Books I've Read: Brooke Kroeger - Nellie Bly: Daredevil, Reporter, Feminist


Es passt ganz gut, dass ich ausgerechnet durch die Arbeit dazu gekommen bin, eine Biographie über Nellie Bly zu lesen - indirekt zumindest. Ich hatte den Auftrag, eine Kritik über ein Chorkonzert zu schreiben und eins der Lieder, das dort gesungen wurde, war "Nelly Bly" von Stephen Foster. Der Song gefiel mir sehr gut, und als ich versuchte, etwas mehr darüber herauszufinden, erfuhr ich gleichzeitig auch von Nellie Bly. Ihre Biographie hat mich unmittelbar angesprochen, da sie wie ich Frau, Journalistin und passionierte Reisende ist.

Nellie Bly wurde wie Foster in Pennsylvania geboren, am 5. Mai 1864, nur wenige Wochen nach dessen Tod. Ihr wirklicher Name war Elizabeth Jane Cochran, genannt "Pink". Pinks Vater war eigentlich ein relativ wohlhabender Mann gewesen, doch sein vorzeitiger Tod und Erbstreitigkeiten unter seinen vielen Kindern führten dazu, dass sie in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs und sogar ihre Schulbildung aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Zum Journalismus kam Pink eher zufällig; sie schrieb einen erbosten Leserbrief zu einem frauenfeindlichen Artikel im Pittsburgh Dispatch, den sie mit "Lonely Orphan Girl" unterzeichnete. Der Redakteur war von dem Brief dermaßen beeindruckt, dass er ihr eine Stelle anbot. Damals war es üblich, dass Frauen unter Pseudonym veröffentlichten, und Pink bekam den Namen "Nellie Bly" - nach dem Foster-Song  (jedoch mit "ie", da der Redakteur sich verschrieb).

Damals gab es nur relativ wenige Frauen im Journalismus und in der Regel durften sie nur über frauenspezifische Themen schreiben wie Mode und ähnliches, und vielleicht noch Kultur. Bly erging es nicht anders: Zunächst berichtete sie über die Situation von Fabrikarbeiterinnen, aber bald bekam sie Artikel über Kleidung und Gartenarbeit zugeteilt, was ihr verständlicherweise gar nicht gefiel. Sie kündigte ihre Festanstellung und reiste nach Mexiko, wo sie sechs Monate lang als freie Korrespondentin für den Dispatch über den Alltag der Menschen berichtete.

Mit gerade einmal 21 Jahren nach Mexiko aufzubrechen, obwohl man die Sprache so gut wie gar nicht beherrscht, war eine sehr mutige Sache, besonders zur damaligen Zeit. Die Redakteure beim Dispatch waren jedoch wenig beeindruckt und übertrugen ihr nach ihrer Rückkehr die selben langweiligen Frauenthemen. Kurzerhand machte Bly sich wieder auf den Weg - diesmal nach New York, wo sie bei der World anheuerte, die damals von Joseph Pulitzer himself herausgegeben wurde. Gleich ihr erster Auftrag wurde zu einem ihrer bekanntesten: Sie gab vor, "verrückt" zu sein und ließ sich in eine Anstalt einweisen, um anschließend über die menschenunwürdigen Bedingungen dort zu berichten. Die Texte wurde später auch als Ten Days in a Mad-House in Buchform veröffenlicht. Regelrechte Berühmtheit erreichte sie jedoch durch ihre Reise um die Welt: Bly hatte sich vorgenommen, Phileas Foggs fiktionalen Rekord zu brechen und umrundete in 72 Tagen den Globus, inklusive einem Treffen mit Jules Verne - und das alles mit 25 Jahren.

Der Reise verhalf Bly zu nationaler Prominenz und der World zu einer Auflagenstreigergung - dennoch verweigerte die Zeitung Bly jegliche Boni oder auch nur eine Gehaltserhöhung, woraufhin sie sich eine Auszeit nahm. Da sich ihr einziger Roman jedoch als Flop erwies, kehrte sie schließlich zur World zurück, wo sie immerhin gewichtigere Themen beackern durfte; so interviewte sie unter anderem die Anarchistin Emma Goldman. Mit 30 Jahren erfolgte jedoch eine weitere, längere Pause vom Journalismus, als Nellie den millionenschweren, 40 Jahre älteren Industriellen Robert Seaman heiratete. Von da an widmete sie sich vor allem dem Geschäft, auch nach dem Tod ihres Mannes. Eine der beiden Firmen ging jedoch pleite, da mehrere Angestellte Gelder veruntreut hatten, und es folgten jahrelange Rechtstreite, infolge derer Bly fast ihr gesamtes Vermögen verlor und sich darüber noch mit ihrer Familie zerstritt.

Auf einer Reise nach Österreich geriet Bly dann mehr oder weniger zufällig in den Ersten Weltkrieg. Sie blieb vier Jahren in Europa und berichtete als Korrespondentin von den Kämpfen, wobei sie allerdings jede Überparteilichkeit über Bord warf und sich auf die Seite Österreichs (und Deutschlands) schlug. In der letzten Phase ihrer Karriere heuerte sie beim Erzrivalen der World, dem New York Journal an, das von William Randolph Hearst herausgegeben wurde. In ihren Artikeln versuchte sie vor allem, Waisenkindern ein Zuhause zu vermitteln. Am 27. Januar 1922 starb Elizabeth Cochrane Seaman alias Nellie Bly in New York.

Ein faszinierendes Leben. Bly hat ohne Frage dazu beigetragen, Frauen den Weg in den Journalismus zu ebnen, vor allem in dem sie half, den investigativen Journalismus populär zu machen, denn nach ihrem "Ausflug" in die Anstalt wurden solche "women stunts" Mode. Das war immerhin ein erster Weg, Journalistinnen aus der "Heim und Garten"-Ecke zu holen, auch wenn viele Redakteure weiterhin Bedenken hatte, Frauen politische Themen zu übertragen. Ich merke ja heute noch, dass man als (junge) Frau häufiger mal nicht ernst genommen wird, wenn auch weniger von den Redakteuren als von den Interviewpartnern.

Journalistin Brooke Kroeger zeichnet in ihrer Biographie ein umfassenden Bild von der komplexen Persönlichkeit, die Bly war - und vom Journalismus der damaligen Zeit. Viele Maßnahmen, die damals gang und gäbe waren, sind heute ethisch fragwürdig, vor allem, was die Undercover-Recherche betrifft. Zudem waren die damaligen Texte erheblich persönlicher geschrieben: die Redakteure warben nur allzu gerne mit der Marke "Nellie Bly" und sie selbst hatte keine Hemmungen, sich selbst in den Vordergrund zu stellen und nicht ihre Interviewpartner. Auch gehörte Neutralität nicht gerade zu Blys Stärken, lieber vertrat sie leidenschaftlich ihren Standpunkt.

Was Kroegers Biographie auszeichnet, ist die Umfassenheit und der Detailreichtum; ich hätte mir allerdings gewünscht, dass sie mehr über Blys Anfangsjahre als Journalistin geschrieben hätte und weniger über die ganzen Rechtsstreitigkeiten infolge der Insolvenz der Iron Clad Manufactoring Company. Nichtsdestotrotz ist Nellie Bly eine faszinierende Lektüre über ein außergewöhnliches Leben.

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