Movie Night: Harvey



Neulich hatte ich ja darüber geschrieben, wie sehr manche Sätze aus Casablanca im kulturellen Gedächtnis verankert sind. Bei Harvey (oder auch Mein Freund Harvey) ist es ganz ähnlich, nur dass es hier nicht die Zitate sind, die eine über den Film herausragende Bekanntheit erlangt haben, sondern die "Hauptfigur": Harvey steht exemplarisch für den imaginären Freund. 

In dem Film von Henry Koster, der auf dem gleichnamigen Stück von Mary Crane basiert, ist dieser imaginäre Freund ein zwei Meter großes, weißes Kaninchen, das jedoch nur von Elwood P. Dowd (James Stewart) gesehen wird. Elwood ist dem Alkohol etwas zu sehr zugetan, doch er ist ein sehr liebeswürdiger und gutherziger Mensch. Dass er jedoch jedem, den er begegnet, seinen unsichtbaren Freund Harvey vorstellt, sorgt für Befremden bei seinen Mitmenschen. Geradezu unterträglich ist Elwoods Verhalten für seine Schwester Veta (Josephine Hull), da es für sie so praktisch unmöglich ist, ihre Tochter Myrtle Mae (Victoria Horne) zu verkuppeln. Schließlich ringt sie sich dazu durch, Elwood in ein Sanatorium einweisen zu lassen. Im Gespräch mit Dr. Sanderson (Charles Drake) verliert sie jedoch nicht nur die Fassung, sondern gesteht auch, selbst manchmal das Riesenkaninchen zu sehen, woraufhin der Doktor sie einweisen lässt. Das Missverständnis klärt sich jedoch schnell auf und Veta wird entlassen, woraufhin sich das Personal des Sanatoriums aufmacht, Elwood zu finden um ihn einzuweisen.

Während der ersten Stunde war ich nicht übermäßig begeistert von Harvey; ich fand ihn zwar amüsant, doch ist der Film eher zum Schmunzeln als zum Lachen. Im letzten Drittel gewinnt Harvey jedoch deutlich an Substanz. Das liegt zum einen daran, dass den Figuren wie auch dem Zuschauer langsam Zweifel aufkommen, ob Harvey nicht vielleicht doch exisitiert. Zum anderen kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Elwood nicht der klassische Verrückte ist, für den ihn alle halten, sondern ein intelligenter Mensch, der das Verhalten seiner Umgebung wesentlich reflektierter betrachet als das gesamte Psychiatriepersonal. Zuletzt stellt der Film noch die große Frage, ob "Normalität" wirklich so erstrebenswert ist und ob Elwoods "Macke" nicht gerade das ist, was ihn auszeichnet.

So wird aus Harvey nach einem etwas lahmen und klamaukigen Start doch noch ein guter Film. Das liegt auch an den hervorragenden Darstellern. Die Rolle des Elwood P. Dowd ist wie für James Stewart gemacht, da er wie kein Zweiter den Idealtypus des gutherzigen, aufrechten Amerikaners verkörpert. Daneben glänzt vor allem Josephine Hull als Veta Simmons, die für diese Leistung auch einen Oscar erhalten hat. Wie Stewart bemerkte hatte Hull die schwierigste Rolle, da sie gleichzeitig an Harvey glauben und nicht glauben muss. Der Film zieht einen großen Teil seiner Komik daraus, dass Veta wesentlich "durchgeknallter" erscheint als ihr Bruder. In der Tat ist es herrlich anzusehen, wie Hull die nervöse und verwirrte Veta gibt, die zwischen gesellschaftlichen Konventionen und der Liebe zu ihrem Bruder hin- und hergerissen ist.

Fazit: Amüsantes Filmmärchen mit einem starken letzten Akt.

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