Project Ireland: I am busy tired wet lonely and old

Von Derry aus machte ich mich auf den Weg nach Galway. Mein ursprünglicher Plan war ja gewesen, von Derry aus direkt nach Donegal Town und von dort nach Newcastle zu fahren, aber ich hatte so viel Positives über Galway gehört, dass ich mich dazu entschied, noch zweieinhalb Tage dort zu verbringen. So konnte ich auch noch einen Abstecher nach Connemara machen, das ich ebenfalls gerne sehen wollte. Von der Planung her war das alles natürlich alles andere als optimal: Erst fuhr ich fünfeinhalb Stunden von Derry runter nach Galway dann drei Tage später die gleiche Strecke wieder hoch bis nach Donegal. Aber ich hatte das Hostel in Donegal halt schon gebucht, außerdem wäre es auch ziemlich umständlich geworden, von Galway nach Newcastle zu kommen, da hätte ich dann wohl über Dublin fahren müssen.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit dem Bus zu fahren. Interessanterweise kann man keine Tickets buchen, wenn man von Nordirland in die Republik fährt, sondern muss einfach darauf hoffen, dass noch ein Platz frei ist (was wohl meist der Fall ist). Das Ticket kostet 21Pfund, aber als ich dem Fahrer einen Zwanziger gab, meinte er, der würde auch reichen. „Ich habe hier aber noch ein Pfundstück!“ „Nein!“ Okay... Danke. Kaum dass ich saß, schlief ich auch prompt ein und wachte erst in Donegal Town wieder auf. So konnte ich immerhin schon mal einen ersten Eindruck von dem Ort gewinnen und einen Supermarkt ausmachen. Die meisten Passagiere stiegen dort aus, aber als wir wenig später in Rossnowlagh, einer Surferhochburg, hielten, wurde es richtig voll. Ein Mädchen setzte sich neben mir und nahm dann noch ihren Freund oder Bruder auf den Schoß, sein Glück, denn alle, die keinen Sitzplatz bekamen, mussten wieder aussteigen. Das hat mir schon ein bisschen leid getan, denn so oft fahren die Busse in der Gegend ja auch nicht.

Wir sind auch durch County Sligo gefahren, was mich schon angenehm überrascht hat, denn der Reiseführer fand es vernachlässigbar, dabei sah es mit seinen sanften, glatten, grünen Hügeln und dem Ozean schon sehr schön aus. Je näher wir Sligo Town kamen, desto mehr schien nach Yeats benannt zu sein, Hotels, Restaurants etc. Aber schließlich ist er ja auch dort aufgewachsen. Fun Fact: Der erste Ire, der für sein Land eine Medaille bei den Olympischen Spielen gewann, war Williams Bruder Jack Butler Yeats. Er wurde jedoch nicht für eine sportliche Leistung ausgezeichnet, sondern für sein Gemälde „The Liffey Swim.“ Großartig.

Als wir County Galway durchquerten, war ich schon überrascht, wie viele leerstehende Häuser und Ruinen es dort gibt. Galway City hingegen ist eine moderne, wenn auch recht kleine Stadt. Als ich ankam, war es bereits fünf Uhr und ich machte mich erstmal auf den Weg ins Hostel. Da ich mich recht kurzfristig dazu entschlossen hatte, nach Galway zu fahren, und genau in dieser Woche auch noch ein Bootsfestival stattfand, hatte ich nur noch im größten Hostel der Stadt ein Bett bekommen. Das Zimmer (natürlich 8-Bett) war sehr klein und dunkel, dafür aber ensuite. Die Küche war sehr gut ausgestattet, vor allem der Kaffeeautomat begeistert mich maßlos, da er einen ganz hervorragenden Latte machte, der zudem umsonst war. Der Gemeinschaftsbereich war in mehrere kleine Zimmer unterteilt, was ich auch ganz nett fand, außerdem gab es noch zwei „Theken“ mit Steckdosen, an denen man seine Laptops anschließen konnte, da man nur in diesem Bereich Wi-fi hatte, das dafür aber auch gratis war.
Da es schon so spät war, machte ich mich nur noch auf eine Suche nach einem Supermarkt, was sich als schwerer herausstellte, als ich vermutet hatte. An der Rezeption wollte ich aber auch nicht fragen, da es brechend voll war. Und wie das halt immer so ist: Wenn man selbst danach sucht, dauert es oft ewig. Einer war zwar direkt an der Abzweigung zur Hauptstraße, aber er machte gerade zu und sah auch nicht besonders groß aus. Ich lief also so umher, wobei ich schon fast die ganze Innenstadt abdeckte, da Galway wie gesagt wirklich nicht besonders groß ist (es hat etwa 75000 Einwohner). Irgendwann fand ich dann einen Supermarkt in einem Shopping Centre, Dunnes Store. Die Preise waren schon etwas höher als im Norden, aber nicht so hoch wie in Dublin (wenn ich mich richtig erinnere), für Nudeln, Tomatensauce und Wasser musste ich 1,83€ bezahlen. In der Republik gibt es übrigens keine Gratis-Plastiktüten, also am besten vor dem ersten Einkauf eine Tasche einpacken.

Mein erster Tag in Galway endete etwas mysteriös. Als ich um halb elf ins Zimmer kam (ich habe mich nie lange dort aufgehalten, weil es so eng und düster war) musste ich feststellen, dass jemand meine Sachen vom Bett auf den Boden gelegt hatte und seine Tasche darauf drapiert hatte. Das verwirrte mich, denn auch alle anderen Betten waren im wahrsten Sinne des Wortes belegt. Glücklicherweise hatte das Hostel eine 24-Stunden-Rezeption und ich ging nachfragen, was das alles zu bedeuten hatte. Ein bisschen unangenehm war es mir schon, da ich sie ja auch nicht der Überbuchung beschuldigen wollte, aber andererseits hatte ich auch ein bisschen Angst, keinen Platz zum Schlafen zu haben. Zufälligerweise hatte der Manager gerade Dienst. Er war auch sehr freundlich und schaute sich das Zimmer an. Auch er war etwas verwirrt, versicherte mir aber, dass eine Fünfergruppe und ein Pärchen auf dem Zimmer seien und daher noch ein Bett frei wäre. Er machte auch gleich das Pärchen ausfindig, das wie sich herausstellte, aus Lengerich kam. Die Welt ist ein Dorf. Sie hatten keine bösen Absichten und das Mädel hatte sich das Bett sogar schon vor mir ausgeguckt, aber nicht sichtbar in Beschlag genommen. Gegenüber war noch ein Bett, das halbwegs gemacht aussah, auf dem aber eine Jacke lag. Der Manager meinte, dass dies das saubere Bett sei und legte die Jacke woanders hin. Damit war das Problem vorerst gelöst, ich hatte aber trotzdem ein ungutes Gefühl.

Was folgte, war die so ziemlich schlimmste Nacht meiner Hostelgeschichte. Bei dem Quintett handelte es sich um eine Gruppe Männer im mittleren Alter, die anscheinend nur nach Galway gekommen waren, um mal richtig die Sau rauszulassen. Zurück im Zimmer redeten sie lautstark, schnarchten, dass sich die Balken bogen und kotzten unüberhörbar in die Toilette (ein Nachteil, wenn das Bad auf dem Zimmer ist). Zu allem Überfluss befanden sich draußen auch noch eine Reihe Pubs, sodass dort Leute bis um vier morgens herumgrölten. Trotz Ohrstöpseln bekam ich da kaum ein Auge zu. Der Super-GAU folgte jedoch um sechs Uhr morgens, als jemand ins Zimmer kam und sich wunderte, was ich denn in seinem Bett machen würde. Ich wusste es, ich wusste es! Ich stellte mich aber schlafend, da ich auch einfach zu müde für Diskussionen war. Der Mann kam kurz darauf mit jemandem von der Rezeption wieder, der ihm aber klar und deutlich erklärte, dass die Gruppe nur fünf Betten gebucht hatte und dass das Bett daher mir zustehen würde. Er war sauer, aber es ist ja nicht mein Problem, wenn seine Kumpels zu doof sind um bis sechs zu zählen.

Man kann sich vorstellen, dass ich am nächsten Morgen wie gerädert war. Und dann funktionierte auch noch der Kaffeeautomat nicht richtig, sodass ich meinen Kaffee schwarz trinken musste, denn es gab keine Milch. Und kein Frühstück. Ich unterhielt mich noch mit dem Pärchen aus Lengerich, das sehr nett war. Sie hatte gerade Abitur gemacht und waren nun drei Wochen oder so auf Irlandurlaub, allerdings nur in der Südhälfte. Der Mann schlug vor, dass wir doch zusammen ins Museum gehen könnten, aber ich lehnte ab, da sie noch warten wollten, bis ihre Wäsche fertig war, was mit zu lange dauerte, außerdem wollte ich nicht unbedingt das fünfte Rad am Wagen sein. Ohnehin war meine Laune total im Keller. Ich hatte wenig Schlaf bekommen, kein Frühstück, es regnete in Strömen und zu allem Überfluss war auch noch mein 27. Geburtstag. Der Birthday Blues hatte mich voll im Griff, vor allem da fast alle Hostelgäste, denen ich so auf meiner Reise begegnete erst um die 20 waren. Um es mit Sebastian Flyte zu sagen: „I feel exactly one hundred years old.“

Ich ging zuerst ins Galway City Museum, in der Hoffnung, dass sich der Regen in der Zwischenzeit verziehen würde. Das Museum entpuppte sich als ebenso klein wie die Stadt. Im Erdgeschoss ging es um die frühe Geschichte von Galway, außerdem befand sich dort eine Statue von Pádraic Ó Conaire, einer der ersten Schriftsteller, der auf Irisch publiziert hat. Im ersten Stock ging es um das Kino in Galway, mit vielen Filmplakaten. Dort befand sich auch eine gigantische Puppe sowie eine Ausstellung mit Werken von Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts, die überwiegend abstrakt waren. Im Obergeschoss schließlich ging es um die britischen Konflikte, in denen irische Soldaten gekämpft haben, Südafrika, Erster Weltkrieg etc. Neu war für mich die Geschichte eines irischen Soldaten in Indien, der hingerichtet wurde weil er sich weigerte, Befehle zu befolgen, aus Protest darüber wie die Engländer die Iren behandeln. Sehr traurig, zumal er erst 22 Jahre alt war. Sie hatten auch Plakate aus der Zeit, die die Männer dazu bewegen sollten, sich freiwillig zu melden, in erster Linie in dem sie ihnen ein schlechtes Gewissen machten. Widerwärtig.


Insgesamt gab es nicht so viel zu sehen, sodass ich nach einer Stunde wieder raus war. Da es immer noch regnete, beschloss ich, erst einige Besorgungen zu machen, bevor ich mir die Stadt ansah. Am Morgen hatte ich die Rezeption dann doch nach einem Stadtplan gefragt, damit ich nicht den Lonely Planet herumschleppen musste. Es stellte sich heraus, dass sich nur fünf Minuten vom Hostel ein Industriegebiet mit Geschäften galore befindet, allerdings in entgegengesetzter Richtung zum Stadtzentrum, deswegen war ich dort nicht vorbei gekommen. Es gab einen u.a. Lidl, einen Tesco und einen Primark (der jedoch anders hieß), in dem ich mir ein paar Sneakers für 7€ kaufte, die halbwegs wasserabweisend aussahen, falls ich mal in die Stadt wollte. So musste ich nicht immer die Wanderschuhe anziehen. Eigentlich waren sie für Männer, aber sie hatten keine Frauenschuhe in 43. Glücklicherweise waren sie nicht allzu breit.

Nach einer Lunchpause im Hostel mit staubigem Gratistoast (Toast gab’s umsonst aber den Aufstrich musste man selber kaufen) widmete ich mich dann dem Sightseeing, auch wenn es immer noch regnete. Man kann ja sagen was man will, aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Norden und der Republik. Galway erinnerte mich stark an Dublin, auch wenn die Städte nicht viel gemeinsam haben. Ich kann das schwer in Worte fassen, aber jeder der schon einmal in Irland gewesen sind, weiß sicher wovon ich rede. Es heißt übrigens, dass Galway die „irischte“ aller Städte sei, vielleicht, weil es die einzige Großstadt ist, in der wirklich Irisch gesprochen wird, oder vielleicht auch wegen der Architektur, den kleinen, grauen, manchmal etwas heruntergekommenen Häusern. Oder weil ganze Straßenzüge nur aus Pubs bestehen. Galway ist wirklich so, wie man sich das typische Irland vorstellt. Es ist übrigens auch die Kulturhauptstadt der Insel, mit vielen Festivals das ganze Jahr hindurch, und eine Studentenstadt. 


Ich schaute mir also die wichtigsten Sehenswürdigkeiten an. Neben dem Museum befindet sich die Spanish Arch, das letzte Überbleibsel der alten Stadtmauer, was im Vergleich zu Derry natürlich ziemlich armselig herüberkam. Ich überquerte den River Corrib (mit 15km Länge der kürzeste Fluss Europas) am Salmon Weir, einem Wehr, an dem tatsächlich die Lachse vorbeikommen. An diesem Tag waren jedoch keine zu sehen. Dahinter befindet sich die Kathedrale von Galway, die Cathedral of Our Lady Assumed into Heaven and St. Nicholas, die interessanterweise erst knapp 50 Jahre alt ist. Im Vergleich zu anderen Kirchen ist sie vergleichsweise schlicht, aber doch ziemlich hübsch.



 


Ich ging weiter Richtung Hafen, da ich eigentlich die Promenade nach Salthill entlanggehen wollte. Salthill ist ein Vorort mit vielen Pubs, von dem man angeblich einen schönen Blick auf den Ozean hat. Es regnete jedoch so stark, dass ich meine Meinung änderte, da die Sicht nur sehr eingeschränkt war und ich auch einfach ins Trockene wollte. Obwohl es nicht einmal weit zum Hostel war, machte ich noch einen Abstecher zur anglikanischen Kirche, St. Nicholas Collegiate Church, um wenigstens kurz dem Regen zu entfliehen. Es war admission by donation, sodass ich zwei Pfund in die Schüssel warf. „Oh, poor girl“, rief die Dame am Eingang, „you’re soaked!“ Ich sagte nichts, denn ich war tatsächlich zu nass zum Sprechen. Ich nahm mir einfach eine Broschüre. „Yes, yes help yourself“, meinte die Dame voller Mitgefühl. Ich setzte mich erstmal in die Ecke und wischte mir das Gesicht trocken, damit ich auch was sehen konnte. Die anglikanische Kirche war noch einmal ein Stück schlichter als ihr katholisches Pendant und hatte zudem ein bisschen den Charme einer Abstellkammer. Kaum zu glauben, dass dort noch Gottesdienste stattfinden. Trivia: Christoph Kolumbus hat angeblich dort gebetet.


 

Ich ging über die Shop Street, die Kneipenmeile, zurück ins Hostel. Ich hatte auch praktisch alles, was es so in Galway City gibt, gesehen. Ehrlich gesagt war ich doch ziemlich enttäuscht, aber ich befürchte, die arme Stadt hatte nie wirklich eine Chance. Es ist jedes Mal so: Wenn ich eine Stadt verlasse, die ich sehr mag, bin ich von der nächsten eher enttäuscht. Dazu kam natürlich noch das furchtbar schlechte Wetter. Nun ja, das nächste Mal widmen wir uns dann dem ländlichen Galway.


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