Books I've Read: Paul Auster - Winter Journal


Unter all den Schriftstellern, die ich über alles liebe, nimmt Paul Auster eine ganz besondere Stellung ein. Ich habe schon mehrmals an anderen Stellen darüber geschrieben, dass es kein Buch gibt, dem ich mich so verbunden fühle wie Moon Palace. Die meisten Austerleser bevorzugen The New York Trilogy aber bei mir war es immer Moon Palace und es wird auch immer so sein. Es gibt keinen Menschen real oder fiktiv, mit dem ich mich so identifizieren kann wie mit Marco Stanley Fogg. Seit ich Moon Palace vor gut zehn Jahren zum ersten Mal gelesen habe, hat es mich immer begleitet. Es ist eins von den ganz wenigen Büchern, die meine Welt auf immer verändert haben.

Da ist es keine Überraschung, dass ich natürlich auch Austers neuestes Buch lesen musste, eine Autobiographie namens Winter Journal. Auster hat schön häufiger Autobiographisches geschrieben: Über den Tod seines Vaters in The Invention of Solitude, über außergewöhnliche Zufälle in The Red Notebook und über die vielen schwierigen Jahre, die dem Erfolg als Schriftsteller vorausgegangen sind in Hand to Mouth. Zudem lässt sich kaum bestreiten, dass der persönliche Anteil in Austers Romanen sehr hoch ist. In Winter Journal dreht sich alles um den Körper, der Ort an dem alles beginnt und der Ort an dem alles endet, wie Auster sagt. Schon mit dem ersten Satz trifft er den Nagel auf den Kopf: "You think it will never happen to you, that it cannot happen to you, that you are the only person in the world to whom none of these things will ever happen, and then, one by one, they all begin to happen to you, in the same way they happen to everyone else." Der Verfall ist vorprogrammiert und der Tod ist unausweichlich, also "speak now before it is too late".

Und Auster spricht, er erzählt. Das Buch ist keine chronologische Abhandlung, stattdessen diskutiert der 66-Jährige einzelne Aspekte, die alle mit körperlichen Empfindungen zu tun haben. Es geht viel um Krankheiten, noch mehr um Sex und ganz besonders um den Tod, um die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit. Einer der bemerkenswertesten Teile des Buches ist die Aufzählung aller Wohnungen, in denen Auster jemals für längere Zeit gelebt hat, 21 an der Zahl, vom Apartment in Newark, in dem er mit seinen Eltern nach seiner Geburt im Februar 1947 lebte über die Wohnungen, in denen er seine Pariser Jahre verbracht hat, bis hin zu dem Haus in Brooklyn, in dem er mit seiner Frau Siri Hustvedt wohnt. Diese Aufzählung ist alles anderes als langweilig, denn Auster macht deutlich, wie sehr die Orte an denen wir leben uns, aber auch unsere Beziehung zur Außenwelt, prägen.

Egal welches Thema er nun gerade diskutiert, Auster ist stets schonungslos offen. Er beschreibt, wie er beim Fahren unachtsam war und dies zu einem Unfall geführt hat, der leicht ihn und seine Familie hätte töten können (seitdem hat er sich nie wieder hinters Steuer gesetzt); er erzählt, wie er mit 20 seine damalige Freundin geschwängert hat und sie sich für eine Abtreibung entschieden haben (und wie ihn der Gedanke an das ungeborene Kind verfolgt); er schreibt über seine Besuche bei Prostituierten, über seine Geschlechtskrankheiten. Trotz allem ist er nie exhibionistisch. Er erwähnt seine erste Frau Lydia Davis nur selten, seine Tochter Sophie ebenso, seinen Sohn so gut wie gar nicht, und erst am Ende widmet er seiner Frau Siri, mit der er seit gut 30 Jahren verheiratet ist, eine Liebeserklärung. Auster wäscht keine schmutzige Wäsche.

Das Buch ist in weiten Teilen nachdenklich, traurig und bewegend, etwa wenn Auster beschreibt, wie er seine tote Mutter findet und es ihm nicht möglich ist, ihre Leiche anzuschauen. Allerdings bewahrt er auch immer einen Sinn für Ironie, zum Beispiel wenn es um seine jugendlichen Gelüste geht: "You live in a torment of frustration and never-ending sexual arousal, breaking the North American masturbation record every month throughout the years 1961 and 1962 [...] trapped inside your ever-growing, ever-mutating body." Und manchmal ist das Buch reine Poesie, etwa wenn er davon erzählt, wie er eine Prostuierte trifft, sie gemeinsam die Nacht verbringen und die junge Frau am Ende Baudelaire zitiert.

In weniger fähigen Händen hätte Winter Journal ein ziemlicher Reinfall werden können, denn niemand will alten Menschen zuhören, die über nichts anderes mehr reden als wie schrecklich das Älterwerden doch ist. Auster bedient sich eines besonderen Kniffs, um dem Lamentieren zu entgehen: Das Buch ist komplett in der zweiten Person geschrieben. Indem der ältere Auster den jüngeren Auster anspricht, ist ein bisschen so, als ob er über jemand anderen reden würde. Er schafft Distanz zu sich selbst. Das funktioniert erstaunlich gut und sorgt dafür, dass Winter Journal niemals langweilig wird. Das und die Tatsache, dass Paul Auster nun einmal umwerfend schön schreiben kann.

Fazit: Paul Austers Winter Journal ist mehr als eine Autobiographie, eher eine Abhandlung die sich auf persönlicher Basis mit den großen Themen des Lebens beschäftigt. Es ist nachdenklich, witzig, rührend, pointiert und immer intelligent. Es ist ein Buch, das ist selbst gerne schreiben würde, und das ist das größte Kompliment, das ich ihm machen kann.

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