Litauen VI: The Morning I Got to Hell (Teil 2)

Am Samstag habe ich erstmal länger geschlafen, in erster Linie, weil die anderen alle zur selben Zeit aufgestanden sind und ich gewartet habe, bis das Bad frei war. Danach habe ich mich daran gemacht, meinen eigentlichen Plan vom Vortag aufzugreifen und mir das Museum der Genozidopfer anzusehen. Auf dem Weg dorthin kam ich am Rathaus vorbei, wo ich eine wunderbar klingende Musik vernahm. Auf den Stufen saß ein Jugendorchester, das hauptsächlich Flöten und, festhalten, ziemlich große Hackbretter spielte. Ich hatte noch nie solche Hackbretter „live“ gesehen, geschweige denn gehört und war ganz fasziniert. Wenn ich das Orchester hörte, sah ich tiefe, dunkle Wälder und Feen vor meinem geistigen Auge, ein echter Mittsommernachtstraum. Leider waren sie noch bei der Probe und nach einem Stück war alles vorbei. Ich wartete bestimmt noch 20 Minuten vergeblich darauf, dass sie noch einmal etwas anstimmten, bevor ich weiter ging.


Das Museum befindet sich in der Gediminos Prospektas, der Haupteinkaufsstraße, die typisch für den Osten, fast endlose Paradestraße, die früher Stalin- bzw. Leninstraße hieß. Das ehemalige KGB-Gebäude, das sie nach dem Krieg von der Gestapo übernommen haben, sieht von außen ziemlich beeindruckend aus, jedoch sticht es nicht besonders heraus. Was es von den anderen Häusern unterscheidet sind die Namen der Opfer, die im Inneren gequält wurden und deren Namen in die Mauern eingraviert sind. Ich will ihnen in meinem Hause und in meinen Mauern einen Ort und einen Namen geben… einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll.



Daneben gibt es ein kleines Denkmal, das ebenfalls an die Opfer der Sowjetdiktatur erinnert, an dem Kränze und Blumen niedergelegt waren. Zudem waren an der Ecke einige Bilder von Kindern ausgestellt, die zeigten, was diese unter einem Genozid verstehen. Der Eingang des Museums befindet sich in der Seitengasse, 6lt kostet der Eintritt. Der einzige Wehrmutstropfen war, dass man nicht fotografieren durfte. Es war ziemlich gut besucht an diesem Tag, vor allem waren sehr viele Norweger in roten Shirts da, die wohl einem Orchester angehörten und wegen eines Auftritts nach Vilnius gekommen waren. Erstaunlich fand ich, dass sie ihre Kinder dabei hatten. Ich finde, so ein Museum ist zu grausam für die Kleinen.


Im ersten Stock gab eine Ausstellung über den Partisanenkrieg, der von 1944 bis 1953 stattfand. Die so genannten „Waldbrüder“ kämpften gegen die sowjetische Besatzung, wobei ihnen oft die ländliche Bevölkerung half. Die meisten Partisanen waren jünger als 21; insgesamt gab es ca. 500.000 von ihnen, wovon die Hälfte getötet oder deportiert wurde. Auch viele Frauen waren darunter, die in erster Linie als Botschafter tätig waren. Die jüdischen Partisanen wurden übrigens nicht extra erwähnt. Ob es damit zusammenhängt, dass sie von den anderen Partisanen oft nicht akzeptiert wurden?



In den Räumen waren viele Gegenstände ausgestellt, die einmal Partisanen gehört hatten, wie Mäntel, Schuhe und natürlich Waffen. Dazu gab es viele Fotos, vor allem von toten Partisanen, die zur Abschreckung auf Marktplätzen und ähnlichen Orten abgelegt worden waren. Hinzu kamen einige zeitgenössische Karikaturen. Ich erinnere mich an eine, die Stalin als Menschen fressendes Schwein darstellte.



Im Westen ist gar nicht so bekannt, wie verhasst die Sowjets in den besetzten Ländern waren. Ich hatte z.B. nicht gewusst, dass die Partisanen versucht haben, die Westmächte zu einem militärischen Eingreifen gegen Russland zu überzeugen, aber nach sechs Jahren Weltkrieg hatten die erstmal die Schnauze voll. Westdeutschland hatte ja das Glück, dass es 1945 mit der Diktatur vorbei war, aber für viele Staaten im Osten war das nur der Beginn einer weiteren Terrorherrschaft.



Im zweiten Stockwerk ging es um die Deportationen nach Sibirien, eine beliebte Möglichkeit, sich unerwünschter Mitbürger zu entledigen. Dort gab es viele Arbeitslager, in die z.B. Partisanen geschickt wurden (wenn man sie nicht liquidiert hat). Aber nicht nur Partisanen waren unter den Deportierten, auch ganz „normale“ Bürger, die z.B. einer ethnischen Minderheit angehörten. Die Sowjets haben ja alles daran gesetzt, die Kulturen der Minderheiten auszurotten und eine „Zwangsrussifizierung“ vorangetrieben.



Den Betroffenen wurden oft nur ein oder zwei Stunden zum Packen gegeben und viele waren so überrascht und verunsichert und wussten auch nicht, wie lange sie weg bleiben würden oder wohin es ging, dass sie viele wichtige Sachen zu Hause vergessen haben. Die Menschen wurden auf überfüllte Viehtransporte oder offene Lastwagen gebracht, dann begann die wochen-, wenn nicht gar monatelange Reise. Dabei fehlte es an Medikamenten und ausreichend Nahrung, sodass viele Menschen, vor allem Ältere und Kinder, schon auf dem Weg starben.



Ein Teil der Ausstellung widmete sich besonders den Kindern. Sie gingen in der Fremde zur Schule, wurden aber zuhause oft noch zusätzlich von ihren Eltern in ihrer Muttersprache unterrichtet, um die kulturelle Identität zu bewahren. Ihre Familien wussten oft nicht, wie sie mit den neuen Lebensbedingungen umgehen sollten, vor allem mit den strengen Wintern. Häufig fehlte es an adäquater Kleidung, sodass viele Kinder gestorben sind.



Insgesamt rund 1700 Leute wollten das nicht hinnehmen und haben versucht, aus Sibirien zu fliehen, aber ca. 1000 von ihnen wurden wieder eingefangen. Zur Strafe wurden sie zu je drei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Übrigens wurden auch viele Priester deportiert und getötet, die den Sowjets natürlich auch ein Dorn im Auge waren. Man schätzt, dass ungefähr sechs Millionen Menschen von der Zwangsumsiedlung betroffen waren und eine bis anderthalb Millionen von ihnen an den Folgen gestorben sind.



Zudem gab es noch eine kleine Ausstellung zum KGB, aber da war vieles nur in Litauisch, sodass ich es nicht verstanden habe. Das letzte Zimmer beschäftigte sich mit den Widerstandsbewegungen der Achtziger Jahre. Die bemerkenswerteste Aktion dabei war sicher der „Baltic Way“, eine Menschenkette, die von Tallinn bis nach Vilnius reichte. Wie wir alle wissen, hatte der friedliche Protest Erfolg und 1993 zogen schließlich die letzten sowjetischen Soldaten aus Litauen ab.



I saved the worst for last, denn danach bin ich in den Keller gegangen, in dem sich das ehemalige KGB-Gefängnis befindet. Schon als ich die Stufen herunterging, konnte ich dieses typischen, muffigen Knastgeruch vernehmen, der noch strenger war als in den anderen Gefängnissen, die ich bisher besucht habe. Direkt neben mir war schon die erste Grausamkeit: „Wartezellen“, die gerade so breit waren, dass man dort sitzen konnte (zu Beginn nicht mal das). Bei ihrer Ankunft wurden die Gefangenen erst einmal dorthin verfrachtet, wo sie drei Stunden warten mussten, bis sich jemand um sie „kümmerte“. Ihre sämtlichen Besitztümer hat man ihnen abgenommen und es wurden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen.



Gegenüber war das Badezimmer. Die Gefangenen wurden einmal im Monat (später einmal in der Woche) zum Duschen geführt. Dabei drehte der Wärter den Hahn und entschied willkürlich, ob das Wasser entweder kochend heiß oder eiskalt war. Einmal am Tag durften sie zur Toilette gehen, sonst musste ein Eimer herhalten. Das einzig halbwegs positive, dass ich dort erfuhr war, dass das Gefängnis unter chronischem Personalmangel litt. Das sollte mich nicht überraschen, welcher normale Mensch würde schon freiwillig Menschen so quälen, aber nach allem, was ich über die Nazi-Mitläufer erfahren habe, hätte es mich nicht verwundert, wenn potentielle Wärter dort Schlange gestanden hätten.



Da das Gefängnis bloß ein Stockwerk umfasst, gibt es nur wenige Zellen und noch weniger „normale“. Daran sieht man schon, dass das Gefängnis nicht zur Inhaftierung diente. Bis zu 20 Gefangene mussten sich eine Neun-Quadratmeter-Zelle teilen. Es waren in erster Linie Partisanen, die dort landeten, aber auch Priester und überhaupt alle, die sich irgendwie gegen die Besatzung wehrten. Eine Zelle erinnerte an die 20 Prozent aller Priester, die unter Verfolgungen zu leiden hatten. Die Gefangenen wurden nur „Beginnt mit A“ oder „Beginnt mit B“ genannt, damit sie so wenig voneinander wussten wie möglich.



Es war ihnen nicht erlaubt, miteinander zu sprechen, denn sonst sperrte man sie in die Isolationszelle. Dies war ein fast komplett dunkler Raum, in dem es nur ein kleines Fenster gab. Der Gefangene wurde bis auf die Unterwäsche ausgezogen und erhielt 300g Brot und 500ml warmes Wasser am Tag, mehr nicht. Vor allem im Winter muss das eine kaum vorstellbare Tortur gewesen sein.



Der zweitgruseligste Raum dort ist die „weiche Zelle“, die Gummizelle. Dort wurden alle hingebracht, die sich weigerten, mit dem KGB zu „kooperieren“. Die Isolation der Wände diente in erster Linie der Schalldämpfung, damit niemand das Geschrei der Gefangenen hören konnte, wenn sie verprügelt wurden. Anschließend wurden sie in eine Zwangsjacke gesteckt und mussten in der Dunkelheit sitzen, bis ihr Mut gebrochen war. Man kann die Zelle immer noch sehen, inklusive einer schwarzen Zwangsjacke, die dort aufgehängt ist. Das war sehr, sehr grauenvoll.



Ebenfall sehr schlimm waren die „nassen Zellen“. Der Boden war mit kaltem Wasser bedeckt, das im Winter gefror. Der einzige Schutz des Gefangenen davor ist eine kleine rutschige Metallplatte mit 30cm Durchmesser, auf der er balancieren musste. Teilweise mussten die Gefangenen dort Tage verbringen, bis sie aufgaben oder ohnmächtig wurden.



Es gab auch so etwas wie Hofgang, 10 bis 15 Minuten am Tag durften die Gefangenen nach draußen, wobei sie aber immer im Kreis laufen und sich an den Händen fassen mussten. Von dort ging es zum gruseligsten Raum im Gebäude: der Exekutionskammer. Rund 2000 Menschen wurden dort getötet, und erschreckenderweise hat man die Leichen von 700 von ihnen bisher nicht gefunden. Man vermutet, dass sie irgendwo in einem Umkreis von 30km vergraben wurden.



Das war nicht mein erstes Gefängnis und auch nicht meine erste Exekutionskammer, aber trotzdem traute ich mich kaum, hereinzugehen. Möglicherweise war dies auch das Schrecklichste, was ich bisher gesehen habe. Es gab ein kleines Vorzimmer, das zur eigentlichen Kammer führte. Diese war kaum zwei Meter groß und hatte einen Glasfußboden (nicht original) unter dem die Gegenstände von ehemaligen Opfern lagen. Die Wände waren sehr heruntergekommen, wahrscheinlich vom ständigen Abschrubben.



Es lief ein Video, das zeigte, wie ein Gefangener in den Raum geführt und dort in den Hinterkopf geschossen wurde, da wurde nicht lange gefackelt. Manchmal wurden ihnen auch in den Kopf gestochen. Das war alles sehr verstörend, ähnlich wie in Paneriai: dort zu stehen und zu wissen, dass dies das letzte ist, was viele Menschen in ihrem Leben gesehen haben. Nur, dass diese Hölle ganz und gar nicht schön ist (nicht, dass das irgendeinen Unterschied machen würde).



Außerdem gab im Gefängnis es noch eine Fotowand, die die Bilder toter Partisanen versammelte. Einigen von ihnen waren die Augen ausgestochen. Den Abschluss bildete eine Tür, die aus dem berüchtigten Lukischker Gefängnis stammte. Ich kenne es aus Abrahams Buch, da viele Juden dorthin verschleppt und gefoltert wurden, von den Nazis. Man hatte ihnen die Haare ausgerissen, die Finger und Zehen abgeschnitten, ihre Zungen mit Nadeln und die Penisse der Männer mit glühenden Drähten durchstochen. Kleine Mädchen wurden vergewaltigt, während ihre Mütter daneben sitzen und aufpassen mussten, dass sie nicht schreien. Das sind die Dinge, die hinter so einer schweren Eisentür geschehen sind.



Da war ich auch mit dem Museum durch und musste erstmal ganz dringend an die frische Luft. Obwohl ich nur eine gute Stunde dort war, habe ich eine ganze Menge gelernt, vor allem, wieder, über die Abgründe der menschlichen Natur. Gefängnisse sind immer schlimm, aber das war mit Abstand das Schlimmste, in dem ich je war, denn das einzige „Verbrechen“ der Gefangenen dort hatte darin bestanden, dass sie ihre eigene Sprache sprechen und ihre eigene Kultur pflegen wollten und sich gegen ein barbarisches Terrorregime zur Wehr gesetzt haben.



Was in aller Welt ist nur mit mir los? Andere Leute legen sich im Urlaub an den Pool und lassen sich Cocktails servieren, und ich? Ich schaue mir Massengräber und Foltergefängnisse an. Ich bin doch nicht ganz fit. Und es sollte nicht besser werden: Gegenüber dem Museum auf dem Lukiškių aikštė gab es eine Ausstellung, die die World Press Photos des Jahres vereinte. Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen, wenngleich auch hier eins deutlich wurde: Hell Is A Place on Earth (frei nach Belinda Carlisle).



Das Gewinnerbild zeigte eine junge Afghanin, Bibi Aisha, der die Taliban die Ohren und die Nase abgeschnitten hatten, weil sie ihrem Mann weggelaufen war, mit dem sie zwangverheiratet worden war. Teilweise gab es Kategorien wie Natur oder Sport. Sie zeigten z.B. die Ölkatastrophe im Golf von Mexico, die so schon fast schön aussah, oder bolivianische Frauen, die in Trachten rangen. Krass war ein Matador, dem der Stier sein Horn durch Kinn und Zunge gebohrt hatte. Der Matador überlebte und steht heute wieder in der Arena.



Es gab Portraitfotos von einem russischen Matrosen und einem sudanesischen Bauern und sehr viele Fotos von (Natur)Katastrophen: Die Massenpanik während der Loveparade, Erdbeben in Pakistan und auf Haiti und Überschwemmungen in Indien, die u.a. ein schlafendes Mädchen zeigten, das beinahe vollständig von Fliegen bedeckt ist. Außerdem gab es so manch merkwürdige kulturelle „Eigenart“, wie z.B. ein Zug in Bangladesh, der so überfüllt war, dass die Leute sogar auf dem Dach saßen, oder ein Bild aus dem Niger, das Überreste von Tieren zeigte, Fleisch und Knochen, die in den Bäumen hingen.



Dazu gab es noch eine „Kammer“, in der die besonders grauseligen Bilder hingen. Eins zeigte z.B. einen Mann in Budapest, der sich angezündet hat und von einer Brücke gesprungen ist. Menschen, die von Vulkanasche bedeckt waren. In Haiti sah man einen Mann, der ein totes Kind auf einen Leichenhaufen warf. In Tibet wurden die Toten eines Erdbebens aufgebahrt und für die Verbrennung vorbereitet. Normalerweise lässt man die Toten draußen liegen und wartet, bis sich die Geier ihrer annehmen, aber angesichts der Massen an Leichen blieb diesmal nur die Kremation.



Eine Serie befasste sich mit illegalen Abtreibungen in Kenia. Diese sind dort verboten, sodass die Frauen keine andere Wahl haben, als die Schwangerschaft illegal in irgendwelchen Hinterhöfen zu beenden. Die Bedingungen sind absolut primitivst: Die Latex-Handschuhe werden gewaschen und noch einmal verwendet (Infektionen hurra) und als „Instrumente“ dienen ein Gummiröhrchen und eine Stricknadel. Ein Bild zeigt eine Frau (unverheiratet, 24 Jahre mit drei Kindern), deren Intimbereich mit Bandagen umwickelt ist, die mit Blut durchtränkt waren. Übrigens sterben in Kenia jedes Jahr mind. 2600 Frauen an einer illegalen Abtreibung und ca. 21000 müssen wegen Komplikationen hospitalisiert werden. Und wer eine Abtreibung durchführen lässt, muss mit sieben Jahren Gefängnis rechnen, wer sie durchführt, mit dem doppelten.



Das hat mich so wütend gemacht! So etwas passiert, wenn man Abtreibungen verbietet! Die Frauen können nicht zum Arzt, sondern müssen zu irgendwelchen Pfuschern, die keine Ahnung haben. Oder sie versuchen es selbst, mit Kleiderbügeln und Häkelnadeln, oder irgendwelchen obskuren Mittelchen, die verhindern, dass der Körper Vitamin C aufnimmt, sodass sie an Skorbut sterben. So viel Leid wegen ein paar misogynen Spinnern, die nicht wollen, dass Frauen über ihren eigenen Körper bestimmen. Ich finde, dass Politiker, die Abbrüche verbieten, sich mitschuldig am Tod dieser Frauen machen. Frauen, die zu einem anderen Zeitpunkt ein Kind hätten haben können, wenn der Abort fachgerecht durchgeführt worden wäre.



Das erinnert mich an Brasilien, wo eine illegale Abtreibung die zweithäufigste Todesursache bei Frauen unter 30 ist. Wie der Fall eines neunjährigen Mädchens, das von seinem Stiefvater vergewaltigt und mit Zwillingen schwanger wurde. Hätte sie die Kinder ausgetragen, wären sie und die Babys gestorben, also hat sie sie abtreiben lassen, woraufhin sie von der Kirche exkommuniziert wurde. Das Mädchen wohlgemerkt, nicht der Mann, der es vergewaltigt hat. So viel zum Thema Nächstenliebe. Verdammte Heuchler.



Schrecklich war auch die Serie über ein Gefängnis in Sierra Leone. Australische Knäste fand ich ja schon schrecklich, aber im Vergleich zu diesem war es schon fast ein Paradies. Sie sind heillos überfüllt, u.a. deswegen, weil viele Menschen dort monate- wenn nicht jahrelang auf ihren Prozessbeginn warten müssen, da das Alter der Beklagten feststehen muss, aber kaum jemand eine Geburtsurkunde hat. Viele der mutmaßlichen Delinquenten sind noch minderjährig; die meisten von ihnen wurden wegen Diebstahl inhaftiert (merke: nicht verurteilt), wofür schon eine Denunziation reicht. Die Gefangenen dürfen weder juristischen Beistand noch Familienbesuche empfangen.



Die hygienischen Bedingungen sind nicht weniger als katastrophal: Im Hof gibt es nur eine Latrine, die sich 240 Personen teilen müssen. Dabei gibt es auch Toiletten, deren Benutzung aber kostenpflichtig ist. In den 25-Quadratmeter-Zellen hausen 60 Leute, ohne Matratze oder Decke. Auch sie müssen sich einen Eimer teilen, sodass sie Infektionskrankheiten natürlich in Null Komma Nichts verbreiten. Sie müssen sogar fürs Bade- und Trinkwasser bezahlen.



Zu guter Letzt waren noch Bilder vom mexikanischen Drogenkrieg zu sehen, oder vielmehr von einer ganzen Reihe Leichen. Menschen, die im Zuge dessen gefoltert und liquidiert wurden. Das gruseligste Bild zeigte den abgetrennten Kopf eines Mannes, dessen Körper man in 20km Entfernung gefunden hat. Außerdem waren Bilder einer Schießerei in Brasilien zu sehen, die zwei Männer zeigte, die sich gegenseitig erschossen.



Außerhalb der Kammer gab es noch zwei „Spezialserien“. Eine umfasst die Bilder, die die gefangenen chilenischen Kumpel mit einer Digitalkamera gemacht haben, die anderen sich Schnappschüsse, die ein Fotograf Google Street View entnommen hat. Diese zeigen z.B. eine alte Frau, die bewusstlos (oder tot?) auf der Straße liegt und eine Person, die sich hinter einem Auto erleichtert. Exposed for all the world to see. Das war eine sehr bewegende Ausstellung und ich habe mir gewünscht, ich könnte auch so fotografieren. Die Bilder könnt ihr euch übrigens hier anschauen: http://www.worldpressphoto.org/winners/2011

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