinem
Alter war, hatte gerade seine Ausführungen zur marmorverzierten Eingangshalle
abgeschlossen und führte uns in den ersten Stock. Dort befindet sich eine Rotunde,
die ebenfalls aus Marmor ist, sowie ein Wandbild, das die beiden (ehemaligen)
Standbeine der Belfaster Industrie zeigt: Den Schiffbau und die
Leinenherstellung. Auch der Cave Hill, der Berg vor den Toren Belfasts (den ich
2009 bereits erklommen hatte) ist darauf zu sehen. Daneben steht eine Staue von
Frederick Chichester, dem letzten Earl von Belfast, der ein großer Förderer der
Künste war, bis er im Alter von 25 Jahren verstarb. Die Statue stand früher am
Wellington Place, wo sie auch als „black man“ bekannt war.
Danach ging es weiter in die Council Chamber, die
Ratskammer. Belfast hat etwa 50 Ratsmitglieder, die von den Bürgern gewählt
werden. Das Besondere ist, dass der Bürgermeister nicht zwei Jahre
hintereinander im Amt bleiben darf und Belfast daher jedes Jahr im Juni einen
neuen Lord Mayor bekommt, wobei sich die größeren Parteien (Sinn Féin, DUP,
SDLP) in der Regel mit dem Stellen des Bürgermeisters abwechseln. Der aktuelle
Lord Mayor ist Gavin Robinson von der DUP. In der Kammer befinden sich auch
Porträts von Queen Victoria, die regiert hat als 1898 mit dem Bau der City Hall
begonnen wurde, und ihrem Sohn Edward VI., der regiert hat, als der Bau 1906 vollendet
wurde. Auch der Tisch, auf dem der Ulster Covenant unterzeichnet wurde, steht
dort. Wer wollte, konnte sich zudem auf dem Thron des Bürgermeisters ablichten
lassen, aber ich habe mal darauf verzichtet. Es war eh viel lustiger mit
anzusehen, wie die Eltern unter den Besuchern ihre Babys auf den Thron gesetzt
und fotografiert haben. Die Kammer wurde übrigens in den 1920ern auch als
Parlament benutzt, bis Stormont fertig gestellt wurde.
Neben der Ratskammer befindet sich das Ankleidezimmer, in
dem Roben aufbewahrt werden. Die Robe des Lord Mayor war gerade nicht da, da er
sie beim Besuch der Queen getragen hatte und sie seitdem noch niemand
zurückgebracht hatte. Dafür konnte man die Robe des High Sheriff sehen, der die
Monarchie in Nordirland repräsentiert. Den Titel finde ich ganz interessant,
denn er erinnert mich an Charley Pattons “High Sheriff Blues“.
Auf dem Flur befindet sich eine Galerie, wo unter anderem
das Bild “The Battle of the Somme“ zu sehen ist, die für kronloyale Nordiren ja
eine besondere Bedeutung hat. Die Soldaten auf dem Bild (das übrigens jeder
Schüler analysieren muss) sind Personen, die tatsächlich gelebt haben.
Derjenige, der sich umschaut und den Arm hochreißt, ist ein Lieutenant, der zu
dem Zeitpunkt gerade einmal 17 Jahre alt war. Er ist der einzige auf dem Bild,
der den Krieg überlebt hat. Sehr traurig. Daneben befanden sich Porträts von
allen ehemaligen Lord Mayors. Zwei von ihnen waren übrigens Frauen, die aber
auch den Titel “Lord Mayor“ tragen. Die Bürgermeister dürfen selbst aussuchen, wer sie porträtiert,
mit dem Ergebnis, dass die Bilder sehr unterschiedlich sind und stark die
Persönlichkeit widerspiegeln. Manche Lord Mayors sind in Robe und mit der
immerhin sieben Kilo schweren Amtskette zu sehen, während andere es eher
bescheiden lieben. Einer ist zum Beispielt mit seinem Fahrrad porträtiert
worden, da er es abgelehnt hat, chauffiert zu werden und immer mit seinem Rad
zur Arbeit gekommen ist. Besonders symbolträchtig ist das Porträt eines Lord
Mayors von Sinn Féin: In den Straßenzügen von Belfast, die im Hintergrund zu
sehen sind, ist der Name seiner Frau eingebaut, und auch Wolfe Tone ist
irgendwo zu sehen. Zudem ist die eine Hälfte des Bildes wesentlich dunkler als
die andere, als Symbol dafür, wie sich Belfast von einer dunklen Vergangenheit
auf eine strahlende Zukunft zu bewegt. Whoa.
Danach ging es in einen Raum, der das Thema “Titanic“ hat,
Überraschung, Überraschung. Dort hängen die Porträts von Edward Harland sowie
von Viscount und Viscountess Pirrie, die eigentlich auf der Titanic hätten
mitfahren sollen, aber erkrankt waren, was ihnen ironischerweise das Leben
gerettet hat. Weniger Glück hatte ihr Neffe, ein gewisser Thomas Andrews, bei
dessen Erwähnung ich natürlich gleich an meine Mitfahrgelegenheit denken
musste. In dem Raum steht auch eine Kommode aus Walnussholz, die eigentlich auf
der Titanic hätte sein sollen, aber nicht rechtzeitig fertig wurde. Ihr Wert
beläuft sich auf unglaubliche 100.000 Pfund.
Der nächste Raum war die Great Hall, die während des Zweiten
Weltkrieges zerstört, aber wieder aufgebaut wurde. In weiser Voraussicht hatte
man die kostbaren Fenster entfernt, sodass sie den Krieg überstanden haben. Zum
Glück muss man sagen, denn sie sind sehr beeindruckend. Sie zeigen die Wappen
der alten irischen Provinzen Munster, Leinster, Connaught und Ulster (nur echt
mit roter Hand), sowie die Porträts der Monarchen, die Belfast bis 1906 besucht
haben: King William of Orange, Queen Victoria und Edward VI. Auf dem Teppich
ist das Wappen von Belfast zu sehen. Es zeigt ein Seepferdchen, für die Bindung
zum Meer, und einen Wolf in Ketten, der dem Wappen der Familie Chichester
entnommen ist. Die Great Hall war übrigens auch mal der Umkleideraum von Snow
Patrol, als sie vor dem Rathaus aufgetreten sind.
Und das war’s auch schon. Ich muss sagen, die Tour war
genauso, wie ich es mir erhofft hatte: Sehr informativ und spannend. Das
einzige, was mich ein bisschen gestört hat war die roboterhafte Vortragsart des
Guide, aber das kann man leicht verschmerzen. Ich kann sie jedem, der nach
Belfast kommt nur schwer empfehlen.
Tja, und das nächste Mal folgt dann schon der letzte
richtige Tag in Belfast, der letzte richtige Tag der Reise.
Alle Bilder von Carrickfergus finden sich hier.
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