Project Ireland: The Civil Rancour That Tore the City Apart


Am zweiten Tag habe ich mich auf den Weg nach West Belfast gemacht, da ich mir die berühmten Murals dort ansehen wollte. Ich war zwar vor drei Jahren schon einmal dort gewesen, aber ich finde das alles ungeheuer faszinierend, von daher wollte ich noch ein zweites Mal dorthin. West Belfast ist so etwas wie das Zentrum des ganzen Nordirlandkonflikts: Es gliedert sich in das nationalistisch-katholische Falls und das loyalistisch-protestantische Shankill. Da die beiden Parteien auf so engem Raum aufeinander hocken, hat es dort natürlich besonders häufig geknallt: Great hatred, little room maimed us at the start, um es mit Yeats zu sagen. Hinzukommt, dass West Belfast der ärmste Stadtteil von Belfast ist und die Feindseligkeiten in den unteren Bevölkerungsschichten besonders ausgeprägt waren. Zwischen den beiden Viertel steht seit über 40 Jahren eine sogenannte “Peace Wall“, Friedensmauer, die sie trennt. Ein ziemlich ironischer Name.


Der ganze Konflikt hat mich schon immer interessiert, vielleicht weil es der erste war, den ich bewusst mitbekommen habe. Insbesondere weil ich selber aus einer gemischtkonfessionellen Familie komme, konnte ich nie verstehen, warum in aller Welt Katholiken und Protestanten sich die Köpfe einschlagen. Damals habe ich noch nicht verstanden, dass es eher ein nationaler als ein religiöser Konflikt ist, was es natürlich nicht besser macht. In den letzten Wochen habe ich mich noch ein bisschen ausführlicher damit beschäftigt, da Derry ja auch stark davon geprägt ist und ich nicht total unwissend dort ankommen wollte. Ich habe mir mehrere Filme zum Thema angesehen, und zwar Hunger, Bloody Sunday, Michael Collins, The Wind That Shakes the Barley und Omagh, außerdem vor ein paar Jahren schon In the Name of the Father. Auch wenn ich jetzt etwas mehr über die Hintergründe weiß, vollkommen verstehen werde ich es wohl nie. Ich will auch keine Partei für eine Seite ergreifen. Ich finde, die Menschen sollten entscheiden, um die geht es schließlich, und aktuell ist es so, dass die Mehrheit der Nordiren, auch der Katholiken, keinen Zusammenschluss mit der Republik will. Dies wird auch praktisch von allen Seiten so akzeptiert.

Ich habe mich also auf den Weg zur Falls Road gemacht, der Hauptstraße des Viertels. Gleich zu Beginn wurde deutlich, dass sich der zweite Ausflug dorthin gelohnt hat, denn die “Solidarity Wall“, in denen sich die Republikaner mit anderen mehr oder weniger unterdrückten Völkern solidarisieren sah ziemlich anders aus. So waren die Murals, die Israelis mit Nazis gleichsetzen und Sympathien für die ETA und Fidel Castro hegen verschwunden, ebenso wie ein Portrait von Frederick Douglass. Stattdessen gab es ein paar neue, abgeschwächte Versionen, und eins mit der Aufschrift „Free Marian Price“, die ich in ganz Falls häufig an den Wänden gesehen habe. Price ist eine militante Nationalistin, die u.a. wegen der Bombardierung des Londoner Gerichts Old Bailey verurteilt wurde, bei der ein Mensch starb und 200 verletzt wurden.

Falls ist so ziemlich die einzige Gaeltacht Area (gälisch-sprachiges Gebiet) in Nordirland, obwohl man da nicht so übermäßig viel von gemerkt hat, außer dass die Straßenschilder zweisprachig sind. Man merkt immer noch, dass Falls ein Arbeiterviertel ist, denn abseits der Hauptstraße sieht es schon ein bisschen trostlos aus, mit den endlosen Reihen roter Backsteinhäuser und den brachliegenden Industriegebieten. Farbenfroher ging es im westlichen Teil der Falls Road zu, wo unzählige grün-weiß-orange Fähnchen (die Farben der Republik) über der Straße wehten und weitere irische Flaggen an den Häusern hingen. Letztes Mal war ich nicht so weit nach Falls durchgedrungen und es überraschte mich, das zu sehen, da es normalerweise nicht die Republikaner sind, die im wahrsten Sinne des Wortes Flagge zeigen.


Ich weiß nicht, ob es an ihrem Katholizismus liegt, aber die Murals der Republikaner zeigen in erster Linie Aktivisten und Opfer, die quasi zu Märtyrern verklärt werden. Bei den Opfern, gerade wenn es sich um Kinder handelt, kann ich das noch ansatzweise verstehen, aber bei vielen ihrer „Helden“ handelt es sich nicht selten um Terroristen, da finde ich es schon bedenklich, wenn diese praktisch wie Heilige dargestellt werden. Besonders häufig ist Bobby Sands zu sehen, Mitglied der IRA. Sands war der erste IRA-Häftling, der 1981 im britischen Maze-Gefängnis aus Protest in den Hungerstreik trat und nach 66 Tagen starb. Neun weitere Häftlinge verhungerten ebenfalls, bis die IRA die Sache abblies. Sie protestierten, weil IRA-Mitglieder nicht als politische Gefangene anerkannt wurden; zunächst in dem sie die Gefängniskleidung ablehnten und nackt, nur mit einer Decke umschlungen, ihr Dasein fristeten, oder die Wände der Zellen mit Exkrementen beschmierten. Am Ende des Hungerstreiks gestand die britische Regierung den Häftlingen zu, ihre eigene Kleidung zu tragen, außerdem gewann die IRA weltweit an Sympathie. Nun ja. Auch wenn es sicher ungerecht und falsch und abscheulich war, dass Katholiken wie Sands im Norden diskriminiert wurden, rechtfertigt das meiner Meinung nach nicht die Gewalt, die von der IRA ausging. Ich glaube nicht, dass man Hass mit noch mehr Hass bekämpfen kann, im Gegenteil.


Zwischendurch machte ich eine Pause im Falls Road Park, aber nur eine kurze, da es nieselte und recht ungemütlich war. Der Park an sich ist ganz nett, vor allem die grünen Hügel des Hinterlandes sind sehr schön. Außerdem gibt es dort einige Gärten und eine Statue, von der ich nicht weiß, ob es ein Pferd oder eine Hund oder ein Löwe sein soll. Meine letzte Station an der Falls Road war Milltown Cemetery, wo die Hungerstreiker begraben liegen. Da das ja schon eine wichtige Episode britischer und irischer Geschichte ist, wollte ich mir das Grab ansehen. Zunächst stand ich etwas hilflos auf dem Friedhof, da ich nicht genau wusste, wo es denn nun liegt, bis ich in etwas Entfernung eine irische Flagge wehen sah. Ich bin also dorthin, aber es handelte es sich um das Grab einiger anderer IRA-Volunteers, nicht der Hungerstreiker. Plötzlich fuhren eine Reihe Autos an mir vorbei (ich finde es immer noch komisch, dass so viele britische Friedhöfe „Drive-ins“ sind). Als ich ihnen nachblickte, sah ich noch eine irische Flagge. Dort lag dann auch das Grab von Sands und den anderen, an einem kleinen Weg, an dessen Ende ein Mahnmal stand. Auf ihren Gräber lag ein Kranz aus künstlichen Blüten, die grün, weiß und orange waren.


Da der Friedhof mich insgesamt ziemlich deprimiert hat, bin ich wieder zurück zur Falls Road gegangen und dann auf die Beechtown Avenue abgebogen, in der sich ebenfalls einige Murals befinden. Ein paar Straßen weiter durchquerte ich dann ein Peace Gate, Tore in der Friedensmauer, und kam nach Shankill. Loyalistische Orte sind immer auf den ersten Blick zu erkennen, da unter einem Fahnenmeer von Union Jacks begraben liegen. So auch das Shankill: Fähnchen und Flaggen noch und nöcher, Union Jacks, Nordirlandflaggen und auch welche aus England, Schottland und Wales schmückten das ansonsten ebenso trostlose Viertel wie Falls. Dieses Mal war es mit den Fahnen sogar noch ärger als vor drei Jahren, denn an diesem Wochenende feierte die Queen ihr Diamond Jubliee, ihr diamantenes Thronjubiläum. Daher hingen überall Fahnen mit ihrem Antlitz, an den Straßenlaternen, den Häusern, den Geschäften. Es war verrückt. Ich bin ja nun wirklich kein Fan der Queen, aber das mit dem Jubliee ist schon eine große Sache, schließlich ist es erst das zweite Mal in der britischen Geschichte, dass ein Monarch 60 Jahre lang regiert hat, und das erste Mal seit 1897. Ich weiß noch, wie wir in einem Seminar über Queen Victorias Diamond Jubilee gesprochen haben und was für eine große Sache das damals war, und nun erlebe ich das quasi persönlich, das ist schon krass.


Auch im Shankill hatte sich so einiges verändert, was die Murals betrifft, so waren ausgerechnet die über Queen Mum und das Golden Jubilee der Queen verschwunden, eins über Kinderrechte (also ein friedliches Thema) war einfach überstrichen und durch nichts anderes ersetzt worden, das fand ich schon schade, zumal es 2009 noch recht frisch gewesen war. Die Murals der Paramilitärs von UVF (Ulster Volunteer Force) und UDA (Ulster Defense Association) waren soweit ich das sehen konnte noch alle da. Hier zeigt sich der Unterschied zu den nationalistischen Murals: Sie sind ungleich martialischer und nicht personenbezogen, meist sieht man Männer in Sturmhauben mit ihren Gewehren. Zudem ist überall die rote Hand von Ulster zu sehen. Einer Legende nach versprach ein Eroberer namens O'Neill oder O'Donnell Ulster demjenigen, dessen rechte Hand zuerst das Land berührt. Einer der Männer auf dem Schiff war besonders findig: Er schnitt sich die rechte Hand ab und warf sie auf den Strand. Die rote Hand ist das Symbol für Ulster schlechthin und auch auf der offiziellen Flagge von Nordirland zu sehen (obwohl das historische Ulster eigentlich noch drei Counties beinhaltet, die heute zur Republik gehören).


Abseits der Shankill Road gibt es eine Häuserreihe mit einige Murals, deren Vorplatz mit allerlei Sperrmüll beladen war, auf dem einige Jugendliche saßen. Alles sehr trostlos, dafür waren die Häuser umso mehr mit Flaggen geschmückt. In der Ecke befinden sich Bilder von Männern, die während der Troubles getötet wurden, aber auch von US-Präsident Andrew Jackson (dessen Vorfahren aus der Gegend stammen) und Martin Luther. Auch das schaurigste Mural von Shankill ist dort, ein UVF-Kämpfer, der seinen Maschinenlauf direkt auf den Betrachter richtet.


Von dort aus bin ich wieder zurück ins City Centre gegangen. Da meine Füße ziemlich weh taten aber ich noch nicht zurück ins Hostel gehen wollte, habe ich der Linen Hall Library gegenüber der City Hall einen Besuch abgestattet. Sie ist etwas kleiner, als ich erwartet hatte, aber sehr schön mit alter Holzverkleidung und vielen Sofas. In einem lies ich mich nieder und las das Nordirland-Kapitel von John Ardaghs „Ireland and the Irish“, das höchst interessant war, auch wenn das Buch bereits fast 20 Jahre alt ist und noch vor dem Good Friday Agreement und der IRA-Bombe von Omagh, die 29 Menschen tötete, geschrieben wurde. Gerade deswegen war ich überrascht, wie zuversichtlich der Autor war, dass es einen dauerhaften Frieden in Nordirland geben wird. Ich bin allerdings skeptischer als er, was eine Wiedervereinigung Irlands betrifft. Ich habe nicht das Gefühl, dass das sobald geschehen wird.

Als die Bibliothek um fünf verließ, schien sogar die Sonne, was Belfast umgehend schöner machte. Die City Hall schien geradezu in neuem Glanz zu erstrahlen, das musste ich erstmal fotografisch festhalten. Anschließend ging ich noch zum Tesco in der Innenstadt, der eine erheblich größere Auswahl hatte als der in der Dublin Road. Ich hatte einen schlimmen Heißhungeranfall auf Saft und Schokolade und packte die günstigsten Marken in meinen Korb, mit unschönen Folgen: Als ich nämlich draußen war und einen großen Schluck O-Saft nahm, hätte ich ihn am liebsten umgehend wieder ausgespuckt, da er eklig süß war. Als ich mir genauer das Etikett ansah, bemerkte ich, dass es sich um Konzentrat handelte. Na toll! Hätte ich das bloß vorher getan. Aber ich hatte schon wieder verdrängt, dass so etwas abartiges überhaupt existiert (denn selbst verdünnt schmeckt es nicht viel besser).


Im Hostel gab es neue Roommates, fünf Jungs aus der Republik. Ich sagte Hallo, legte meine Tasche auf mein Bett und hängte meine Jacke an der Tür auf, doch als ich umdrehte sagte der eine zu mir: „Ich habe deine Sachen mal auf das andere Bett gelegt.“ Auf Beatrices Bett wohlgemerkt. „Aber warum? Das ist mein Bett. Ich hab darin geschlafen!“ Anscheinend wollte er sich mein Bett krallen, da er nicht oben schlafen wollte. Erst dann sah, dass er auch ein paar andere Sachen wie mein Halstuch oder meine Wasserflasche auf Beatrices Bett verfrachtet hatte. „Ach so“, meinte er nur und bezog schließlich das obere Bett. Also nein, was mein Bett betrifft, da bin ich empfindlich. Ich weiß auch nicht, warum Beatrice, die natürlich im Zimmer war, ihnen nicht gesagt hat, dass das Bett belegt ist. Andererseits war es auch so ziemlich offensichtlich. Na egal, Hauptsache ich konnte es behalten.

Kommentare

  1. Ich war leider noch nie in Irland, weder Nord- noch Republik. Auch wenn es im Moment nicht nach einer Vereinigung von Irland mit Nordirland aussieht, ich bin trotzdem für ein Irland auf der Insel, ein Schottland, ein England und ein Wales. Es sind unterschiedliche Völker mit unterschiedlicher Herkunft - also jeder soll sein Land haben mit guter Nachbarschaft zu den angrenzenden Ländern, eingebunden in die EU. Im Fußball sind sie schon immer getrennt, sogar Nordirland hat seine eigene Nationalmannschaft - haben am letzten Samstag gerade in Amsterdam gegen Holland gespielt. In diesem Sinne - give Irland back to the Irish!

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