20+13 Alben für 2013

Das Jahr ist vorüber, aber der musikalische Rückblick auf 2013 darf natürlich nicht fehlen. Allerdings ist 2013 das erste Jahr seit Ewigkeiten, das mich etwas enttäuscht hat - wobei ich jedoch weniger von den Bands als von mir selbst enttäuscht bin. In den letzten zwölf Monaten habe ich gerade einmal 53 Neuerscheinungen gehört. Das ist zwar immer noch eine pro Woche, aber 25 weniger als im letzten Jahr. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich seit Monaten eine riesige Baustelle vor der Tür habe und es nur halb so viel Spaß macht Musik zu hören, wenn diese ständig von einem Presslufthammer überlagert wird. Hinzu kommt, dass ich im letzten Jahr mehr Arbeit hatte als jemals zuvor, wodurch für die Musik nicht so viel Zeit blieb. Was mich jedoch wirklich stört ist, dass so viele Alben mich kalt gelassen haben. Mir blutet das Herz, wenn ich hier auf meine Liste schaue und sehe, wie viele Scheiben meiner Lieblingskünstler einfach nicht bei mir hängen geblieben sind: The Head & The Heart, Dawes, Arcade Fire, The National und und und. Ich kann mir nicht erklären, woran das liegt. Diese Alben sind in den seltensten Fällen schlecht, dennoch war ich unbeeindruckt.

Dementsprechend fällt die diesjährige Liste eher klein aus. Dennoch gab es nicht wenige Alben, die sehr gut waren und mich schwer begeistert haben. Wie jedes Jahr betone ich, dass es sich hier nicht um eine "Bestenliste" handelt, sondern um eine Aufzählung meiner Lieblingsalben der letzten Monate. Eine Aufzählung, die immer eine Momentaufnahme ist. Wenn ich heute auf meine Liste für 2012 blicke, dann würde ich ohne zu zögern Iris DeMents Sing the Delta auf Platz 1 setzen. Damals hatte ich das Werk erst einige Male gehört, doch Anfang des Jahres lief bei mir kaum etwas anderes. Sing the Delta hat einen Nerv bei mir getroffen und sich zu einem extrem wichtigen Album für mich entwickelt, was damals noch nicht abzusehen war.

Andererseits: Dieses Jahr stand der Favorit schon so früh und so eindeutig fest, dass er in meiner Gunst eigentlich uneinholbar vorne liegt. Ansonsten tauchen einige alte Bekannte auf, aber auch viele Überraschungen. Nicht wenige Alben sind mir erst in den letzten Wochen zu Ohren gekommen. Aber seht selbst:



20. Ivan & Alyosha - All The Times We Had


Eine Band namens Ivan & Alyosha hat bei einem alten Dostojewski-Freund wie mir natürlich automatisch einen Stein im Brett, aber noch schöner ist es, wenn die Musiker ihren tollen Namen mit einem tollen Debüt verbinden. Auf ihrem ersten Album All The Times We Had bewegt sich das Seattler Quartett zwischen Folkpop und Indie-Rock und verbindet hübsche Melodien und nachdenkliche Texte mit unwiderstehlichem Harmoniegesang.

Lieblingslieder: Be Your Man, Easy to Love, Don't Wanna Die Anymore


19. The David Mayfield Parade - Good Man Down


The David Mayfield Parades Good Man Down ist mehr als ein Countryalbum, es ist ein Rundumschlag durch die amerikanische Rootsmusik: Auf dem zweiten Werk des Songwriters (der übrigens der Bruder von Jessica Lea Mayfield ist) finden sich straighte Alt.Country-Songs, bluesige Stomper, Bluegrass-Instrumentals, streicher- und chorverstärkter Folkpop und zarte Akustik-nummern. Mayfield bedient sich klassischer Elemente, um sie zu seinem ganz eigenen Sound zu verarbeiten. Das Ergebnis ist ein Album, das traditionell und originell zu gleich ist.

Lieblingslieder: Love Will Only Break Your Heart, Human Cannonball, Trapped Under the Ice


18. Widower - Fool Moon


Fool Moon und ich, das war Liebe auf den ersten Hörgang. "Jumper Cables" ist ein flotter, infektiöser Alt.Country-Song à la Ryan Adams oder Centro-matic, während der Rest des Albums eher aus ruhigen, traurigen Folktiteln besteht. Das ist zwar alles nicht übermäßig originell, aber doch sehr schön.

Lieblingslieder: Jumper Cables; Oh Catherine, My Catherine; Love, or Lack Thereof


17. Phosphorescent - Muchacho


Ich habe zugegeben eine Weile gebraucht, um mit Muchacho warm zu werden, da Matthew Houck sich auf diesem Album doch ein ganzes Stück vom Vorgänger Here's to Taking It Easy entfernt hat. Muchacho verbindet Electronica-Sounds und ätherischen Gesang mit Country- und Rockelementen. Ein mächtiges Werk, das mit "Song for Zula" zudem noch einen der stärksten Songs des Jahres zu bieten hat - und das, wenn man sich die Kritikerpolls so anschaut, neben Kanye Wests Yeezus das Konsens-Album des Jahres zu sein scheint.

Lieblingslieder: Song for Zula, Muchacho's Tune, The Quotidian Beasts


16. Vampire Weekend - Modern Vampires of the City


Mit ihrem dritten Album dürften sich Vampire Weekend endgültig als eine der größten Indie-Bands ihrer Generation etabliert haben. Modern Vampires of the City ist ein wildes Sammelsurium aus Gitarrengeschrammel, Keyboard-Pop, sanftem Klavierspiel, lieblichem Chorgesang, Dub, Streicherarrangements und diversen anderen Dingen, die alle erstaunlich gut zusammen passen. Ein Album, das intelligent ist und gleichzeitig Mordsspaß macht.

Lieblingslieder: Unbelievers, Hannah Hunt, Ya Hey


15. Radical Face - The Family Tree: The Branches


Mit The Family Tree: The Branches legt Ben Cooper alias Radical Face den zweiten Teil seiner musikalischen Familien-Trilogie vor, der die Jahre 1860 bis 1910 umfasst. Die Texte sind sad as fuck, wie Cooper selbst vielleicht sagen würde, die Musik ist nicht ganz so düster, sondern eher von einer melancholischen Schönheit. Die Arrangements sind manchmal dezent, manchmal üppig, aber immer faszinierend. Eine Familiengeschichte, in die man ganz tief versinken möchte.

Lieblingslieder: The Crooked Kind, The Gilded Hand, We All Go the Same


14. Gregory Alan Isakov - The Weatherman


Gregory Alan Isakov kannte ich zwar flüchtig, aber Feuer und Flamme für ihn bin ich erst, als ich vor einigen Monaten zufällig auf "Amsterdam" stieß. Dieser schöne, poetische Folksong verzauberte mich sofort und auch das dazugehörige Album The Weatherman zog mich in seinen Bann. Isakov singt zärtliche Songs, die üppig und gleichzeitig zurückhaltend arrangiert sind und mich an Ryan Adams zu seinen besten Zeiten erinnern.

Lieblingslieder: Amsterdam, Saint Valentine, Living Proof


13. Laura Marling - Once I Was An Eagle


Auch wenn sich Laura Marling auf Once I Was An Eagle im Vergleich zum Vorgänger musikalisch etwas zurücknimmt, ist ihr mal wieder ein wunderbares Album gelungen. Eagle versammelt 16 rätselhafte und düstere Folksongs, die mal wuchtiger und mal spärlicher ausfallen. Auch wenn mir die musikalische Vielfalt von A Creature I Don't Know etwas fehlt, handelt es sich hier doch um ein Werk, das einen nicht so schnell los lässt.

Lieblingslieder: Devil's Resting Place, When Were You Happy? (And How Long Has That Been), Saved These Words


12. Villagers - {Awayland}


Mangelnde Experimentierfreude kann man Conor O'Brien alias Villagers nicht vorwerfen: {Awayland} bietet unter anderem schlichten Folk, munteren Pop, zarte Klavierstücke, Electronica-Spielereien und epische Streicherarrangements. Ein faszinierendes Album voller Überraschungen.

Lieblingslieder: Nothing Arrived, Grateful Song, In a Newfound Land You Are Free


11. Billy Bragg - Tooth & Nail


Dass Billy Bragg auf seinem neuesten Album mit Joe Henry zusammen gearbeitet hat, ist nicht zu überhören. Geschadet hat es ihm allerdings nicht, im Gegenteil: Der Americana-Sound von Tooth & Nail steht dem ehemaligen Punkrocker sehr gut. Die Politik tritt diesmal in den Hintergrund, aber auch auf persönlicher Ebene versteht Bragg es, den Zeitgeist einzufangen wie kaum ein anderer.

Lieblingslieder: No One Knows Nothing Anymore, Handyman Blues, There Will Be A Reckoning


10. Basia Bulat - Tall Tall Shadow


Schon der Titel und das Cover lassen vermuten, dass es sich hier nicht gerade um das sonnigste aller Alben handelt: Tall Tall Shadow hat eine sehr traurige Grudstimmung, ist jedoch niemals resignierend. Auf Basia Bulats drittem Album finden sich sowohl herzerschütternde Folkballaden als auch mitreißende Uptempo-Nummern, die sie mit abwechslungsreichen Arrangements anreichert und wunderschönem Gesang darbietet.

Lieblingslieder: Promise Not to Think About Love, It Can't Be You, Paris or Amsterdam


9. Laura Veirs - Warp & Weft


Den Titel ihres Album entlieh Laura Veirs der Weberei, da ihre Lieder für sie eine Art musikalischer Wandteppich sind. Tatsächlich ist Warp & Weft eine sorgsam gesponne Klangkulisse, die eine geradezu hypnotische Wirkung entfaltet. Das große Thema ist die Zerbrechlichkeit alles Guten, sodass das Album von einer großen Düsternis geprägt ist, in der gleichzeitig auch sehr viel Schönes liegt.

Lieblingslieder: Sun Song, Finster Saw the Angels, Say Darlin' Say


8. Jason Isbell - Southeastern


Oberflächlich betrachtet mag Southeastern ein klassisches Americana-Album sein; Jason Isbell bewegt sich hier jedoch auf einem Niveau, das ihn von vielen anderen Künstlern abhebt. Schon der Opener "Cover Me Up" ist von einer Intensität, die man nicht häufig hört. Unterlegt von größtenteils zurückhaltener Musik lässt Isbell Versperlen los, die einen auf die bestmögliche Weise kalt erwischen und die man nicht mehr vergisst.

Lieblingslieder: Cover Me Up, Flying Over Water, Relatively Easy


7. Caitlin Rose - The Stand-In


Ich bin immer noch ziemlich platt ob der Entwicklung, die Caitlin Rose in den letzten Jahren durchgemacht hat. Wenngleich ihr Debüt Own Side Now schon viel Potential erkennen ließ, ist der Nachfolger The Stand-In ein rundherum gelungenes Album. Irgendwo in Countryland hat Rose ihren ganz eigenen Sound gefunden, der schwer zu klassifizieren, aber durchweg verführerisch ist.

Lieblingslieder: Waitin', Dallas, When I'm Gone


6. Guy Clark - My Favorite Picture of You


Mit 71 Jahren ist Guy Clark noch einmal der ganz große Wurf gelungen: My Favorite Picture of You entstand nach dem Tod von Clarks Frau Susanna, mit der er 40 Jahre lang verheiratet war. Das Ergebnis ist ein Album, das nicht nur allerfeinsten Country bietet, sondern in seinem Schmerz und seiner Weisheit auch zu den bewegendsten des Jahres gehört.

Lieblingslieder: Cornmeal Waltz, My Favorite Picture of You, Hell Bent on a Heartache


5. Mavis Staples - One True Vine


Schon mit You Are Not Alone haben Mavis Staples und Produzent und Wilco-Frontmann Jeff Tweedy bewiesen, dass sie musikalisch betrachtet ein absolutes Traumpaar sind. Der Nachfolger One True Vine steht dem in nichts nach: Selten hat Gospel wohl so gegroovt wie hier. Tweedy versteht es, die zehn Songs abwechslungsreich zu gestalten und dabei den Scheinwerfer doch stets auf Staples' einmalige Stimme zu richten - eine Stimme, die auch mit 74 Jahren immer noch überwältigend ist und der man anhört, dass jedes Wort von Herzen kommt.

Lieblingslieder: Every Step, What Are They Doing In Heaven Today, I Like the Things About Me


4. Neko Case - The Worse Things Get, The Harder I Fight, The Harder I Fight, The More I Love You


Was ich im letzten Jahr über Fiona Apple geschrieben habe, trifft auch auf The Worse Things Get... von Neko Case zu: Nicht nur der Titel, das ganze Album ist eine Zumutung. Es liegt so viel Wut und so viel Schmerz in diesen Liedern, dass es manchmal kaum zu ertragen ist, vor allem bei der A-cappella-Nummer "Nearly Midnight, Honolulu". Aber gerade diese Leidenschaft gepaart mit einer großartigen Stimme und stets orginieller Musik macht The Worse Things Get... zu einem grandiosen Album. [Tipp: Wer die Scheibe noch nicht hat, sollte sich unbedingt die Deluxe-Version mit drei tollen Extra-Songs besorgen.]

Lieblingslieder: Night Still Comes, Nearly Midnight, Honolulu, Local Girl


3. Lucius - Wildewoman


Mit ihrem Debüt Wildewoman haben Lucius nicht weniger als das Rad der Popmusik neu erfunden. Die Melodien sind eingängig und unwiderstehlich, die Arrangements dennoch komplex und voller Überraschungen. Der Zuckerguss auf dem Kuchen ist jedoch der wunderbare Harmoniegesang von Jess Wolfe und Holly Laessig - wer da nicht dahinschmelzt, sollte schnellstmöglich einen HNO-Arzt aufsuchen. Ein perfektes Album.

Lieblingslieder: Wildewoman, Turn It Around, How Loud Your Heart Gets
 

2. Patty Griffin - American Kid


Es ist bezeichnend, dass ich Patty Griffins siebtes Album erst seit einer Woche kenne und es jetzt fast ganz oben auf meiner Liste steht. American Kid erinnert mich in vielerlei Hinsicht an die Platten von Iris DeMent, und das nicht nur, weil Griffin hier ebenfalls das berührende "Mom and Dad's Waltz" covert. Die Texte sind von der Familie inspiriert, die Musik ist tief im amerikanischen Süden verwurzelt. Ein großes Album, das ergreifend, wahrhaftig und unsagbar schön ist.

Lieblingslieder: Go Wherever You Wanna Go, That Kind of Lonely, Get Ready Marie


1. Van Dyke Parks - Songs Cycled


Für aufmerksame Leser dieses Blogs dürfte es keine Überraschung sein, dass Songs Cycled hier auf Platz eins steht, wenn man bedenkt, dass ich quasi von der ersten Sekunde absolut besessen von diesem Album war und mich irgendwann zwingen musste, es nicht immer und überall zu hören, damit ich es nicht überhöre. Wie hatte ich vor einigen Monaten geschrieben: Songs Cycled ist nicht nur voller Selbstreferenzen, es ist Van Dyke Parks in Reinkultur. Dort findet sich alles, was das Werk des 71-Jährigen ausmacht: Es gibt Calypso-Cover, Klassik-Interpretationen im Calypso-Stil, umarrangierten Gospelstücke, umarrangierte Eigenkompositionen und natürlich auch neuere Titel, bei denen Parks sich von nicht nur vom Great American Songbook, sondern von Musikstilen aus der ganzen Welt inspirieren lässt. Er ist wie ein Jongleur, der hundert Bälle gleichzeitig in der Luft hält und nie einen fallen lässt - so virtuos händelt er die verschiedenen Einflüsse. Seine Ergänzung findet dieses herrliche musikalische Durcheinander in Parks' Poesie, die manchmal kritisch, allzu oft rätselhaft, aber immer packend ist. Songs Cycled ist nicht nur eine Mini-Retrospektive eines der größten Musiker unserer Zeit, es ist ein in jeder Hinsicht überwältigendes Album.

Lieblingslieder: Dreaming of Paris, The Parting Hand, The All Golden


Honorable Mentions:

The Deep Dark Woods - Jubilee
Dr. Dog - B-Room
Mount Moriah - Miracle Temple
Frontier Ruckus - Eternity of Dimming
Night Beds - Country Sleep
Bill Callahan - Dream River
The Milk Carton Kids - The Ash & Clay
Okkervil River - The Silver Gymnasium
Kingsley Flood - Battles
Typhoon - White Lighter
Spirit Family Reunion - No Separation
John Grant - Pale Green Ghosts
Campfire OK - When You Have Arrived


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