Books I've Read: Breandán Ó hEithir - Führe uns in Versuchung


Führe uns in Versuchung von Breandán Ó hEithir hat eine ganz interessante Geschichte: Als es 1976 unter dem Titel Lig Sinn i gCathú erschien, wurde es das erste Buch in irischer Sprache, das es auf die Beststellerliste des Landes schaffte. Es folgten Übersetzungen ins Englische und ins Deutsche, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das Buch auch außerhalb der ehemaligen DDR erschienen ist. Eine Zeit lang war es wohl Unterrichtsstoff in Schulen, doch mittlerweile ist es out of print und ziemlich in Vergessenheit geraten - auch bei mir. Ich muss es wohl in Halle gekauft haben, wahrscheinlich nachdem ich 2009 zum ersten Mal in Irland war. Es landete jedoch auf dem großen Stapel ungelesener Bücher, bis ich es neulich wiederentdeckte und mir endlich zu Gemüte führte.

Ó hEithirs Roman ist weniger eine Erzählung als ein Porträt der Gesellschaft von Ballycastle - eine Universitätsstadt, bei der es sich in Wahrheit um Galway handelt. Führe uns in Versuchung spielt an fünf Tagen im April 1949, genauer gesagt an Ostern. Im Mittelpunkt steht der Plan der neuen Regierung, am Ostermontag die Republik ausrufen - eine Republik, die freilich längst existiert. Dementsprechend interessiert dieser Versuch der Selbstlegitimation so gut wie niemanden. Die ehemaligen Rebellen haben entweder das Land längst verlassen oder hocken im Pub, und auch der Rest der einfachen Bevölkerung hat das Vertrauen in Politik und Kirche verloren. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der junge Martin Melody. Martin hat eine ganze Menge Probleme: Sein Vater ist todkrank, er wurde mangels Anwesenheit von der Uni verwiesen, er streitet sich ständig mit seinem Priesterbruder und seine erzkatholische Freundin lässt ihn nicht ran. Schließlich wird er auch noch von seiner Vermieterin rausgeschmissen, da er die Miete lieber in Alkohol investiert. Unsicher, was er mit sich anfangen soll, treibt er sich in den verschiedenen Kneipen der Stadt herum und erlebt das ganze Trauerspiel, das die Deklaration begleitet.

Führe uns in Versuchung ist ein Roman, der so traurig wie absurd ist. Ó hEithir zeigt das Irland der späten Vierzigerjahre als eine heillos zerstrittene Gesellschaft. Als die Parteien im Stadtrat beispielsweise darüber diskutierten, nach wem die neue Straße benannt werden soll, können sie sich einzig und allein auf die Jungfrau Maria einigen. Beim Hurling kommt es gar nicht erst zum Spiel, da die teilnehmenden Teams sich schon im Vorfeld an die Gurgel gehen. Überhaupt scheint die Stadt nur noch aus Feinden zu bestehen: Katholisch gegen Protestantisch, religiös gegen weltlich, Fianna Fáil gegen Fine Gael und so weiter, und so weiter. Die Erklärung der Republik am Ostermontag, diesem symbolisch so überladenen Tag, gerät dann vollends zur Farce. Das Schlimme daran ist, dass sich das zum größten Teil tatsächlich so zugetragen hat. Die beiden Kapellen streiten sich; eine weigert sich sogar die Nationalhymne zu spielen und geht lieber in die Kneipe. Die Geistlichen streiten sich, die Politiker streiten sich, zwei Professoren streiten sich darüber, ob die Inschrift auf der Gedenktafel grammatikalisch korrekt ist. Das Volk, das trotz allem immer noch tief von der Geschichte und der Kirche geprägt ist, schaut sich das Spektakel trotzdem an, auch wenn sich keiner so recht für die Zeremonie begeistern kann. Als statt der Hymne versehentlich Tanzmusik abgespielt wird, geht man dann doch lieber ins Pub.

Ó hEithir ist mit seinem Buch ein sehr lebhaftes und treffsicheres Gesellschaftsporträt gelungen, das einerseits sehr unterhaltsam ist, bei dem einem das Lachen aber oftmals im Halse stecken bleibt. Hierzulande kann ja manchmal den Eindruck gewinnen, dass auf der Insel nur die monolithischen Blöcke katholisch und protestantisch existierten, aber Führe uns in Versuchung zeigt, wie komplex die irische Gesellschaft ist - eine Gesellschaft, die so genau weiß woher sie kommt und so oft nicht weiß, wohin sie eigentlich will.

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