Movie Night: Searching for Sugar Man



Es ist ziemlich selten, dass ein Dokumentarfilm weltweit für Aufsehen sorgt, und ganz besonders eine Musikdokumentation. Searching for Sugar Man ist eine solche Ausnahme: In den letzten ein- bis eineinhalb Jahre konnte man fast überall etwas über den Film des schwedischen Regisseurs Malik Bendjelloul lesen. Der Grund dafür ist einfach: Sugar Man erzählt eine Geschichte, die eigentlich zu außergewöhnlich ist um wahr zu sein und sich doch so zugetragen hat.

Sugar Man befasst sich mit dem Werk des amerikanischen Musikers Rodriguez. Rodriguez wer? mag sich manch einer fragen. Sixto Rodriguez war ein Sänger und Songwriter aus Detroit, der Anfang der Siebziger Jahre zwei Platten aufnahm, die allerdings kolossale Flops waren. In den USA. Denn irgendwann, niemand weiß genau wie, fand eine Kopie seines Debüts Cold Fact den Weg nach Südafrika. In dem Land war die Apartheid auf ihrem Höhepunkt angelangt und jeder, der sich dagegen aussprach lief Gefahr, inhaftiert zu werden. In diesem totalitären System trafen Rodriguez' Songs die Nerven all jener, die die Unterdrückung der Bevölkerungsmehrheit ablehnten. Rodriguez' Musik inspirierte nicht nur den musikalischen Protest seitens der Afrikaander, für viele Südafrikaner war sie der Soundtrack der Anti-Apartheid-Bewegung. Obwohl seine Songs im Radio nicht gespielt und seine Platten zerkratzt (!) wurden, damit die Leute sich bestimmte Titel nicht anhören konnten, war Rodriguez so etwas wie ein Volksheld. Er war bekannter als die Stones, er war sogar bekannter als Elvis.

Trotzdem wusste in Südafrika niemand etwa über Rodriguez. Wo er herkam, wie er wirklich hieß... gar nichts. Am Kap kursierten die abenteuerlichsten Gerüchte. Es hieß, dass sich Rodriguez auf der Bühne das Leben genommen habe. Manche sagten, er habe sich erschossen, andere sagten, er habe sich vor versammeltem Publikum angezündet. Schließlich machten sich zwei Fans - der Plattenhändler Steven "Sugar" Segerman und der Musikjournalist Craig Bartholomew-Styrdom - in der Neunzigern auf, mehr über Rodriguez und dessen Tod zu erfahren. Was sie schließlich herausfanden, konnten sie zunächst selbst nicht glauben. Da die Geschichte sich mittlerweile ziemlich verbreitet hat, verrate ich glaube ich nicht zu viel, wenn ich sage, dass Rodriguez nach wie vor quicklebendig ist. Die ganzen Jahrzehnte lebte er als Bauarbeiter in Detroit ohne zu wissen, dass er in Süadfrika ein absoluter Superstar ist. Die beiden Hobby-Detektive holten ihr Idol schließlich in ihr Land, wo er einige ausverkaufte Konzerte gab.

Der ganze Film ist ein Beweis dafür, dass das Leben immer noch die besten Geschichten schreibt. Niemand hätte sich so etwas ausdenken können und wenn doch, hätte mit Sicherheit jeder geantwortet, dass die Story total unrealistisch und überzogen ist. Aber es ist wirklich passiert. Doch auch wenn das große Geheimnis um Rodriguez' Verbleib gelöst ist und er zu spätem Ruhm gefunden hat, bleiben einige Rätsel bestehen. Das erste ist, wieso Rodriguez seinerzeit so unerfolgreich war. Ich habe mir in den letzten Monaten seine Songs angehört, was ein ziemlich einzigartiges Erlebnis war. Rodriguez' Lieder sind so dermaßen gut, dass es schon fast nicht zu glauben ist. Er kann es zweifellos mit den Großen seiner Generation wie Bob Dylan oder Townes Van Zandt aufnehmen, und doch hat praktisch niemand in den USA seine Alben gekauft. Es mag daran gelegen haben, dass er Hispanic ist, aber trotzdem ist es unbegreiflich. Das zweite Rätsel ist, warum Rodriguez erst durch die Suchaktion von seinem Ruhm in Südafrika erfahren hat. Das gibt diesem "Märchen", wie die Geschichte oft bezeichnet wird, doch einen sehr traurigen Beigeschmack, denn allem Anschein nach ist er jahrzehntelang um seine Tantiemen betrogen worden. Und nicht nur er, auch Rodriguez' Produzenten haben keinen Cent von den hundert-tausenden Platten gesehen, die er verkauft hat. Offenbar bekommt er sogar immer noch kein Geld für seine beiden Alben. Mittlerweile wird die ganze Sache aber wohl rechtlich untersucht, was auch dringend nötig ist. Rodriguez selbst ist übrigens ein sehr bescheidener Mann, der immer noch in dem selben Haus lebt wie vor 40 Jahren und seine Tourerlöse größtenteils verschenkt hat. Wow.

Die Geschichte von Searching for Sugar Man ist natürlich Gold. Allerdings versteht es Bendjelloul auch, sie zu erzählen. Neben zahlreichen Interviews mit Fans, Kollegen, der Familie und auch Rodriguez selbst, ergänzt der Regisseur sein Debütwerk mit Animationen und wunderschön gefilmten Außenaufnahmen und lässt so das Detroit und das Kapstadt der Siebziger Jahre wieder auferstehen. Das alles macht Sugar Man zu einer Dokumentation, die spannender und bewegender ist als viele Spielfilme - wofür Bendjelloul zurecht mit dem Oscar und anderen Preise überhäuft wurde.

Fazit: The music documentary to end all music documentaries.

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