Crossing Border Enschede 2012 (Part 1)



Kommen wir nun endlich zum Crossing Border. Während das Zeitplanbasteln kaum Probleme aufwarf, war das ganze Drumherum schwieriger zu organisieren. So gab es zu meiner Überraschung kein Hostel in Enschede, und auch nicht in Hengelo, Almelo oder Oldenzaal. Die B&Bs in Enschede kosteten zudem mindestens 60 Euro pro Nacht, was mir eindeutig zu viel war. Nach langem, langem, langem Suchen fand ich schließlich eine Pension in Gronau-Epe, die 29 Euro für ein Einzelzimmer verlangte. Eigentlich hatte ich mit dem Zug fahren wollen, aber da es keine Verbindung von Epe nach Enschede gab (nur von Gronau selbst, das wiederum 5km von der Pension entfernt lag), bin ich dann mit dem Auto gefahren.

Dort angekommen, empfing mich ein älterer Herr, der mich herumführte. Die Pension befand sich im ersten Stock eines Wohnhauses. Das Zimmer war ganz hübsch eingerichtet, inkl. Tisch, Bett, Kleiderschrank und Balkon. Außerdem konnte man vom Bett aus fernsehen (was mir eigentlich egal war, doch der Vermieter war sehr stolz darauf). Es gab zwei Bäder und eine Gemeinschaftsküche, was recht praktisch war. Das Schönste war jedoch, dass ich die Pension ganz für mich allein hatte. November ist halt nicht die klassische Urlaubszeit, sodass der Herr mir auch keine großen Tipps geben konnte, da er sonst wohl überwiegend Wanderer und Radfahrer dort hat. Ich erzählte ihm dann, dass ich in hauptsächlich wegen des Festivals da war, woraufhin er mich vor dem holländischen Bußgeldkatalog warnte: „Falschparken kostet 60, 70 Euro und zu schnell fahren ist tödlich.“ Egal, denn ich hatte mich entschieden, mit dem Auto nach Gronau zum Bahnhof zu fahren und von dort den Zug zu nehmen, da eine Hin- und Rückfahrkarte bloß 5,90 Euro kostete und ich in Enschede allein für das (richtig) Parken über 10 Euro bezahlt hätte.

Eigentlich hatte ich noch schnell was zu Essen machen wollen, doch der Vermieter kam ewig nicht mit meinem Ausweis wieder, sodass ich nur schnell zum K&K (deren Gründer übrigens aus Gronau kommen, wie er mir erklärte) rüberhuschte, zum Wasser und Kaffee zu kaufen. Glücklicherweise hatte ich noch ein Brötchen dabei, das ich verspeisen konnte. Um viertel vor sechs machte ich mich auf den Weg zum Gronauer Bahnhof. Ich hatte mir die Strecke auf der Karte angesehen und dachte, ich würde es ohne Martha, das Navi, schaffen, doch im Dunkeln bog ich prompt eine Straße zu früh ab und fuhr dann eine Weile durch die tiefste Pampa, bis ich dann doch irgendwie am Bahnhof ankam.

Die Zugfahrt dauert praktischerweise bloß elf Minuten. Das Nationaal Muziekkwartier, in dem das Festival stattfand, war schon vom Bahnhof auszusehen. Zu meiner Freude stellte ich fest, dass sich die beiden Venues, das Wilminktheater und das Atak, in einem großen Gebäudekomplex befinden, was es leicht macht, zwischen den verschiedenen Sälen zu wechseln. Ich stellte mich in die Schlange und tauschte mein Ticket gegen ein blaues Wristband. Ich hatte noch eine Stunde Zeit, bevor das erste Konzert los ging, sodass ich noch ein bisschen durch die Innenstadt lief, die schon mit Lichterketten geschmückt war. Mittlerweile hatte ich auch schon wieder Hunger, aber ich konnte einfach keinen Supermarkt finden. Erst nachdem ich so ziemlich jedes Geschäft abgelaufen war, das man sich vorstellen kann, fand ich doch noch einen Albert Heijn. Die Auswahl war jetzt nicht sooo groß, sodass ich einfach eine Packung Käsewürfel kaufte. Sehr holländisch. Übrigens gab es von den fünf oder sechs Kassen nur eine, an der man mit Bargeld bezahlen konnte. Es empfiehlt sich, darauf zu achten.

Ich eilte anschließend zum Muziekkwartier zurück, um rechtzeitig zum Auftritt von Craig Finn, Patterson Hood und Will Johnson wieder dazu sein. Als ich ankam, las noch eine holländische Dichterin namens Kira Wuck. Ich verstand zwar praktisch nichts von dem was sie vortrug, aber es hörte sich schön an. Pünktlich um 19.45 Uhr kam das „Super-Trio“, wie der Moderator es nannte, dann auf die Bühne. Nach Jahren des Wartens konnte ich kaum glauben, dass sie jetzt nur wenige Meter von mir entfernt waren. Craig Finn entpuppte sich als ziemlich kein, Will Johnson als ziemlich schmal und Patterson Hood… sah aus wie Patterson Hood, mit Locken und Holzfällerhemd. Der Moderator wusste nicht, wer wer ist, sodass er die drei bat, ihre Hand zu heben, wenn er ihren Namen nannte, wie in der Schule. Das hätte man leicht vorher recherchieren können, aber die drei nahmen es mit Humor.

Patterson begann mit „Depression Era“. Wenn einer der drei sang, wurde er dezent von den anderen begleitet. Anschließend war Will Johnson an der Reihe. Da ich Scorpion wie gesagt noch nicht gehört habe, kannte ich das Stück nicht, aber es hatte diesen typischen rauen, dunklen, intensiven Will-Johnson-Ton, was mir sehr gut gefiel. Fast noch besser war allerdings die Geschichte, die er im Vorfeld erzählte. Und zwar hatte er sich ein neues Tamburin gekauft, das jedoch „a piece of shit“ war. Vor langer Zeit hatte ein Freund ihm mal ein Tamburin geschenkt, dass einst Stevie Nicks gehört hatte, obwohl er zu dem Zeitpunkt gar nicht wusste, dass Will ein Fan war. Wie auch immer, wenn Will auf Tour war und sich einsam fühlte, schaute er immer auf die Aufschrift des Tamburins: „Much love Stevie Nicks“, bis ihm eines Tages auffiel, dass sich kein Komma zwischen „Love“ und „Stevie“ befand. So dämmerte ihm, dass es sich womöglich gar nicht um einen netten Gruß handelte, sondern bloß um „a demanding tambourine“. Und das alles erzählte er mit einer todernsten Miene, während das Publikum vor Lachen fast am Boden lag.

Craig spielte im Anschluss „Jackson“, ebenfalls von seinem neuen Album, den ich jedoch nicht so mag. Patterson machte mit „Better Off Without“ weiter, während Will „Fleshes and Cables“ von seiner Band Centro-matic sang. Craig spielte „New Friend Jesus“, mein Favorit von Clear Heart, Full Eyes. Er erzählte, wie nervig es doch sei, wenn Freunde ständig über einen neuen Kumpel reden würden, aber besonders schlimm sei es, wenn es sich bei diesem Kumpel um Jesus handelt. Anschließend ging es im Doppelpack weiter. Patterson begann mit „Leaving Time“, das, wie er sagte, davon handelt, wie traurig und auch wütend jeder in der Familie ist, wenn er wieder auf Tour muss. Erstaunlicherweise tourt er „nur“ 5-6 Monate im Jahr, bei seinen Newsletters könnte man glatt glauben, er ist nie zu Hause. Wenn er nun wieder los muss, bitten seine beiden Kinder ihn immer noch mal „that song about when we get mad at you“ zu spielen. Danach gab er noch den Titelsong des neuen Albums Heat Lightning Rumbles in the Distance zum Besten, den er seinem kürzlich verstorbenen, 91-jährigem Großonkel gewidmet war.


Will spielte noch zwei Songs, die ich nicht kannte und erzählte von einem kleinen Ort in Texas, in dem er mal gewohnt hatte. Als er im Vorfeld über die Stadt bei Wikipedia las, fiel ihm die Kategorie „notable residents“ auf. Dort war auch ein Wrestler namens „The Undertaker“ aufgeführt. Während der ganzen Zeit hoffte er, dem Wrestler mal in voller Montur zu begegnen, doch er traf ihn nie. Craig spielte zwei neue Songs. „The Dudes of St. Paul“ handelt von den bösen Buben aus der anderen Twin City, die ihm als Jugendlichen immer Angst machten. „Extras“ ist sein erster Road Song, wobei er versprach, nicht zu viele davon zu schreiben. Er erzählte auch von der Zeit als er noch einen Bürojob hatte. Damals sah er die Drive-by Truckers live und dachte sich: „Das will ich auch!“ Kurz darauf gründete er The Hold Steady und der Rest ist Geschichte.

Patterson Hood spielte dann auch prompt einen DBT-Song, und zwar „The Living Bubba“. Er erzählte, dass dies vielleicht sein liebster selbstgeschriebener Song sei. Er handele von einem Musiker, den er häufiger traf, als er noch Toningenieur in einem Club in Athens, GA war. Der Typ war todkrank, aber dennoch trat er im letzten Jahr seines Lebens fast jeden Abend auf und spielte, bis man ihn von der Bühne tragen musste. Will Johnson spielte einen Woody-Guthrie-Song vom New Multitudes-Projekt, der von Geschlechtskrankheiten handelte. Craig schloss mit „Terrified Eyes“. Zuletzt sangen alle drei zusammen noch „Don’t go back to Rockville“ von R.E.M. Patterson meinte, dass sie etwas spielen wollte, dass ihnen allen gefällt und am Ende hat man sich für diesen Song entschieden.


Ich kann kaum in Worte fassen, was es mir bedeutet hat, die drei live zu sehen. Craig Finn war total cool, Will Johnson könnte eine Zweitkarriere als Stand-up Comedian anstreben und Patterson Hood ist der netteste Mensch der Welt. Wenn die anderen beiden ihre Geschichten erzählt haben, hat er immer total aufmerksam und interessiert zugehört, obwohl das für ihn ja kaum neu gewesen sein kann. Auch an der Art wie er mit dem Publikum gesprochen hat, hat man gemerkt, dass er ein sehr freundlicher und bescheidener Mensch ist. Musikalisch gab es an dem Konzert ohnehin nichts auszusetzen. Das waren mit die besten 90 Minuten meines Lebens und, mehr noch, die Erfüllung eines Traumes.

Anschließend schaute ich noch bei Two Gallants rein, die im vollgepackten Atak Café spielten. Obwohl ich ihr neues Album The Bloom & The Blight ganz gerne mag, haben sie mir live wieder nicht gefallen. Ich finde einfach, sie produzieren beim Spielen ein Dröhnen, das so laut ist, dass es die eigentliche Musik überlagert. Schade. Anschließend hatte ich erste Entscheidungsschwierigkeiten, da Young Man und Poliça fast zeitgleich spielten. Ich hatte beide erst kurz zuvor kennengelernt und mochte sie ganz gerne, sodass ich je 30 Minuten bei ihnen verbringen wollte.


Young Man spielten ebenfalls im Atak Café, allerdings waren diesmal nur etwa 15 Leute dort, was mir für die fünf Chicagoer schon ein bisschen leid tat. Zunächst machten sie noch ihren Soundcheck, bis der Moderator sie bat anzufangen, da man ja schon „five minutes late“ sei. Ein Rockfestival, das auf Pünktlichkeit pocht, lustig. Nun da Young Man spielten, konnte ich mich einfach nicht von ihnen loseisen, da sie so gut waren. Ihr Sound ist ziemlich schwer in eine Schublade zu packen – experimenteller Pop, grob gesagt, mit stellenweise sehr interessanter Rhythmik. Schaut einfach selbst:


Ich habe nicht bereut, dass ich soviel Zeit bei Young Man verbracht habe, denn Poliça waren so laut, dass es schon weh tat. Channy Casselle hat eine ganz hübsche Stimme und vollführt sehr, äh, interessante Tänze auf der Bühne. Begleitet wurde sie von zwei Drummern, einem Bassisten und vielen Elektrosounds. Insgesamt war es schon gut, nur halt arg laut. Craig Finn hingegen war total begeistert (wie er später twitterte). Ach, und Two Gallants standen während der Show für 10 Sekunden neben mir, bevor sie nach oben auf die Galerie gingen.


Um zehn nach elf machte ich mich dann auf zum Bahnhof. Da dort gebaut wurde, musste ich einen Umweg laufen, sonst hätte es wohl nur zwei statt zehn Minuten gedauert. Dafür kam ich an einem Straßenmusiker vorbei, der „Just like a woman“ sang. Wieder in Gronau angekommen, hatte ich diesmal keine Probleme, nach Epe zu finden, wo ich mich dann glücklich und zufrieden mein Bett kuschelte.

Soweit der erste Teil, der zweite folgt in Kürze. Stay tuned!

Kommentare

  1. Habe auch schon längst auf Deinen Blog über das Festival gewartet. Bin erstaunt, daß es in Enschede kein Hostel gibt - so klein ist die Stadt doch gar nicht. Und Du bist mit dem Auto gefahren - heyh Dannie, ich staune!! Und, hat doch bestimmt gut geklappt, oder? So ein Auto beißt bestimmt nicht - ist doch einfach nur Übungssache, genauso wie mit Navy fahren. Bin schon gespannt auf den Blog Teil 2. Liebe Grüße! Rudi

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