My Own Private Odyssey: The Sun Also Sets

Für meinen ersten Tag in Thessaloniki hatte ich mir vorgenommen, alle Sehenswürdigkeiten mit Ausnahme der Museen abzulaufen. Was mir den Start in den Tag versüßte, war das Frühstücksbuffet im Hostel. Da ich die schlafenden Männer nicht wecken wollte und es zudem so eng war in dem Raum, griff ich auf das hauseigene Angebot zurück, zumal es nur zwei Euro kostete. Das war ein fairer Preis, denn neben den üblichen Verdächtigen wie Cornflakes und Brot gab es auch kleine mit Käse gefüllte Pasteten, die sehr lecker waren.

Die Stärkung war auch bitter nötig, denn meine erste Station war die byzantinische Stadtmauer, die oben auf dem Hügel liegt. Die Mauer entstand im fünften Jahrhundert; 900 Jahre später wurde sie noch erneuerte und 1821 mit den Grabsteinen vom jüdischen Friedhof verstärkt. Zu Fuß waren es nur etwa zehn Minuten vom Hostel, aber der Anstieg war nicht zu unterschätzen. Belohnt wurde man dafür mit einem sensationellen Ausblick über Thessaloniki:



Ich ging die Mauer Richtung Westen entlang, bis ich zum Vlatodon-Kloster kam. Dabei handelt es sich um eine kleine Kirche und ein Museum, die von einem kleinen Garten umgeben sind. Ein sehr ruhiger und friedlicher Ort, der sich gut eignet, um der Sommerhitze zu entfliehen. In der Kirche hat übrigens, angeblich, der Apostel Paulus gepredigt. Ihr kennt vielleicht seine Briefe an die Thessalonicher, die er nach seinem Aufenthalt dort geschrieben hat.


Ich ging noch ein Stück die Mauer entlang, bis sie abrupt endete - an einem Parkplatz, der von lauter Bauschutt umgehen war. Gegenüber stand auch dieses hübsche Haus:


Anschließend ging ich zur Kirche von Osios David, die sich versteckt in einem kleinen Garten befand. Es fand jedoch gerade ein Gottesdienst statt, sodass es dermaßen voll war, dass nicht mal alle Gläubigen in der Kirche Platz fanden. Da wollte ich mich als Tourist nicht dazwischen drängen. Ich wanderte als durch Kastra und machte einige Fotos von den bunten, bepflanzten Häusern, als mich plötzlich ein älterer Mann ansprach, der - Überraschung - Alexis hieß und eine unheimlich Ähnlichkeit mit Dominique Strauss-Kahn hatte. Er fragte, wo ich hin wollte, und ich sagte "Irodotou", da sich in dieser Straße die Kirche befand, die als nächstes auf dem Plan stand. Alexis bestand darauf, mich zu der Straße zu bringen, aber wie ich vermutet hatte, tat er dies nicht aus reiner Menschenfreude. Es stellte sich auch schnell heraus, dass er ebenso wenig Ahnung wie ich hatte, wo die Straße ist, sodass er ständig auf meinen (!) Stadtplan schauen musste. Er versuchte sich mit mir zu unterhalten, was jedoch schwierig war, da er kaum Englisch sprach. Ich verstand immerhin, dass er von der Insel Thassos kam.
Der alte Mann schleppte mich durch das Kastra, sodass ich keine Chance hatte, zwischendurch irgendwelche Fotos zu machen. Irgendwann fand ich dann die Irodotou und verabschiedete mich vor der Kirche vor ihm. Als ich mich dort umschaute, bemerkte ich jedoch, dass er mir tatsächlich hinterher trottete! So konnte ich mich natürlich schlecht auf die jahrhundertealten Fresken im Inneren konzentrieren. Ich beschleunigte mein Tempo, aber auch als ich die Kirche verließ, lief er noch hinter mir her. Er sagte, er wolle mir noch eine andere Sehenswürdigkeit zeigen, aber es war offensichtlich, dass er keine Ahnung hatte, wo er hinlief. Glücklicherweise war es zwölf Uhr mittags, und wir befanden uns in der Straße des Hostels, sodass ich sagte, dass ich dort jetzt Mittag essen wolle. Er versuchte es, mir auszureden und schlug vor, dass wir zusammen an den Strand fahren. What the... Ich lehnte ab, woraufhin er ärgerlich wurde, bis ich ihn schließlich anblaffte: "But I don't want to go to the beach with you!" Ich drehte mich um und versteckte mich im Hosteleingang, bis er verschwunden war.

Toll. Hätte ich ihm bloß gleich gesagt, dass ich keinen Bock auf seine Begleitung habe, aber für so etwas bin ich immer viel zu höflich. Vielleicht bin ich doch zu verwöhnt von Irland und ähnlichen Urlauben, wo einem die Menschen tatsächlich aus reiner Nettigkeit den Weg zeigen, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Ich machte mich auf den Weg in die Innenstadt, wo ich auch an der Agios Dimitrios vorbeikam, der größten Kirche in Thessaloniki. Da es aber auch dort recht voll war, ging ich nicht hinein:



Ich kam an der Agora vorbei, eine Ausgrabungsstätte, wo noch einige wenige Überbleibsel aus der römischen Zeit zu sehen sind. Mein nächstes Ziel war eins der beeindruckendsten Bauwerke von Thessaloniki: die Rotunda des Galerius, die der römische Kaiser im vierten Jahrhundert hatte erbauen lassen. Sie wurde später zur ersten Kirche der Stadt und dann in osmanischer Zeit zu einer Moschee. Das Minarett hat man mittlerweile wieder hergestellt. Im Inneren der Rotunda war es herrlich kühl; außerdem sind dort einige recht ansehnliche Fresken zu bestaunen. Sie ist von einem hübschen Garten umgeben, in dem ich eine kleine Pause einlegte, bis mir die Insektenangriffe zu viel wurden.



Ein Stück weiter befindet sich übrigens der Triumphbogen des Galerius, mit dem die Rotunda wohl einst verbunden war:


In der brennenden Mittagssonne war es kaum auszuhalten, sodass ich ein paar hundert Meter weiter schon wieder eine Pause einlegte. Ich wollte gerade in mein Schokocroissant beißen (ich war als Tagessnack auf Croissants umgestiegen, da ich die griechischen Brötchen nach ein paar Tagen nicht mehr sehen konnte), als ein Mann auf mich zukam und fragte, ob er sich neben mich setzen dürfte. Diesmal hatte ich alle Höflichkeit über Bord geworfen und meinte nur "No." Das beeindruckte ihn jedoch nicht: "Please, just five minutes. I just want to chat with you." "No", wiederholte ich mit Nachdruck. "You don't want to chat with me?!", fragte er völlig verdutzt, als könne er sich nicht vorstellen, dass sich jemand nicht mit ihm unterhalten möchte. "No!", blaffte ich, stand auf, und ging.

Erst am weißen Turm konnte ich mich hinsetzen, ohne genervt zu werden. Dort gab es weder freie Bänke noch ein freies schattiges Plätzchen, sodass ich mich einfach ins Gras in die Sonne setzte, bevor ich die Promenade entlangschlich. Ich ging noch an der Nationalbank vorbei, einem ganz netten neoklassizistischen Gebäude, und an der Agia Sofia, die jedoch schon geschlossen hatte:



Gegen halb vier oder vier kam ich schließlich zurück ins Hostel. Ich hatte für meine relativ überschaubare Tour sage und schreibe fünf Stunden gebraucht, aber bei der Hitze und der intensiven Sonneneinstrahlung musste ich einfach mehrere Pausen machen, da es sonst zu anstrengend war. Die Zeit bis zum Abendbrot hatte ich eigentlich mit Lesen verbringen wollen, aber dann unterhielt ich mich doch mit einer Australierin und einem Albaner auf der Terrasse. Die Australierin, nennen wir sie Nora, lebte eigentlich in Melbourne. Ich erzählte ihr, wie sehr ich Melbourne mag, woraufhin sie wissen wollte, wo ich dort gewohnt habe. Als ich Thornbury sagte, lachte sie laut auf und rief: "I live in Northcote!" Ich musste ebenfalls lachen, da Northcote praktisch das Viertel neben an war, und einer meiner liebsten Orte in Melbourne. "It's a small world", meinte ich schließlich. Nora war 19 Jahre alt. Sie hatte nach ihrem Abschluss acht Monate lang jeden (!) Tag gearbeitet, 55 Stunden die Woche, und reiste für den Lohn jetzt durch Europa.

Der Albaner war ein echtes Original. Er war kleiner Typ, der lispelte und ständig nur im Unterhemd herumlief, damit man das riesige Kreuz sehen konnte, das er auf seinen Oberarm tätowiert hatte. Außerdem trug er eine fette Gangsta-Rapper-Goldkette. Er hatte anscheinend in jedem Land der Welt Verwandte, die er der Reihe nach abklapperte. In jedem Land, außer in Griechenland, wo er zum ersten Mal in seinem Leben in einem Hostel übernachtete. Am nächsten Tag wollte er zu einer Tante nach Istanbul weiterreisen. Er war ein kleiner Aufschneider, der jedem Ausgehtipps aufs Auge drückte, und mir dazu noch Tipps für meine Kamera gab. Außerdem meinte er, ich solle doch eins der Boote besuchen, die ständig vor der Promenade umherkreuzen, da man von dort tolle Fotos von der Stadt schießen kann. Das glaubte ich sofort, jedoch habe ich, bzw. mein Magen, nicht so viel für Boote übrig, außerdem lief auf diesen Dingern ständig nervige Partymusik. Der Albaner war jedoch begeistert von den Kähnen: "Die Fahrt kostet nichts! Du bezahlt drei Euro für ein Getränk, gibst noch einmal zehn Euro Trinkgeld, und du hast einen tollen Blick auf die Stadt." Moment mal, zehn Euro Trinkgeld? Ich bin ja wirklich für eine angemessene Entlohnung, aber über 300 Prozent Trinkgeld erscheint mir doch ein bisschen zuviel des Guten.

Ich erzählte die Geschichte von meinem Stalker, was der Albaner ungeheuer witzig fand, während Nora genauso angewidert war wie ich. "You should have taken a photo!", japste der Albaner, als er sich von seinem Lachkrampf erholte. "I didn't want to waste any memory space...", erwiderte ich. Anschließend bat er Nora, etwas aus dem Brief vorzulesen, den sie gerade an ihre Mutter schrieb. Er wollte es aufnehmen, da er den australischen Akzent so süß fand. Nora war verständlicherweise befremdet, las dann aber vor, wie sie bei ihrem Besuch in Rom den Papst in seinem Papamobil gesehen hatte.

So langsam, nach acht Tagen immerhin, überwand ich meinen Hostelkoller und setzte mich abends zu den anderen auf die Terrasse. In der untergehenden Sonne war es wirklich schön dort; die Temperaturen waren angenehm und die ganze Umgebung war in ein goldenes Licht getaucht. Brad und Jonathan waren dort, und auch Lena. Nora war leider inzwischen abgereist und der Albaner war wahrscheinlich im Casino, seiner liebsten Ausgehdestination. Lena war Griechin und Chemiestudentin im x-ten Semester, die manchmal im Hostel aushalf. Sie und Brad erzählten von Indien. Brad war vor einigen Monaten mit einer Freundin dort gewesen und schockiert darüber, dass diese selbst in Hotels vom Personal wie Luft behandelt wurde, weil sie eine Frau ist. Jedes Mal wenn sie irgendwo einchecken wollten, musste Brad das Reden übernehmen, weil die Angestellten sich weigerten, mit ihr zu sprechen. Lena war mit einem Inder verlobt, und meinte, dass sie sich dort nur relativ gefahrlos bewegen könne, weil sie einheimische Männer bei sich habe. Man liest ja einiges in der Zeitung über den Frauenhass in Indien (leider erst heute wieder), aber es aus erster Hand zu hören war noch einmal was anderes. Ich würde wirklich gerne einmal Indien sehen, aber wenn ich das so höre, dann fahre ich lieber nicht dort hin.

Lena ihrerseits fragte Brad und Jonathan nach dem Verhältnis von weißen Australiern und Aboriginals. Ich war ein bisschen erstaunt über ihre Unverblümtheit, aber die Jungs erzählten tatsächlich ein wenig von den Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Brad war Sozialarbeiter und Jonathan war Lehrer, und sie hatten beide häufiger mit Aboriginals zu tun, was wie sie andeuteten wohl nicht besonders leicht ist. Ich fand das wahnsinnig interessant, aber man merkte auch, dass sie über das Thema nicht so gerne sprechen wollten. Ich erwähnte, dass in jedem Reiseführer steht, dass man Australier bloß nicht darauf ansprechen soll. Die beiden stimmten zu, da das Thema emotional einfach zu aufgeladen sei. Brad fühlte sich ziemlich schuldig wegen allem, was den Aboriginals in der Vergangenheit angetan worden war, aber es gibt ja Australier, die eine ganz andere Einstellung dazu haben.

Später stieß noch eine Amerikanerin dazu, die eine Geschichte von einem höchst unfreundlichen Busfahrer erzählte, der sie beinahe umgenietet hätte, sowie Alex. Alex war ebenfalls Amerikaner, aus North Carolina. Er war ein bisschen schwer zu durchschauen. Manchmal war er total reserviert mir gegenüber, dann war er wieder supernett und sprach sogar ein wenig Deutsch mit mir, das er in der Schule gelernt hatte. Er lag den ganzen Tag in Unterhose auf dem Bett und ging nur abends aus. Außerdem hatte er eine tiefe Abneigung gegen öffentliche Verkehrsmittel, was wiederum Vicky Probleme machte. Alex hatte sie gebeten, ein Taxi zum Flughafen für sie zu buchen, doch für den nächsten Tag hatten die Taxifahrer einen Streik angekündigt. "Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich", sagte Vicky schließlich zu Alex. "Welche willst du zuerst hören?" "Die gute?" "Du sparst morgen etwa 19 Euro und 20 Cent!" Alex stöhnte: "Die Taxifahrer streiken." Vicky nickte. Alex hatte in seiner Zeit in Griechenland wohl schon mehrere Verkehrsstreiks miterlebt und jetzt musste er sich wohl oder übel auf die ihm verhassten Busse verlassen. "I can't wait to get out of this country!"

So weit der erste Tag in Thessaloniki. Beim nächsten Mal dann mehr Geschichten vom Verkehr und aus dem Hostel.

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