Crossing Border Enschede 2013 (Part 2)

So, hier nun der zweite Teil zum Crossing Border. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber im Dezember ist immer so viel zu tun mit Weihnachtsmärkten, Adventskonzerten etc. Der Freitag verlief nicht ganz so wie ich es geplant hatte. Da die Konzerte erst abends begannen, wollte ich tagsüber nach Enschede fahren und mir das Rijksmuseum ansehen. Leider wachte ich mit einem Nackenschuss auf, sodass ich mich sowohl körperlich als auch geistig nicht zum Sightseeing aufraffen konnte. Also hing ich, abgesehen von einem kleinem Ausflug zur Apotheke und zum Bäcker (dessen Regale schon am späten Vormittag nahezu leergeräumt waren), den ganzen Tag in Pension ab.

Abends bin ich natürlich trotzdem zum Crossing Border gefahren. Als erstes stand Radical Face, der eigentlich Ben Cooper heißt, auf dem Programm. Noch so eine Name, der mir vorher gar nicht gesagt habe, aber nachdem ich sein letztes Album The Family Tree: The Branches gehört habe, war ich Feuer und Flamme. Cooper hatte vier Herren mitgebracht: einen Bassisten, einen Schlagzeuger, einen Cellisten (Bonuspunkte dafür!) und Jeremiah, der Keyboard, Melodica, Gitarre und Beine spielte. Die Musik ist nicht leicht zu kategorisieren. Die Songs haben einen folkigen Kern, aber oftmals üppige Arrangements. Ein Song (ich weiß nicht mehr welcher) habe zum Beispiel als Klavierstück angefangen und sich mittlerweile zur Post-Rock-Nummer entwickelt, wie Cooper erklärte. Ich vermute, dass es bei den anderen Liedern ähnlich war; dass sie als schlichte Folknummer begonnen haben und dann auf die bestmögliche Weise "ausgeufert" sind. Die Begleitmusiker entpuppten sich auch als recht experimentierfreudig: Während Jeremiah auf seinen Beinen herumtrommelte, hat der Schlagzeuger bei einem Song die Becken nicht geschlagen, sondern "gescratcht". Cool.

Zudem entpuppte sich Ben Cooper als echt witziger Kerl. Ich wünschte, ich hätte mein Notizbuch dabei gehabt, um aufschreiben, was er gesagt hat, da ich mir das immer so schlecht merken kann. Auf jeden Fall hat er angeboten, zu erzählen, wovon die Lieder handeln: "So you can see what a depressive guy I am." In einem ging es zum Beispiel um einen trinkenden Mann, der seine Frau und Kinder sucht; in einem anderen verübt ein Mann Selbstmord und ist dann als Geist in seinem Haus gefangen. "You can book me for parties, too", scherzte Cooper, nachdem er die schaurigen Geschichten erzählt hatte.


Das war wirklich ein rundum gelungener Auftritt. Nur schade, dass er meinen Favoriten "We All Go the Same" nicht gespielt hat, aber na ja. 3sat hat auf dem Festival übrigens ein kurzes Porträt über ihn gedreht, das sehr sehenswert ist.

Danach ging es zu These New Puritans, die ebenfalls in recht großer Besetzung unterwegs waren. Die Musik war ganz anders als ich erwartet habe, gar nicht so zart wie auf dem letzten Album, sondern sehr düster, um nicht zu sagen apokalyptisch. Und sehr laut. Es war schon interessant, aber auch ziemlich anstrengend, sodass ich nur 15 Minuten dort verbracht habe.


Die nächste Station war Cate Le Bon, die von drei Herren an an Bass, Drums und Keyboard begleitet wurde. Sie wird wohl ziemlich oft mit Nico verglichen, aber irgendwie liegt diese Parallele auch auf der Hand. Ihre Songs erinnern mich immer ein wenig an The Velvet Underground & Nico, nur dass sie nicht so experimentell sind und Cate Le Bons Stimme höher ist als die des deutschen Models. Ihr Auftritt gefiel mir ziemlich gut, sodass ich anders als geplant bis zum Schluss dortblieb.


Danach huschte ich für Warpaint in den Grolsch Zaal, der wie erwartet sehr voll war. Zuvor hatte ich nur sehr Positives über die Band gehört, auch wenn ich selbst etwas Schwierigkeiten hatte, mich mit The Fool anzufreunden, was ich darauf schob, dass ich nicht viel Zeit für das Album hatte. Aber auch im Konzert hielt sich meine Begeisterung in Grenzen. Ich bin einfach kein Fan davon, Vocals so sehr mit Effekten zu verstärken, dass man den eigentlichen Gesang kaum versteht. Am besten gefiel mir noch ein neuer Song namens "Love Is to Die". Eins muss man Warpaint allerdings lassen: die Band hat eine Wahnsinns-Drummerin. Ich bin dann nach gut 20 Minuten gegangen, um einen guten Platz für Shovels & Rope zu ergattern. Es ist jetzt auch nicht so, dass Warpaint schlecht waren, I just don't get the hype.


Shovels & Rope! Bevor es soweit war, las noch ein junger Mann namens Nathaniel Rich vor. In seinem Text erörterte jemand etwa 50 verschiedene Möglichkeiten, wie die Welt bzw. die Menschheit untergehen könnte. Jede für sich genommen war ziemlich erschreckend und auch gar nicht so unwahrscheinlich (Atomkrieg, Erdbeben, Pandemie), aber in dieser Masse wirkte es einfach absurd und komisch.

Nach einer Pause, die sich wie eine Stunde angefühlt hat, kamen dann endlich Shovels & Rope auf die Bühne. Michael Trent hatte eine schlichtes Hemd und eine Stoffhose an, aber Cary Ann Hearst trug ein knallrotes Kleid und Cowboystiefel. Außerdem war sie sehr erblondet. Sie begrüßte das Publikum mit "Howdy", was ich noch nie jemanden im wahren Leben habe sagen hören. Die beiden schienen sehr gute Laune zu haben. "We are stoked to be here", meinte Cary Ann freudig, bevor sie vorsichtshalber hinzufügte: "Stoked means very excited". Sie war ein richtiges Energiebündel und zog alle mit ihrem tollen Gesang sofort in ihren Bann.

Die beiden hatten eine Gitarre, ein kleines Drumkit und ein noch kleineres Keyboard dabei, die sie abwechselnd spielten. Zwischendurch fiel jedoch das Pedal der Basstrommel auseinander, woraufhin Cary Ann es wieder zusammensetzte, zur Begeisterung des Publikums, vor allem der Männer. Um das zu feiern, spielten die beiden "Hail Hail" (Rock'n'Roll). Nach einige Songs gab das Ding jedoch erneut seinen Geist auf, diesmal endgültig. "Son of a bitch!", rief Cary Ann, als sie versuchte, es zusammenzusetzen. "Is it broken broken?", fragte Michael. "It's a piece of shit!", rief Cary Ann. Die beiden entschieden sich, etwas Ruhigeres zu singen, bis jemand von der Crew mit Ersatz auftauchte.

Sie spielten in erster Linie Songs von ihren gemeinsamen Alben wie "Tickin' Bomb", "Boxcar" oder Gasoline", aber auch einige Solonummern sowie ein neues Lied. Ich war natürlich völlig aus dem Häuschen, als sie mein über alles geliebtes "Birmingham" darboten. Seit ich den Song zum ersten Mal gehört habe wollte ich ihn live erleben und das dies nun geklappt hat, hat mir wirklich alles bedeutet.


Das ist immer noch die Musik, die ich am liebsten mag. Guter alter Rock'n'Roll, rein und ehrlich, ohne irgendwelchen Schnickschnack. Und ich war offenbar nicht die Einzige, die das so sah. Das Publikum war, wie ich schon erwähnt hatte, während der Konzerte immer sehr gesittet um nicht zu sagen reserviert, aber bei Shovels & Rope flippten alle völlig aus und tanzten und sangen mit (soweit sie den Text kannten). Das Publikum wollte sie auch gar nicht gehen lassen, sodass sie noch eine Zugabe spielten (nicht selbstverständlich auf dem CB), und zwar "Lay Low", das, wie Cary Ann sagte, ihre Lieblingskomposition von Michael ist. Es war tatsächlich zum Zerfließen schön und wäre ein guter Abschluss gewesen, doch Michael wollte anscheinend nicht auf so einer traurigen Note enden ("I won't be back anytime soon"), sodass sie noch eine fetzige Rock'n'Roll-Nummer nachschoben, was ebenso gut war.


Sie hatten schon 80 statt wie geplant 60 Minuten gespielt, aber wenn es nach mir ging, hätten sie die ganze Nacht weitermachen können. Sie waren einfach so was von gut, sogar noch besser als ich mir es vorgestellt hatte. Wie erwartet mein Festival-Highlight.


Danach eilte ich schnell ins Wilminktheater, um den Rest von John Grant mitzuerleben. Er sah ganz anders aus, als ich ihn von Fotos kannte: groß, kräftig, mit Vollbart und Holzfällerhemd. Doch auch wenn er wie ein Folksänger aussah, war seine Musik ziemlich weit davon entfernt. Sein Markenzeichen sind große, sehr melodische Songs à la Elton John, die er mit unanständigen Texten wie "I am the greatest Motherfucker" kombiniert. Finale war "Queen of Denmark", für das ein Scheinwerfer Blitze abfeuerte, die so grell waren, dass ich meine Augen schließen musste. Die wenigen Songs, die mitbekommen habe, haben mir jedoch sehr gefallen und ich hätte gerne noch mehr gehört. Alas!


Auch in diesem Jahr war ich absolut zufrieden mit dem Crossing Border. 12 großartige Bands für 45 Euro, was kann sich ein Musikliebhaber mehr wünschen? Gut, mit Fahrt- und Übernachtungskosten war das ein nicht ganz so günstiger Ausflug, aber das war es mir auf jeden Fall wert. Dieser Moment, wenn man einen tollen Song hört und die ganze Welt um einen herum verschwindet; wenn nichts mehr außer dieser wunderbaren Musik zu existieren scheint - das ist einfach unbezahlbar.

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