My Own Private Odyssey: For Whom the Bell Tolls

Wer mich kennt, weiß dass ich ein absoluter Koffeinjunkie bin und dass ich es überhaupt nicht mag, wenn man mir morgens das Kaffee machen erschwert. Ihr könnt euch vorstellen, wie begeistert ich war, als ich am Morgen in die Hostelküche kam und keine Tasse finden konnte. Nicht im Regal und auch nicht unter den Bergen Geschirr, die diverse Besucher auf der Ablage gestapelt hatten. Der gemeine Hostelbewohner trocknet ja ohnehin nur äußerst ungern ab; aber in diesem Fall ermutigte ihn das Hostel auch nicht gerade, da es nur ein Geschirrhandtuch gab, das dort bereits seit Tagen herumlag und auch so aussah. Im Aufenthaltsraum fand ich schließlich doch noch eine Tasse, die ich allerdings erst abwaschen musste, bevor ich endlich meinen Kaffee trinken konnte.

Für meinen vorletzten Tag in Athen hatte ich mir noch einmal einen Hügel vorgenommen, und zwar den höchsten der Stadt: Lykavittos. Dazu fuhr ich erst mit der Metro zum Syntagma-Platz und wanderte dann durch das Kolonaki-Viertel auf der Suche nach dem Weg zu Gipfel. Kolonaki ist ein ganz nettes Viertel mit verhältnismäßig vielen Cafés, doch was wirklich meine Aufmerksamkeit erregte, waren zwei große Plakate, die an einer der Hauswände hingen und Angela Merkel und Adolf Hitler zeigten. Ich hatte mich schon gefragt, wann/ob ich auf so etwas treffen würde, da gewisse Leute hierzulande ja allzu gerne den Eindruck vermitteln, dass die Griechen mit nichts anderem beschäftigt sind als Nazi-Vergleiche zu ziehen. Tatsächlich war dies aber die einzige Abbildung von Merkel und Hitler, die auf meiner Reise sah, und die Passanten waren auch ganz erstaunt, als ich es fotografierte:



Zwischen den Häusern fand ich schließlich eine Treppe, die den Hügel hinaufführte. Der Aufstieg war viel steiler als bei den anderen Hügeln, sodass ich ziemlich aus der Puste war, als ich oben ankam. Da der Lykavittos mit 277 Metern allerdings auch nicht wirklich hoch ist, hatte ich nach etwa einer halben Stunde den Gipfel erreicht. Die Anstrengung hatte sich aber gelohnt, denn die Aussicht war wirklich großartig. Ich war überrascht, dass der Hügel doch noch um einiges höher war als die Akropolis:



Während ich auf dem Weg nach oben für mich allein gewesen war, war auf dem Gipfel relativ viel los. Ich vermutete mal, dass die anderen Touristen (unter anderem eine asiatische Reisegruppe) nicht zu Fuß gegangen, sondern mit der Standseilbahn gefahren waren. Außerdem befanden sich dort eine kleine orthodoxe Kirche und ein separater Glockenturm, über dem die griechischen Flagge wehte, sowie ein Restauraunt und ein Freilufttheater.



Da es dort oben insgesamt eher eng war, machte ich mich bald auf den Rückweg. Am Fuße angekommen, ging ich weiter in Richtung Evangelismos-Station, da ich mir unbedingt die National Art Gallery ansehen wollte. Ich hatte jedoch einige Schwierigkeiten, sie zu finden, wohl weil ich ein ziemlich großes Museum erwartet hatte, das einzig größere Haus an der Kreuzung jedoch das Hilton war. Ich brauchte einige Zeit bis ich begriff, dass es sich bei einer heruntergekommenen Lagerhalle um die Kunstgalerie handelte. Dass Gebäude sah nicht nur sehr gammelig aus, von außen gab es bis auf ein paar Plakate auch keinerlei Hinweise darauf, dass es sich um ein Musem handelte. Oh, und wie groß war erst meine Enttäuschung als ich herantrat und lesen musste, dass die Galerie zwecks Renovierung geschlossen ist! Argh!!! Die Art Gallery war eine der Sehenswürdigkeiten, auf die ich mich am meisten gefreut hatte, da sie griechische Kunstwerke aus vier Jahrhundert beheimatet, unter anderem von El Greco, sowie Werke andere europäischer Künstler, darunter Picasso.

So saß ich erst einmal ratlos auf der Treppe, neben mir nur ein Auto, in dem zwei Polizisten saßen. Ich studierte meinen Reiseführer auf der Suche nach weiteren Sehenswürdigkeiten und entschied mich schließlich für das Jüdische Museum. Unter "normalen" Umständen hätte ich es weggelassen, da ich geplant hatte, das Jüdische Museum in Thessaloniki zu besichtigen, aber so hoffte ich einfach mal darauf, dass sich die Ausstellungen nicht zu sehr ähnelten.

In der Plaka angekommen, wäre ich fast an dem Museum vorbeigelaufen, da nur eine kleine Plakette an einer Häuserwand darauf hinwies. Ich musste auch erst einmal klingeln, damit ich der Sicherheitsmann mich hereinließ. Das alles machte mich irgendwie traurig, denn mit Ausnahme des Jüdischen Museums in Berlin waren alle jüdische Museen, die ich bisher besichtigt habe, eher unscheinbar. Wann wird der Tag kommen, an dem sie sich nicht mehr verstecken müssen?

Ich hatte mich schon gefreut, viel zu sehen, als die Dame am Empfang mir sagte, dass es fünf Stockwerke gibt, doch diese entpuppten sich als ziemlich klein. Die Ausstellung begann im Untergeschoss, wo sie eine kleine Synagoge nachgebaut hatten. Auf dem Weg nach oben gab es Exponate zu den Feiertagen und zum Zionismus zu sehen, wie halt in jedem anderen jüdischen Museum auch. Sie hatten auch einige der traditionellen griechischen Kostüme ausgestellt, die ich schon im Benaki-Museum gesehen hatte. Natürlich gab es auch eine Ausstellung zur Shoah, der 87 Prozent der griechischen Juden zum Opfer fielen; in Thessaloniki waren es sogar 97 Prozent. Der einzige Ort in Griechenland, der der Vernichtung entging, war eine kleine Insel, an deren Namen ich mich leider nicht erinnern kann. Als die Nazis von den Behörden eine Liste mit allen jüdischen Bewohnern verlangten, taten der Bürgermeister und der Metropolit etwas sehr mutiges: Sie schrieben nur ihre beiden Namen auf. Man könnte vermuten, dass sie dafür umgehend exekutiert wurden, doch überraschenderweise ließen die Nazis danach nichts mehr von sich hören (in anderen Gebieten Europas waren sie freilich weitaus weniger "vergesslich"). Die Wechselausstellung beschäftigte sich mit den jüdischen Partisanen, von denen es in Griechland zwar nicht so viele gab wie in Osteuropa, aber doch einige hundert. Sie hatte exemplarisch die Biographien von zehn Partisanen aufgeführt, von denen einige sogar noch leben. Traurig war jedoch, dass viele, die den Krieg überlebt haben, aufgrund ihrer Aktivitäten als "Kommunisten" gebrandmarkt und ins Gefängnis gesteckt wurden.

Insgesamt war das Museum ganz interessant, es war halt nur ziemlich klein und dafür, dass es sechs Euro Eintritt gekostet hat, gab es nicht sooo viel zu sehen. Da es erst früher Nachmittag war, ging ich zum Syntagma-Platz und surfte im Internet, doch kurz darauf begann es zu regnen. Schon wieder! Da ich natürlich weder einen Regenschirm noch eine -jacke mit nach Griechenland geschleppt hatte, suchte im im Public Schutz, einem großen Kaufhaus an der Westseite des Platzes. Ich hatte dort eh noch vorbeischauen wollen, da sie auch englischsprachige Bücher verkaufen. Ich hatte zwar noch einen Kurzgeschichtenband von John Updike dabei, aber der hatte nur 200 Seiten. Bei dem Lesetempo, das ich bisher vorgelegt hatte, würde das maximal zwei Tage reichen (es ist unglaublich, wie viel man lesen kann, wenn man nicht vom Internet abgelenkt wird).

Im Buchgeschoss hatte sie tatsächlich eine ganz passable Auswahl englischer Bücher, nicht nur Krimis und Vampirromane, sondern auch viele Klassiker. Bei einem Blick auf das Preisetikett schrumpfte mein Euphorismus jedoch, denn selbst die Taschenbücher kosteten mindestens zehn Euro, meist sogar 15 Euro. So viel wollte ich eigentlich nicht ausgeben, auch wenn die neuesten Editionen der Penguin Classics ein wirklich sehr schönes Design haben. Als ich mich umschaute, bemerkte ich jedoch einen kleinen Nebenraum. Dieser war vielleicht fünf Meter lang und zwei Meter breit und verfügte über ein großes Regal, in dem sich lauter Penguins befanden, darunter auch viele ältere Editionen. Das schönste war aber, dass die gelben Penguins (die Anglophilen unter euch werden sich erinnern) nur drei Euro kosteten! Jetzt musste ich mich nur noch für eins entscheiden. Viele hatte ich schon gelesen (Hardy, Swift, Conan Doyle), andere wollte ich nicht unbedingt lesen (Austen) und wieder andere würde ich vielleicht lesen, würde ich dank der Uni nicht schon wissen würde, wie sie ausgehen (The Mill on the Floss).

Während ich dann aber so auf die Bücherreihen starrte, gab es ein Buch, dass mir wesentlich stärker ansprach als alle anderen: David Copperfield. Manchmal ist es wirklich komisch. Der Copperfield steht schon seit ungefähr 13 Jahre auf meiner Leseliste, aber ich habe die Lektüre immer wieder herausgeschoben, weil ich befürchtete, dass es mir ebenso wenig gefallen würde wie Oliver Twist. Dort in dem kleinen Raum gab es jedoch kein Buch, das ich lieber lesen wollte, also kaufte ich es. Im Nachhinein - soviel sei schon einmal verraten - war es genau die richtige Entscheidung, nicht nur weil mich die gut 700 Seiten erst einmal beschäftigten, sondern weil es exakt meinen Nerv traf. Genau wie damals bei Oscar & Lucinda. Merkwürdig.

Ich wollte allerdings nicht gleich zur Kasse gehen, sondern machte es mir auf einem Hocker zwischen Wand und Regal gemütlich. Mein Blick fiel dabei auf eine Anthologie namens Orwell's England. Ich bin ein riesengroßer Fan von George Orwell, ich habe fast alle seine Bücher gelesen (alle außer Burmese Days und A Clergyman's Daughter) und viele seiner Essays, sodass ich die Zusammenstellung am liebsten gekauft hätte, aber mit 23 Euro war sie mir zu teuer. So las ich nur einen Text, den ich bisher noch nicht kannte, obwohl er zu seinen berühmtesten gehört: "Such, such were the joys". Darin beschreibt Orwell seine Schulzeit im Internat - auf seine typisch bissige Art. Seine ehemaligen Mitschüler waren von dem Text nicht gerade begeistert, aber ich fand ihn unglaublich unhaltsam, vielleicht auch weil ich meine Schulzeit genauso sehr gemocht habe wie Orwell - nämlich überhaupt gar nicht.

Ich verließ den Raum nur ungern, aber da es aufgrund der Klimaanlage sehr kühl war, machte ich mich wieder auf den Weg, nachdem ich mit Joys fertig war. Im Erdgeschoss kaufte ich noch zusätzlich zwei Notizbücher. Ich hatte zwar noch einige unbenutzte zu Hause herumliegen, aber bei schönen Notizbüchern kann ich einfach nicht widerstehen, vor allem, wenn sie Schreibmaschinen und Eulen auf dem Einband haben.

Den Rest des Tages verbrachte ich dann mit David. Das nächste Mal kommen wir zu meinem letzten richtigen Tag in Athen.

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