Books I've Read: Erik Kirschbaum - Rocking the Wall


Dass ein Bruce-Springsteen-Konzert ein außergewöhnliches Erlebnis sein kann, darüber hatte ich mich vor ein paar Monaten bereits ausgelassen. Dass ein Bruce-Springsteen-Konzert aber auch eine Bedeutung erlangen kann, die über die reine Musik hinausgeht, das ist das Thema von Erik Kirschbaums Rocking the Wall. In dem Buch beschreibt der amerikanische Journalist das Konzert, das Springsteen am 19. Juli 1988 in Ost-Berlin gab und das eines der größten in der Geschichte der DDR wurde. Über 300.000 Menschen - vielleicht sogar eine halbe Million - waren seinerzeit nach Weißensee gekommen, um den Boss einmal persönlich zu erleben.

Verständlicherweise geht es in Rocking the Wall weniger um die musikalischen Aspekte der Show als um die politischen Umstände, denn ein Konzert war in der DDR nicht einfach nur ein Konzert. Für viel junge und ältere Ostdeutsche war Musik, insbesondere die des "Klassenfeinds", ein Hauch von Freiheit. Als Bands wie Genesis oder die Eurhythmics in West-Berlin spielten, klebten die ostdeutschen Musikfreunde geradezu an der innerdeutschen Grenze bis Polizisten sie mit Schlagstöcken und Elektroschockern vertrieben. Irgendwann sah aber auch die politische Führung ein, dass Gewalt keine Dauerlösung ist und dass der Schuss nach hinten losgehen kann, wenn man den Menschen ständig vorenthält, was sie sich so sehr wünschen.

Springsteen selbst hatte seit einem Besuch in Ost-Berlin 1981 den Wunsch, in der DDR aufzutreten. Als er 1988 in die geteilte Hauptstadt zurückkehrte erkundigte er sich, wie die Chancen für ein Konzert in Ost-Berlin stünden. Der Zeitpunkt war günstig, denn der frische Wind aus Moskau machte sich in abgeschwächter Form auch in der DDR bemerkbar. Tatsächlich war es erstaunlich unkompliziert, die Bewilligung für ein Konzert zu erhalten, auch weil sich die politische Führung erhoffte, so die Jugend beschwichtigen zu können. Dennoch wäre der Auftritt beinahe geplatzt, da die organsierende FDJ versuchte, das Konzert als "anti-imperialistischen Akt der Solidarität mit [dem sozialistisch regierten] Nicaragua" zu verkaufen, um auch wirklich die Erlaubnis von der SED zu erhalten. Springsteen - der übrigens auf seine Gage verzichtete - wehrte sich gegen die Vereinbarung und die FDJ hängte die betreffenden Transparente tatsächlich ab.

Offiziell standen für das Konzert 160.000 Tickets zur Verfügung, doch diese waren von so schlechter Qualität, dass man sie einfach kopieren konnte. Zudem reisten tausende Fans aus ganz Ostdeutschland an, obwohl sie keine Eintrittskarte besaßen. Der Menschenauflauf war so groß, dass die Organisatoren schließlich die Absperrungen abbauten, damit es nicht zu Ausschreitungen kommt, sodass letztendlich jeder der wollte, sich das mehr als vierstündige Konzert ansehen konnte - wahrscheinlich gut 300.000 Menschen insgesamt. Alle waren völlig außer sich vor Begeisterung, vor allem als Springsteen auf Deutsch von seiner Hoffnung sprach, dass eines Tages alle "Barrieren" (das Wort "Mauer" wurde aus Angst vor Konsequenzen kurzfristig ersetzt) abgerissen werden würden.

Die Stärke von Kirschbaums Buch ist es, dass er sowohl Veranstalter - darunter Springsteens Manager Landau - als auch Besucher des Konzerts zu Wort kommen lässt. Besonders interessant ist auch der Hinweis auf die Stasi-Dokumente, denn selbst die Spitzel konnten sich der allgemeinen Begeisterung nicht entziehen. So gewinnt man einen guten Eindruck von den politischen Umständen, aber vor allem von der Wirkung, die das Konzert auf alle, die vor, hinter und auf der Bühne dabei waren, hatte. Die Frage, die Kirschbaum besonders beschäftigt ist, inwiefern das Konzert zum Fall der Mauer beigetragen hat. Der Auftritt allein hat diesen sicher nicht herbeigeführt, aber es wird deutlich, dass die Zuschauer danach "Blut geleckt" haben und das Konzert sie nicht beschwichtigte, sondern ihren Widerstandsgeist erst recht befeuerte. Der Rest ist Geschichte.

Fazit: Trotz einiger Wiederholungen ein sehr interessanter Einblick in eins der wichtigsten Konzerte der Popmusikgeschichte.


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