Litauen VIII: Trakai

An meinem letzten richtigen Tag wollte ich noch etwas vom ländlicheren Litauen sehen. Na ja, in der Frühphase meiner Planung hatte ich eigentlich überlegt, für einen Tag nach Weißrussland zufahren, weil Vilnius nicht weit weg ist von der Grenze, aber nachdem ich die extrem strengen Visabestimmungen gesehen habe, befand ich, dass sich der Aufwand nicht lohnt. Außerdem hatte das Auswärtige Amt gewarnt, dass sich die Gesetze plötzlich und ohne Ankündigung ändern können. Neulich etwa wurde ja öffentliches Klatschen verboten, da einige dies als Protest getan hatten. Man stelle sich vor, man weiß nichts davon, fährt nach Belarus und applaudiert meinetwegen einem Straßenmusiker, und plötzlich findet man sich in irgendeinem Verließ bei Wasser und Brot. So ist es wohl doch besser, Länder zu meiden, die von Verrückten regiert werden.

Neulich habe ich aber geträumt, dass ich in Belarus war. Ich sah einer Gruppe Kindern in merkwürdigen Trachten zu, was ganz interessant war, doch dann hatte ich plötzlich einen Heißhunger auf Süßigkeiten und bin in einen Supermarkt gegangen. Es waren nur wenige Schokoriegel frei verkäuflich (der Rest befand sich hinter einer Theke mit grimmigen Verkäuferinnen) und jedes Mal, wenn ich nach einem griff, löste er sich vor meinen Augen in Luft auf. So was. Dr. Freud, übernehmen Sie!

Also habe ich mich dafür entschieden, nach Trakai zu fahren, ein Dorf mit umliegendem Nationalpark, das ca. 30km von Vilnius entfernt ist. Laut Lonely Planet ein absolutes must-see. Auch dort konnte man praktischerweise mit dem Zug fahren, für günstige 6.20lt (wobei es vor zwei Jahren nur 3.50lt waren). Die Fahrt dauert ca. 40 Minuten. Trakai ist eine Halbinsel, die an den Seiten von Seen umgeben ist. Ihr Highlight ist eine Burg aus dem frühen 15. Jahrhundert, die sich auf einer kleinen, vorgelagerten Insel am nördlichen Ende befindet.

Dort angekommen, bin ich einfach den Massen gefolgt. Der Weg ins Dorf führte bereits an einem See vorbei, auf dem eine Schwanenfamilie inkl. ihres Nachwuchses schwamm, was gleich alle Ankömmlinge ihre Kamera zücken ließ. Die kleinen Babyschwäne waren aber auch zu süß!

Trakai an sich ist eigentlich ziemlich hässlich, mit Ausnahme vielleicht der Kirche, die über dem Ort thront. Besser wurde es erst, als ich in die Karaitu gatvė kam. In Trakai lebt eine kleine karäische Minderheit, vielleicht 60 Personen (von insgesamt 250 in Litauen). Die Karäer sind eine jüdische Sekte, die sich vom eigentlichen Judentum darin unterscheidet, dass sie die mündliche Torah (also Talmud und ähnliches) ablehnt. Sie haben dort eine Reihe bunter Holzhäuser gebaut, die ganz hübsch anzusehen sind.

Karaitu gatve

karäisches Gebetshaus
Schließlich kam ich zusammen mit den Massen an der Insel mit dem Schloss an. Am Wegesrand hatten sich einige Leute versammelt, die hofften, den Touristen Geld abnehmen zu können: Beerenpflücker, ein Junge mit Blockflöte und ein älterer Mann mit Akkordeon, der die ganze Zeit „Hava Nagila“ spielte. Man musste über eine Holzbrücke, bis man zur Burg kam. Sie war schon ganz imposant: groß und rot, mit Türmen und Fähnchen, ein fairy-tale castle wie der Lonely Planet es nannte. Man kann sie auch von innen besichtigen, aber da sich dort überwiegend Ritterrüstungen und so ein Kram befinden und der Eintritt 14lt kostet, habe ich darauf verzichtet (zumal ich auch nur noch 10lt übrig hatte). Außerdem waren wirklich sehr viele Touristen da.


Ich ging einmal um die Burg herum, aber ganz ehrlich, ich war nicht beeindruckt. Sie war zwar schön, aber halt eben eine Burg, von denen ich schon so einige gesehen hatte. Auch der Nationalpark ließ mich relativ kalt. Es war zwar ganz nett mit den Seen, aber es war nicht phänomenal schön. Bin ich schon so verwöhnt, dass mich das nicht mehr aus den Socken haut? Teil des Problems war aber sicher auch, dass es so überlaufen war.



Auf dem Rückweg ging ich an der Ostseite der Halbinsel entlang, das war schöner. Dort befanden sich auch die Ruinen des alten Schlosses, das irgendwann nicht mehr groß genug gewesen war, deswegen der Protzbau auf der Insel. Der Weg eignete sich gut zum Spazierengehen, außerdem waren dort vergleichsweise wenig Touris. Es gab eine Reihe bunter Boote, die man mieten konnte, denn Rudern war ganz groß in Mode. Hin und wieder fand man auch mal eine Seerose.



 Da ich dann aber auch nicht mehr wusste, was ich mir noch anschauen sollte, bin ich zurück zum Bahnhof gegangen. Da ich nicht schon wieder unfreiwillig schwarzfahren wollte, schaute ich erstmal, wie ich nun an ein Ticket komme. Die Station war sehr klein, aber es gab einen Schalter, der jedoch unbesetzt war. Nach Konsultation meines Sprachführers erfuhr ich, dass er von 13:50 bis 21:20 Uhr geöffnet ist, jedoch mit einer Pause von 16:40 bis 20:40 Uhr. Interessant. Ich wartete also eine Viertelstunde und kaufte dann mein Ticket. Ich meinte sogar, den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht der Verkäuferin gesehen zu haben, als ich „ačiu“, danke, sagte. Wow.



Der Zug fuhr um 14:20 Uhr ab. In meinem Abteil saßen drei Mädchen, die Englisch mit amerikanischem Akzent sprachen. Mindestens eine von ihnen konnte jedoch Litauisch und sprach mit dem Schaffner. Der Schaffner, der ihnen Tickets verkaufte! Ich hab’s ja nicht geglaubt! Wieso können die Tickets im Zug kaufen aber ich nicht? Zumal Paneriai doch auf der Strecke liegt.

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