Project Ireland: The First Day in Derry/The First Night of My Drinking


Am nächsten Morgen begann ich gleich nach dem Frühstück mit der Arbeit. Kylie bat mich, beim Saubermachen zu helfen. Ich kümmerte mich in erster Linie um die Zimmer im anderen Haus, was nicht so viel Zeit in Anspruch nahm, da sie sehr klein sind und praktisch nichts enthalten außer einem Bett und einem Mülleimer. Ich fand es etwas gewöhnungsbedürftig, dass es kein zweites Laken gibt, da die Bettbezüge nicht gewaschen werden, aber andererseits erleichtert es das Bettenmachen sehr, wenn man nur das Laken und den Kopfkissenbezug wechseln muss. Anschließend führte Kylie mich in die Rezeption ein. Alles sehr „old school“, denn die Reservierungen werden immer noch in ein Buch eingetragen, nichts mit Computer oder so (obwohl man online buchen kann). Kylie und Sam hatten schon die Reservierungen und die noch ausstehenden Summen eingetragen, sodass ich das bei der Ankunft der Gäste einfach nur durchstreichen musste. Jedes Zimmer und jedes Bett war noch einmal einzeln aufgeführt, sodass man gleich sehen konnte, welches belegt ist und welches nicht. Eigentlich ganz einfach.

Meine erste „Schicht“ dauerte nicht einmal die vollen drei Stunden, sodass ich viel Zeit hatte, Derry besser kennenzulernen. Ich ging auf die andere Seite des Flusses, über die Peace Bridge, was ungefähr fünf Minuten dauert (etwas, dass viele Touristen nicht glauben wollen). Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich Ebrington, das bis 2003 die Basis des britischen Militärs gewesen ist, nun aber zum Veranstaltungsgelände umgebaut wird. Da sind sie schon gut vorangekommen. Die hellgelben Gebäude erstrahlen in neuem Glanz, der Platz wurde neu gepflastert und eine Reihe Bäume wurde gepflanzt. Wenn Derry im nächsten Jahr City of Culture ist sollen nachts zudem noch mehrere Stelen am Flussufer leuchten, das sieht bestimmt sehr schön aus.


Ich ging weiter zur Bond St, da einige Murals sich dort befinden. Waterside ist zwar der protestantische Teil der Stadt, aber äußerlich zumindest nicht so übertrieben loyalistisch wie manch andere Viertel oder Städte in Nordirland. Es gab gar nur ein Haus, das von oben bis unten mit Flaggen dekoriert war. Na ja, und ein paar Bilder von der Queen waren auch hier und da zu sehen. Das Viertel ist ähnlich trostlos wie die Bogside, aber die Häuser nicht ganz so grau. Außerdem sind die Bordsteine rot, blau und weiß angemalt, etwas, das ich bisher nur in Derry gesehen habe. Das erste Mural war (mal wieder) abschreckend martialisch, es zeigte ein Totenkopfwesen, dass ein blutiges Schwert und einen Union Jack in der Hand hält, daneben liegt ein erstochener Mensch. Gruselig.


Die anderen Murals waren zum Glück eher harmlos. Eins zeigte George Washington, da dessen Armee angeblich zur Hälfte aus Ulster-Scots bestanden hat, ein anderes die Apprentice Boys of Derry (man beachte das Derry). Im Jahr 1688/89 war Derry eine wilhelmitische (William of Orange) Hochburg, was sich James II, ein Katholik, nicht bieten lassen wollte. Er entsandte eine Armee, doch als 13 Lehrlinge diese sahen, griffen sie schnell nach den Schlüssel der Stadttore und verschlossen diese. Im folgenden Frühjahr wurde die Stadt von James' Truppen belagert. Man nahm an, dass die Bevölkerung nicht lange durchhalten würde, doch diese erwies sich als ziemlich hartnäckig, gemäß ihrem Motto „No Surrender!“ (Nie aufgeben). Nach 105 Tagen durchbrachen Schiffe der Royal Navy die Belagerung, nachdem ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung gestorben waren. Unter Loyalisten sind die Lehrlinge so etwas wie Helden, es gibt sogar eine protestantische Bruderschaft die sich Apprentice Boys of Derry nennt. Sie halten jedes Jahr Paraden ab, die an die Belagerung erinnern, was in der Vergangenheit regelmäßig zu Ausschreitungen geführt hat (unter anderem zum Battle of the Bogside), doch in letzter Zeit war alles friedlich.


Die Murals der Waterside sind nicht ganz so beeindruckend und zahlreich wie die der Bogside, sodass ich mich nach relativ kurzer Zeit wieder auf den Weg zur Cityside machte. Diesmal nahm ich nicht die Peace, sondern die Craigavon Bridge, eine Doppeldeckerbrücke, die etwas weiter südlich liegt. Auf der anderen Seite befindet sich meine vielleicht liebste Statue überhaupt: Hands across the divide, die zwei Menschen zeigt, die sich die Hände reichen. Das finde ich wirklich ein sehr schönes Bild. Es ist mein Ziel, ein Foto mit einem blauen Himmel im Hintergrund zu schießen, aber bisher befanden sich immer Wolken über der Brücke.
Anschließend bin ich noch einmal zur St. Columb's Cathedral gegangen, da ich sie mir gerne von innen ansehen wollte. Die Begrüßung war nicht ganz so freundlich wie in Belfast und Fotos waren auch nicht erlaubt, aber einen Plan gab es immerhin. So richtig konnte ich mich aber nicht darauf konzentrieren, da in der Mitte der Kirche ein riesiger Bildschirm hing, der das Diamond Jubilee übertrug. In den Bänken saßen sogar einige (ältere) Leute, die sich das Spektakel ansahen. Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Die Kirche war ganz hübsch, vor allem die Fenster, die unter anderem an Cecil Frances Alexander erinnern, die so berühmte Hymnen wie „Once in Royal David's City“ verfasste. Außerdem gab es noch ein kleines Museum, dass sich vor allem (Überraschung, Überraschung) mit der Queen befasste. Sie verkauften sogar Jubiläumssouvenirs. Im Nachhinein ist es schade, dass ich mich so von der Queen habe ablenken lassen, denn sie ist immerhin das älteste erhaltene Gebäude in Derry und es gibt sicher vieles, das ich übersehen habe.


Abends wollte ich es eher ruhig angehen lassen, aber daraus wurde nichts. In Irland bleibt man wirklich nicht lange allein. Irgendwer fragte immer, ob man mit ins Pub kommen will, aber in Belfast wollte ich nicht, weil Beatrice mir schon genug auf die Nerven ging, und in Ballintoy war ich zu erledigt. An meinem ersten Abend hatte ich Kevins und Sams Einladung ebenfalls ausgeschlagen, da ich zu müde gewesen war. Ich ging davon aus, dass an diesem Abend nichts stattfinden würde, da Kevin und Sam die zwei Wochen davor jeden Abend im Pub gewesen waren und Kevin meinte, dass sie einen Ruhetag bräuchten. Als ich jedoch aus der Dusche kam, fragte Kevin: „We're going out. Do you want to come?“ Die anderen im Hostel wollten ins Pub und offensichtlich war es nicht schwer gewesen, Kevin zu überreden mitzukommen. Ja, seine Lebensgeister erwachten regelrecht und seine Augen leuchteten. „Well... no, I don't think so“, erwiderte ich überrascht. Kevin ließ nicht locker. „Why not?“ „Ehm... because I am already in my pajamas?!“, meinte ich. „That's alright. You look just like an Irish girl.“ Die Bemerkung war schon hart an der Grenze zur Beleidigung, sodass ich einen Moment stockte. Schließlich fragte ich, wohin und wann sie gehen. Da Kevin noch duschen musste, würden wir frühestens in zehn Minuten los. Und außerdem fand ich die anderen verdammt nett. „Okay, I'll just dry my hair and get dressed“, meinte ich schließlich, was erstaunlicherweise mit Freude aufgenommen wurde.

Wir waren eine gar nicht mal so kleine Gruppe. Neben Kevin und mir waren noch Teresa aus Kalifornien, Keesheeann aus Washington D.C., Perrine und Aurelie aus der Bretagne, Lisa und Laura aus Hamburg und Tom aus England mit dabei. Sam legte an diesem Abend tatsächlich eine Pause ein. Kevin konnte schon mal für Krakau üben und leitete unseren kleinen Pub Crawl. Zuerst gingen wir zu Tinney's. Es war kaum was los, allerdings war es auch erst kurz nach zehn. Ausgehen in Irland ist eine ziemlich kurze Angelegenheit, denn vor elf ist in den Pubs kaum was los, und um eins machen sie in der Regel schon wieder zu. Aufgrund des knappen Zeitfensters nehmen die Iren viel Alkohol in kurzer Zeit zu sich, mit teilweise unschönen Folgen. Was mich betrifft, so hätte ich mir mit meiner low tolerance for alcohol kein schlechteres Land aussuchen können, aber nun ja. Ich wählte ein Pint Harp, da Guinness womöglich zu stark für mich ist, aber begeistert hat mich das nicht.

Im oberen Geschoss fand tatsächlich eine traditionelle Musiksession statt, allerdings waren die Musiker und die fünf oder sechs Gäste alle schon ziemlich alt, sodass wir uns irritierte Blicke zuwarfen. Die Musiker spielten anscheinend nicht immer zusammen, denn es wurde recht viel improvisiert und das Zusammenspiel war nicht hundertprozentig, dennoch fand ich es irgendwie charmant. Die Gäste wurden angehalten, zu singen, was wir alle ausschlugen. Stattdessen übernahm meist ein Mann, der mindestens in den Siebzigern war, den Gesang. Seine Stimme war schon ziemlich brüchig, aber er sang durchaus hingebungsvoll. Die anderen EInheimischen stimmten zwischendurch mit ein, doch mir waren die Lieder alle fremd. Kevin gefiel das ganze überhaupt nicht, sodass wir nicht sehr lange blieben. Das tat mir ein bisschen leid, denn die Leute waren sehr nett gewesen.

Die meisten Pubs in Derry befinden sich in der Waterloo Street, just außerhalb der Stadtmauern. Das ist schon eine ganz interessante Straße, in der ein Religions- und ein Sexshop fast nebeneinander liegen. Die erste Adresse für irische Musik ist Peadar O'Donnell's, das mit irischen Flaggen geschmückt ist und jeden Abend traditionelle Livemusik bietet. Man konnte hören, dass die Musiker um einiges professioneller sind als die Combo in Tinney's, und wohl auch eher auf Touristen ausgelegt, da sie bekanntere Lieder spielten wie „Whiskey in the Jar“ und „I'll Tell Me Ma“. Diesmal entschied ich mich für ein Pint Carlsberg, was mich ebenfalls nicht gerade vom Hocker riss, außerdem schmerzte es mich ein wenig, dass ich insgesamt £6.20 vertrunken hatte, denn eigentlich wollte ich mein Geld nicht für Alkohol ausgeben.


Wir machten eigentlich nichts besonderes, sondern standen nur in dem kleinen Raum und unterhielten uns. Nach dem üblichen Smalltalk kamen wir irgendwie auf Größe zu sprechen, da Teresa und Keesheeann ziemlich klein, Lisa und ich aber ziemlich groß sind und irgendwie diskutierten wir nun darüber, was das „schwerere" Los ist. Um eins war aber Feierabend, und wir machten uns zurück auf den Weg ins Hostel. Ich war erstaunt, wie viel Spaß mir der Abend gemacht hatte. Ausgehen in Irland gefällt mir tendenziell besser, zum einen weil die Musik um Längen besser ist, zum anderen, weil es einfach nicht so lange dauert, es sei denn, man schiebt noch ein Privatparty nach. Wenn ich da an manche Clubs in Deutschland denke, wo man vor zwei Uhr gar nicht erst aufzukreuzen braucht... solange halte ich echt nicht mehr durch.


Der spontane Pub Crawl war nicht die einzige Überraschung der Woche, mehr gibt es beim (über)nächsten Mal.

Kommentare

  1. Hallo Danica, also nach dem Kevin zu schließen, gehen irische junge Frauen immer im Schlafanzug ins Pub - mh, ein "bißchen überzogen", denke ich!! Da hatte der wohl einen in der Krone vom letzten Pub Besuch her! Liebe Grüße aus Frankfurt! Rudi

    AntwortenLöschen
  2. Na ja, ich hatte ja keinen richtigen Schlafanzug an, sondern eine Jogginghose und ein Longsleeve. Hier gibt es echt erschreckend viele Leute, die im Jogger rumlaufen, von daher ist das gar nicht so weit hergeholt.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen