Litauen II: And She Followed Her Nose to the North

Also musste es Vilnius sein. Nach neun Monaten Australien war das Budget natürlich reichlich knapp, sodass ich nur fünf Tage gefahren bin, aber Litauen ist ein vergleichsweise günstiges Reiseziel. Der Flug mit Ryanair hat 50 Euro gekostet, ebenso fünf Nächte im Hostel. Backpackers Traum! Der nächste Flughafen, von dem ich fliegen konnte, war Bremen, also wesentlich näher als die Flughäfen, von denen ich sonst fliege: Amsterdam, Köln, Frankfurt… Der Vorteil war auch, dass Ryanair direkt vom Bremer Flughafen abhebt und sein Domizil nicht irgendwo in der Pampa hat.

Der Nachteil war, dass der Flug schon um sieben Uhr morgens ging, sodass ich unanständig früh aus dem Bett musste. Es war die kürzeste Nacht des Jahres und ich musste im Dunkeln aufstehen! Da ich frühes zu Bett gehen auch nicht gewöhnt war, hatte ich nur dreieinhalb Stunden geschlafen, normalerweise brauche ich mindestens das Doppelte. Wenigstens war ich einigermaßen aufgeregt, sodass es nicht ganz so schlimm war.

Das Terminal von Ryanair in Bremen sah eher wie eine Lagerhalle aus, nicht gerade einladend. Es war das erste Mal, dass ich mit Ryanair geflogen bin und ich wollte wissen, ob die Airline wirklich so schlecht ist, wie alle sagen. Es war auf jeden Fall anders, da das Handgepäck gewogen und teilweise auch abgemessen wurde. Um 40 Euro zu sparen hatte ich nur Handgepäck. Da man bis zu zehn Kilo mitnehmen durfte, war das kein Problem, abgesehen davon, dass die dumme Flüssigkeitsregel beachtet werden musste und ich weder Nagelschere noch Rasierer mitnehmen konnte, aber das war leicht zu verschmerzen.

Die Kontrolle war unspektakulär, abgesehen davon, dass die Sicherheitsbeamtin meine halbe, ordentlich gepackte Tasche wieder entleerte und ich alles vom neuen einpacken konnte. Und wofür? Na egal. Danach hieß es erstmal Schlange stehen, während zum dritten oder vierten Mal der Boarding Pass überprüft wurde. Wenn es auch keine Sitzgelegenheiten gab, konnte man wenigstens noch was zu trinken kaufen.

Im Flugzeug selbst habe ich mich in die erste freie Reihe gesetzt und hatte auch einen Fensterplatz, wobei man es eher einen Wandplatz nennen müsste, denn in dieser Reihe gab es kein Fenster, was mir aber herzlich egal war. Mittlerweile setzte die Müdigkeit ein, sodass ich bloß noch schlafen wollte, aber das war mir nicht so richtig vergönnt. Zunächst lief ein Ausschnitt aus Mozarts kleiner Nachtmusik in Dauerschleife und anschließend hat das Personal ständig versucht, irgendetwas an den Mann zu bringen, nicht bloß Frühstück und Getränke, sondern auch Zigaretten, Parfums, Rubbellose und die vermaledeite Bildzeitung. Hinzu kam eine Gruppe junger Männer, die ständig vor sich hingrölte. Wie erwachsen. Zur etwas ruckeligen Landung wurde dann auch noch applaudiert, wobei ich mich jedoch frage, warum dass nur immer nur bei Billigflieger von/nach Deutschland geschieht. Und kaum hatten wir wieder Boden unter den Rädern, erklang eine Fanfare und die neuesten Sonderangebote wurden angepriesen. Gut, dass der Flug nur anderthalb Stunden gedauert hatte.

Der Flughafen Vilnius ist ziemlich klein und liegt wie Bremen, praktischerweise, nur ein paar Kilometer von der Innenstadt entfernt. Draußen haben alle Ankömmlinge auf den Bus gewartet, aber ich hatte in der Halle ein Schild gesehen, dass man auch mit dem Zug in die Innenstadt fahren und das Ticket beim Schaffner erwerben kann. Da der Zug nur zehn Minuten später gefahren ist, habe ich mich für diese Variante entschieden. Der Weg zum Bahnsteig war auch ausgeschildert, es war also alles so einfach wie es nur sein konnte. Da war ich schon überrascht, dass ich die einzige Nicht-Litauerin war, die den Zug genutzt hat. Das Ticket selbst hat spektakuläre 2.50 lt (Litu) gekostet, also 72 Cent.

Sieben Minuten später war ich dann in der Innenstadt. Zunächst habe ich das Hostel aufgesucht. Es lag nicht weit vom Bahnhof entfernt und als ich auf die Straße hinaustrat, konnte ich schon das Hostelling International-Schild sehen, das mir den Weg wies. Das Hostel liegt in der Aušros vartų gatvė, die zentrale Straße der Innenstadt. Es befindet sich in einem ziemlich heruntergekommenen Haus, das nur über einen kleinen Innenhof zu erreichen ist. Der Rezeptionist, ein freundlicher junger Mann, hatte mich anscheinend schon erwartet und öffnete mir die Tür. Er hat mehrmals nachgefragt, ob ich tatsächlich fünf Tage bleibe, was mich ein wenig verwirrt hat. „Es ist nur, weil normalerweise niemand so lange in Vilnius bleibt.“ So lange? Wie schade.

Der Eincheckprozess war wie in jeden anderem Hostel, ungewöhnlich war nur, dass ich wählen konnte, ob ich als key deposit 20lt oder 10 Euro bezahlen möchte. Ich habe mich natürlich für 20lt entschieden, da das erheblich weniger ist und ich auch keinen 10-Euro-Schein zur Hand hatte. Außerdem muss man im Hostel die Schuhe ausziehen (sie haben gar Puschen bereitgestellt).

Da es erst zehn Uhr war, konnte ich noch nicht in mein Zimmer, bzw. in den Dorm, jedoch nicht, weil sauber gemacht wurde, sondern weil „alle noch schlafen“. Aha. Man muss gar erst um dreizehn Uhr auschecken, wovon ich leider nicht profitieren konnte. Ich habe mich erstmal in die Küche/den Gemeinschaftsraum gesetzt und einen Tee getrunken, da es keine Milch für den Kaffee gab, und meinen Gratisstadtplan studiert.



Um die Zeit herumzukriegen, bis ich in das Zimmer konnte, habe ich eine erste Tour durch die Innenstadt unternommen. Die Lage des Hostels könnte kaum besser sein, es liegt nicht nur in unmittelbarer Nähe der Zug- und Busbahnhofs, sondern auch nur eine halbe Minute Fußweg von den Aušros vartai, den Toren der Morgenröte, entfernt. Na ja, eigentlich ist es nur ein Tor, daher frage ich mich, woher der Plural kommt. Wie auch immer, es ist jedenfalls das einzige erhaltene Tor zur Altstadt. Über dem Durchgang prangte das Konterfei von Jesus Christus und eine alte Dame bekreuzigte sich, als sie daran vorbeiging. Das war schon ein Vorgeschmack auf das, was mich hinter dem Tor erwartete.



Das öffentliche Bekreuzigen ließ ja schon darauf schließen, dass Litauen ein religiöses Land ist, aber hinter dem Tor sprang es einem förmlich ins Auge, denn es gab Kirchen noch und nöcher. Das erinnerte mich stark an die Ukraine, wenngleich die Religiosität in Vilnius dann noch nicht ganz so extrem ist, also keine Ikonen an jeder Ecke oder in Tinte auf Körpern verewigt. In dem Tor der Morgendämmerung, in einem Raum über dem Durchgang, befindet sich übrigens ein Marienbild, das angeblich 1363 von Großfürst Algirdas von der Krim mitgebracht wurde, aber wohl doch „erst“ 500 Jahre alt ist. Das goldene Abbild der Jungfrau ist eine der wichtigsten Pilgerstationen in Osteuropa, sodass es dort immer brechend voll ist. Überhaupt scheint es sich bei einem Großteil der Touristen (von denen es doch mehr gab als ich erwartet hatte) um osteuropäische Pilger zu handeln. Westeuropäer gab es vergleichsweise wenige, und noch weniger, die in meinem Alter waren.



Die Altstadt ist ein Traum und nicht umsonst Weltkulturerbe. Ein bisschen hat sie mich auch an Prag erinnert mit der schönen barocken Architektur, den kleinen Kopfsteinpflastergassen und den Leuten mit ihren Souvenirständen. Im Vergleich zur tschechischen Hauptstadt ist Vilnius jedoch sehr kompakt, sodass sich alles problemlos zu Fuß erreichen lässt. Die Stadt hat auch nur gut 500.000 Einwohner.

Ich bin erstmal die Aušros vartų/Pilies gatvė entlanggegangen, die auch Vilnius’ älteste Straße ist, und habe mich von den schönen Gebäuden einlullen lassen. Der Großteil sah aus wie frisch saniert, besonders die rosafarbene Kirche des heiligen St. Kasimir glänzte in all ihrer Pracht und Herrlichkeit. Erwähnenswert sind auch die Philharmonie und der Rathausplatz.



Der architektonische Knüller wartete jedoch am Ende der Altstadt auf mich. Von der Pilies gatvė kommt man direkt zum Katedros aikštė, dem Kathedralenplatz. Da kann einem eigentlich nur die Kinnlade herunterfallen. Prunkstück ist natürlich die Kathedrale, die wie ein griechischer Tempel gebaut ist. Dazu gesellen sich noch der knapp 60 Meter hohe, freistehende Glockenturm und die Statue von Großfürst Gediminas und Pferd. Genauer „inspiziert“ habe ich das ganz jedoch erst später.


Ich hatte nämlich Hunger und machte mich auf, etwas einzukaufen. Auf dem Rückweg bin ich an einem Markt vorbeigekommen. Am Straßenrand standen alte Frauen, die eine sehr überschaubare Menge an Gemüse und Obst verkauft haben, noch etwas, dass mich an die Ukraine erinnert hat. Ich bin aber lieber in einen Supermarkt gegangen, Iki, der sich im Busbahnhof befindet. Es hat eine Weile gedauert, bis ich alles gefunden hatte, besonders in der Molkereiabteilung war ich ein wenig vom Angebot erschlagen. Wenigstens hatte ich daran gedacht, nachzusehen, was Milch auf Litauisch heißt (pienas). Sie hatten sogar eine ziemlich große Auswahl an Käse, das ist in Osteuropa ja nicht immer so. Die größte Überraschung erlebte ich jedoch in der Frühstücksabteilung, denn was entdeckte ich dort: Weetbix!!! Oder „Weetabix“, wie sie dort heißen. Mein Lieblingsfrühstück aus Australien! Es handelte sich um einen Frankreichimport, der stolze 10lt (knapp drei Euro) kostete, aber das war es mir wert. Weetbix habe ich echt vermisst! Wie kann es sein, dass es die in Frankreich und Litauen gibt, aber nicht in Deutschland (oder sagen wir mal bei mir in der Nähe)?



Die Preise sind erwartungsgemäß niedriger als in Deutschland, jedoch nicht überall. Zwei Liter Milch kosten z.B. 1,75€ und 1,5 Liter Wasser 50 Cent. Für zwei Liter Milch, Weetabix, Brot, Butter, Käse, Gurke, Nudeln, Tomatensoße, zwei Flaschen Wasser, Rasierklingen und einen Shoppingbag habe ich 46lt (ca. 13,30€) bezahlt, da kann man nicht meckern. Blöd war nur, dass die Kassiererin etwas zu mir gesagt hat, das ich natürlich nicht verstanden habe, also habe ich nur mit den Achseln gezuckt. Ich muss zugeben, dass es mich sehr genervt hat, dass ich kein Litauisch kann. Ich hatte schon versucht, ein bisschen was zu lernen, aber mehr als „Guten Tag, bitte, danke“ etc. kommt meist nie bei raus. Zumal Litauisch auch nicht ganz leicht ist und kaum Ähnlichkeiten zu irgendeiner anderen Sprache aufweist, die ich halbwegs kenne. Dabei gilt Litauisch als die „konservativste“ europäische Sprache, da sie der indogermanischen Ursprache angeblich am ähnlichsten ist.



Als ich wieder im Hostel war, konnte ich dann auch in den Dorm. Insgesamt gab es in dem Gebäude nur drei Schlafsäle, die Doppelzimmer befanden sich irgendwo anders. Ich musste erst durch einen sehr niedrigen Durchgang und dann durch einen anderen Dorm, bis ich im richtigen Zimmer war. Nebenan gab es noch ein Badezimmer „for girls“, das durch eine Schiebetür vom Schlafsaal getrennt war. Es war wohl erst nachträglich zum Damenbad umfunktioniert worden (man hatte ein Blatt Papier an die Tür geklebt), aber die Toilettenräume waren auch so eng und niedrig, dass ich da kaum reingepasst habe. Ein großer Mann hätte da wirklich Schwierigkeiten. Dafür gab es Fußbodenheizung.



Zu meiner großen Überraschung war noch kein Bett belegt, sodass ich freie Auswahl hatte. Ich nahm natürlich das untere Bett mit den Steckdosen in der Nähe. Das Bettenbeziehen war noch um einiges überraschender, denn es gab nicht mal einen Kopfkissenbezug und das Laken und der Bettbezug waren zu klein für Bett und Decke, was schon eine Leistung ist, denn das Bett selbst war knapp zwei Meter lang und nur ca. 60cm breit. Gut, dass ich nicht oben schlafen musste, da wäre ich wahrscheinlich prompt heruntergefallen, da es nicht mal ein Gitter oder ähnliches gab.



Nachdem ich ein bisschen Schlaf nachgeholt und den wahrscheinlich grauseligsten Kaffee in meinem Leben getrunken habe, bin ich noch mal in die Stadt hinausgezogen. Diesmal bin ich nicht direkt die Aušros vartų gatvė entlang geschlendert, sondern die vielen kleinen Nebengassen. Ich finde es immer erstaunlich, dass dort Autos herfahren, da sie so eng sind, dass die meisten Fußgänger eh mitten auf der Straße laufen.


Von dort bin ich zum Gediminashügel gegangen, der sich direkt hinter der Kathedrale befindet. Der Weg nach oben war ebenfalls wild mit Kopfsteinen bepflastert, was nicht so übermäßig angenehm für die Füße war, dafür war er nicht besonders lang. Keine Überraschung, wenn man bedenkt, dass Litauens höchste Erhebung es gerade mal auf 294m bringt. Oben angekommen hat man einen ganz ordentlichen Blick über die Stadt, aus der einige Hochhäuser und sehr viele Kirchtürme herausragen. Auch gibt es dort noch Überreste einer ehemaligen Burg. Man kann auch den Turm besteigen, da er jedoch so nicht hoch ist, habe ich beschlossen, mir die 5lt Eintritt zu sparen.


  
Anschließend bin ich in die Kathedrale gegangen. Auch von innen ist sie sehr beeindruckend, mit den vielen Gemälden, den verschnörkelten Nebenkapellen und dem griechisch-antiken Altar. Zu Sowjetzeiten wurde sie übrigens als Galerie verwendet. Zwei Dinge haben mich auch hier an die Ukraine erinnert: Zum einen, dass die ganze Zeit eine Stimme ertönte, aber niemand eine Messe abhielt. In der Ukraine gibt es auch diese rund-um-die-Uhr-Beschallung, da viele nur für ein paar Minuten in die Kirche gehen, etwa in der Mittagspause. Zweitens gab es eine Nachbildung des Turiner Grabtuchs, hier aber hinter einer Absperrung, sodass die Gläubigen nicht herantreten und die Glasvitrine abknutschen können.

  


Kaum dass ich draußen war, gab es jedoch einen Wolkenbruch der Extraklasse, sodass ich erstmal mit anderen Touristen und mehreren Jugendlichen mit Fahrrad unter dem Vordach der Kathedrale stehen geblieben bin. Immerhin konnte ich so die Figuren genauer studieren, die rundherum in den Wänden des Gotteshauses stehen, u.a. Moses. Nach einer halben Stunde ungefähr ließ der Regen nach. Ich beschloss, meine Erkundungstour abzubrechen, falls es erneut so schütten sollte (intelligenterweise hatte ich nämlich auch meine Regenjacke im Hostel vergessen). Auf dem Rückweg kam ich immerhin noch am Präsidentenpalast und der Universität vorbei, zwei recht beeindruckenden Gebäuden.



Präsidentenpalast

Uni

Zurück im Hostel war es dann eigentlich auch schon Zeit für das Abendessen, traditionellerweise Nudeln mit Tomatensoße. Leider gab es nur ein Cerankochfeld, sodass das Kochen vergleichsweise lang gedauert hat. Noch bedauerlicher war nur, dass die Nudelpackungen in Litauen bloß 400 Gramm umfassen und die Spirali von der Konsistenz ziemlich pappig-matschig waren. Wenigstens war die Soße in Ordnung. Richtig erstaunlich war, dass ich das Hostel anscheinend ganz für mich allein hatte. Mittags waren noch ein paar Leute herumgelaufen, u.a. ein paar Engländer, aber nun war niemand in der Küche oder in den Schlafsälen zu sehen. Das war mir ganz recht, so konnte ich mich wenigstens ungestört zur Ruhe betten.  

Kommentare

  1. Also um das Gepäck zu wiegen und abzumessen hat RYAN Air scheinbar Personal, für's verladen aber nicht. 10kg braucht kein Mensch zu wiegen und abzumessen, wenn es verladen wird.

    Rudi

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