Project Ireland: Way Out in the Wilderness


Am nächsten Morgen hieß es Abschied nehmen von Galway, worüber ich nicht besonders traurig war, denn in der Nacht zuvor hatten die Leute draußen mal wieder bis vier Uhr herumgegrölt und die Männer drinnen geschnarcht, dass sich die Balken bogen. Sie schafften es dennoch, um neun Uhr beim Frühstück mit den lieben Ehefrauen zu sein, abgesehen von einem dicken Typen, der das Bett nur verließ, wenn es draußen dunkel war. Ich war gerade am Packen, als er mich plötzlich ansprach. Er klang noch sehr betrunken, sodass ich ihn erst beim zweiten oder dritten Mal verstand. Er fragte mich doch tatsächlich, ob ich mit ihm und seinen Kumpels auf die Aran Islands fahren wollte. ”Thanks, but… no.“ ”Why not?“ ”Because I’m going to Donegal. Now.“ “Donegal?! Donegal’s boring!” “Well, if you think so…” Mit ihm und seinen Freunden auf die Aran Islands. Klar. Ich ergriff so schnell wie möglich die Flucht, sodass ich etwas zu früh an der Bushaltestelle war. Als ich dort stand und wartete brach plötzlich die Sonne durch die Wolkendecke, woraufhin eine Frau neben mir zusammenfuhr, nach oben blickte und erschrocken ausrief: „Oh my god, it’s the sun!“ In Galway hatte wohl schon so lange nicht mehr die Sonne geschienen, dass sie das ganze Licht zunächst nicht einzuordnen wusste. Sehr lustig.

Die Fahrt nach Donegal Town kostete 18.50€. Wie immer schlief ich natürlich erst einmal ein und wachte erst in Knock wieder auf, einem kleinen Ort in dem sich ein religiöses Geschäft neben dem anderen befindet, weil ein paar Leuten dort angeblich einmal die Jungfrau Maria, der heilige Joseph und Johannes der Täufer erschienen sind. In der Nähe befindet sich der Ireland West Airport Knock. Den Rest der Strecke kannte ich natürlich schon. Wir machten wieder eine halbstündige Paus in Sligo Town und kamen um halb drei in Donegal an. Donegal Town ist eine kleine Stadt mit knapp 3000 Einwohnern und drei Hauptstraßen, die sich im Zentrum treffen. Das Hostel sollte ungefähr anderthalb Kilometer Richtung Westen liegen, also habe ich auf den Weg dorthin gemacht, bis ich zu einem Kreisel kam und nicht wusste, welche Abzweigung ich nun nehmen sollte. Es stand nirgendwo ein Schild und die Karte im Lonely Planet deckte das Gebiet nicht mehr ab. Plötzlich rief mir ein Autofahrer zu, ob ich das Hostel suchen würde. Ich nickte, woraufhin er meinte, ich solle zurück Richtung Zentrum gehen, nach fünf Minuten würde ich dort vorbeikommen. 


Sollte ich echt zu weit gelaufen sein? Auf dem Weg hatte ich kein Hostel gesehen, aber ich ging dennoch zurück. Ich fand das Hostel aber immer noch nicht. Glücklicherweise kam in dem Moment ein Mann vorbei, den ich fragen konnte. Er meinte, in der Stadt gäbe es nur ein Hostel und das befände sich in der anderen Richtung. Das verwirrte mich natürlich vollends, aber er bot mir an, mich dorthin zu begleiten. Das war wirklich sehr nett. Er regte sich furchtbar darüber auf, dass der Mann im Auto mich in die falsche Richtung geschickt hatte. Wir führten ein bisschen Small Talk und er erzählte mir, dass er jeden Tag diese Strecke entlang ging und immer an dem Hostel vorbei ging. Am Kreisel nahmen wir die erste Ausfahrt und ein paar hundert Metern standen wir schließlich vor dem Hostel. Ich bedankte mich bei meinem Begleiter für seine Hilfsbereitschaft und er küsste mir zum Abschied auf die Wange.

Das Hostel lag auf einer Anhöhe, sodass ich meine Tasche erstmal bis zum Eingang hieven konnte. Von oben hatte man aber eine schöne Aussicht. Ich klingelte eine Weile vergeblich, doch dann kam Linda, die Dame des Hauses. Sie war klein, zierlich, schätzungsweise in den 50ern und hatte kastanienbraunes Haar. Das Zimmer lag im ersten Stock; sie bestand darauf meinen Rucksack zu nehmen, nur um sich dann zu beklagen, wie schwer er doch sei. Toll, irgendwo musste ich meinen Computer und die 2-Liter-Flasche Wasser ja lassen. Sonst war sie aber ganz lustig. Sie brachte mich in einem 3-Bett-Zimmer unter, zusammen mit zwei anderen Deutschen, Julia und Regina aus dem Allgäu. Das war mein Glück, denn wie ich erfahren musste, ließ sich Donegal nicht so erkunden wie ich das geplant hatte. Ich wollte ja die Slieve League sehen, die Klippen, die knapp 50 Kilometer von Donegal Town entfernt lagen. Der Plan war, mit dem Bus nach Carrick zu fahren und die letzten sieben oder acht Kilometer zu laufen, doch dann eröffneten Julia und Regina mir, dass der Bus so selten fuhr, dass es unmöglich war, am selben Tag wieder zurückzukommen.

Tja, die Buszeiten hatte ich vorher natürlich nicht überprüft, aber wer rechnet denn mit so was? Julia und Regina wollte daher eine private Tour machen. Ein Mann namens Andy bot für 100€ Rundfahrten durch Südwest-Donegal an, inklusive Slieve League. Die beiden fragten, ob ich sie nicht begleiten wolle. 33 Euro waren natürlich schon viel Geld für eine Tagestour, aber Slieve League war nun mal der Grund gewesen, warum ich überhaupt nach Donegal gekommen war, daher wollte ich es jetzt auch unbedingt sehen. Ich sagte also zu und wir gingen zurück ins Dorf zur Touristeninformation, um zu buchen. Während sich die beiden Donegal Town ansahen, ging ich einkaufen. Im Zentrum gab es nur einen Supervalu, der etwas teurer war als die anderen Supermärkte, die ich bisher so aufgesucht hatte und auch eine nicht ganz so gute Auswahl hatte. Am Ende entschied ich mich für den Klassiker Reis mit Currysauce. Nachdem ich zum zweiten Mal mehrere Kilo vom Zentrum zum Hostel geschleppt hatte, hatte ich erstmal genug für den Tag.

Da Andy uns erst um elf Uhr abholte, konnte ich morgens erstmal ausschlafen, was eine echte Wohltat war, auch wenn es nicht ganz so ruhig war, wie ich gedacht hatte, da doch ziemlich viele Autos durch Donegal fahren. In der Küche stand sogar frischer Kaffee bereit, gekocht mit einer typisch deutschen Kaffeemaschine, der jedoch ziemlich dünn war. Aber was soll’s. Pünktlich um elf fuhr Andy in seinem schwarzen Kleinbus dann vor dem Hostel vor. Er war ein kleiner, glatzköpfiger Mann in den Fünfzigern. Auf der Fahrt bemühte er sich, mit uns Small Talk zu führen, aber es war eine ziemlich peinliche Angelegenheit, da niemand so genau wusste, was er eigentlich sagen sollte. Er war aber ein ganz netter Kerl.

Unser erster Stopp war Killybegs, laut Andy der größte Fischereihafen in Irland. Dementsprechend viele Schiffe gab es, aber es war natürlich alles sehr industriell und nicht besonders schön. Wir haben uns dort aber auch nur zehn Minuten aufgehalten und sind dann weiter gefahren. Slieve League liegen ungefähr 50km von Donegal Town entfernt; man kann die Hauptstraße oder die Küstenstraße nehmen. Andy entschied sich für letzteres, wegen des Panoramas. Tatsächlich hatte man einen wunderbaren Ausblick auf die grüne Küste und den Ozean. Wohl ein Grund, warum Sarah Jessica Parker dort ein Haus hat.




Als wir durch Carrick fuhren, war ich dann doch froh, dass ich nicht den Bus genommen hatte, denn bis zur Slieve League war es  noch ein ganzes Stück und vor allem ging es die ganze Zeit bergauf. Mit dem Kleinbus konnten wir hingegen bis fast ganz nach oben fahren. Mit einer Höhe von 600m ist Slieve League nicht nur dreimal so hoch wie die Cliffs of Moher, sondern gehört auch zu den höchsten Klippen Europas. Anders als die Cliffs of Moher ist Slieve League ein Berg, der sich aus dem Meer erhebt. An der Spitze befindet sich ein Kamm, den man auch entlang wandern kann. Der Weg dort heißt One Man’s Pass, weil er so schmal ist, dass dort nur eine Person entlang gehen kann. Wir hatten jedoch keine Zeit bis ganz nach oben zu wandern, sondern sind nur ein Stück den Wanderweg hochgegangen um ein paar Fotos zu machen. Ich war so froh, dass es mit der Tour geklappt hat, denn der Ausblick war einfach umwerfend. Mit Ausnahme der Great Ocean Road vielleicht ist das so ziemlich die spektakulärste Küstenformation, die ich je gesehen habe. Schade, dass wir nicht mehr Zeit hatten, ich wäre dort gerne noch ein wenig herumgewandert.


Von dort aus fuhren wir eine Dreiviertelstunde bis nach Malinbeg. Dabei handelt sich um einen Strand ganz im Westen von Donegal. Er lag etwas versteckt zwischen der grünen Landschaft und man musste eine Treppe hinunter gehen, um dort hinzu gelangen. Der Strand war wirklich sehr schön und zu unserem Glück kam auch noch die Sonne durch, die das Wasser glitzern ließ. Ich hätte nichts dagegen gehabt, mich einfach in den Sand zu hauen und mich ein bisschen zu sonnen, aber natürlich fehlte uns dafür die Zeit. Doch kurz bevor wir uns wieder auf den Weg zum Auto machten, sahen wir etwas aus dem Wasser herausragen: Eine Delfinflosse! Da war die Freude natürlich groß. Ich hatte noch nie Delfine in freier Wildbahn gesehen, nicht einmal in Australien, sodass ich ganz aus dem Häuschen war. Es waren bestimmt drei oder vier Exemplare dort, die manchmal auch in die Luft sprangen. Wir versuchten, sie zu fotografieren, aber so ganz gelang es uns nicht. Selbst Andy war verzückt und versuchte die Tiere mit seinem iPad abzulichten.


Danach ging es weiter nach Glencolumbcille, einem kleinen Ort an der Küste, wo sich auch ein niedliches Folk Museum befindet, das Ende der Sechziger von einem Priester gegründet wurde. Wir nutzen es jedoch nur als Toilettenstopp. Der Strand ist allerdings auch einen Abstecher wert und angeblich kann man dort auch ganz gut wandern.





Danach folgte eine kleine Odyssee, denn Julia und Regina wollten gerne einen Wasserfall sehen, der sich in der Nähe von Marghera befindet. Als sie die Tour gebucht haben, hatte Andy behauptet, dass er den Wasserfall kennen würde, doch nun stellte sich heraus, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wo der sich genau befindet. Wir fuhren eine Weile durch die sehr einsame Landschaft mit ihren engen Straßen, doch nirgendwo fand sich ein Hinweis auf besagten Wasserfall. Irgendwann kam uns dann ein Auto entgegen und Andy fragte den Fahrer nach dem Weg. Der kannte den Wasserfall und zeigte uns die richtige Abzweigung. Dabei handelte es sich um eine Straße, die so schmal und unauffällig war, dass wir sie glatt übersehen hatten, außerdem ging sie steil bergauf. Oben angekommen kam uns ein BMW-Cabrio entgegen. Die Straße war nur breit genug für ein Auto, aber der Cabriofahrer blieb einfach stumpf stehen, obwohl er viel näher an einer Ausbuchtung lag als wir. Nachdem Andy eine Weile lang gestikuliert hatte, setzte er dann aber doch zurück und wir konnten vorbei fahren. Die Straße schlängelte sich durch ein Tal, von dem man einen sehr schönen Blick auf die endlose grüne Landschaft hatte.


Nach einer Weile kamen wir dann endlich in Marghera an und ein ansässiger Bauer wies uns den Weg zum Wasserfall. Zu dem Zeitpunkt befürchteten wir schon, dass es sich bei dem Wasserfall bloß um ein Rinnsal hatte, aber er war dann doch ganz ansehnlich. Andy machte Fotos von uns und fotografierte ihn auch für seine eigene Sammlung. Er meinte, er würde sich selbst ein bisschen wie ein Tourist fühlen, da er noch nie in dieser Gegend gewesen war. Super Vorraussetzung für einen Guide. Immerhin: Dank uns weiß er jetzt, wo der Wasserfall liegt, falls noch einmal ein Tourist dort hin möchte. Über Ardara, the knitwear capital of Donegal, fuhren wir dann zurück zum Hostel.


Es war wirklich ein glücklicher Zufall, dass ich Julia und Regina getroffen habe, denn ohne sie hätte ich nie diese Tour gemacht. Ich mag gar nicht daran denken, was ich alles verpasst hätte! Der Südwesten von Donegal ist wirklich traumhaft schön, ich fand es sogar noch wilder, einsamer und schöner als Connemara. Ohne Auto ist man dort allerdings wirklich völlig aufgeschmissen. Zudem hatten wir wirklich Glück mit dem Wetter. Es war der erste Tag seit Ewigkeiten, an dem es nicht regnete. Besser hätte es wirklich nicht laufen können. Der einzige Nachteil war, dass ich nicht so recht wusste, was ich nun an meinem zweiten vollen Tag in Donegal machen sollte, nun da ich die Umgebung praktisch abgegrast hatte. Nach Konsultation meines Reiseführers entschied ich mich, mir ein Fahrrad auszuleihen und zum Lough Eske zu fahren, der ca. acht Kilometer vom Dorf entfernt lag.

So weit der Plan, es kam jedoch alles anders. Als ich morgens aufwachte, hatte ich einen Nackenschuss. Das kommt bei mir ein paar Mal im Jahr vor, aber dass es nun ausgerechnet im Urlaub passierte war schon ärgerlich. Jedenfalls konnte ich mich kaum bewegen und es tat auch ziemlich weh, sodass ich auf keinen Fall Fahrrad fahren konnte. Da ich aber nicht den ganzen Tag im Hostel verbringen wollte, beschloss ich, mir Donegal Town etwas näher anzusehen. Ich nahm nicht den direkten Weg sondern ging an der Bucht entlang, was ganz hübsch war. Ich erinnerte mich daran, dass es Lidl außerhalb des Zentrums gibt, in Richtung Derry. In der Hoffnung auf etwas günstigere Lebensmittel ging ich dort hin, wobei ich am Donegal Castle, mehreren Kirchen und an einem Massengrab vorbei kam, in dem man die Opfer der großen Hungersnot begraben hatte, das war schon traurig.





Im Lidl war gerade amerikanische Woche im Rahmen derer man auch Gouda kaufen konnte, was ich gerne getan hätte, da ich Cheddar eigentlich nicht mehr sehen konnte, aber ich hatte noch genug Käse. Sie hatten auch Beef Fajitas, die ich mir dann kaufte, weil es eine nette Abwechslung zu dem war, was ich sonst so aß. Um kurz vor zwei ging ich dann aber zurück ins Hostel, da ich meinen Kopf nur schlecht aufrecht halten konnte. Linda war noch beim Housekeeping, sodass ich zunächst etwas im Weg war, aber was sollte ich tun? Toll war jedoch, dass sie meine Wäsche gemacht hatte. Nachdem ich in Derry immer für andere waschen musste, war es ganz schön, selbst die Wäsche gemacht zu bekommen. Außerdem wollte sie nur zwei Euro dafür haben. Sie stöhnte sie mir allerdings vor, wie müde sie doch sei und wie viel sie zu tun habe, sodass ich ihr fast meine Hilfe angeboten hätte, aber andererseits bezahlte ich ja 16 Euro pro Nacht dafür, dass ich mal nichts machen musste.

Den Rest des Tages lag ich dann im Bett und las The Code of the Woosters von P.G. Wodehouse. Bisher hatte ich nur Kurzgeschichten von Jeeves und Wooster gelesen und wusste nicht, ob das Konzept Butler-hilft-seinem-Chef-aus-der-Scheiße auch über einen ganzen Roman funktionieren würde, aber das tat es. Genau genommen hat sich Wodehouse mal wieder selbst übertroffen. Es ist einfach herrlich, wie der trottelige Bertie von einem Schlamassel in den nächsten stolpert, sodass zwischendurch nicht mal Mastermind Jeeves weiß, wie er ihm aus der Patsche helfen soll. Dazu kommen so unvergessliche Charaktere wie der verpeilte Gussie Fink-Nottle, Nervensäge Stiffy Byng oder Möchtegern-Diktator Roderick Spode. Ich hätte nie gedacht, dass man mit einem Buch über ein Milchkännchen in Form einer Kuh so viel Spaß haben kann. Irgendwer sollte wirklich einmal eine Gesamtausgabe aller Jeeves-und-Wooster-Geschichten herausbringen.

Als ich abends meine Beef Fajitas genoss, traf ich auf einen älteren Mann namens Joseph. Er war eine interessante Persönlichkeit, da er sich immer sehr förmlich und gewählt ausdrückte. Als er zum ersten Mal in die Küche kam sagte er zum Beispiel: ”Hi, my name is Joseph. I am Canadian and I am checking out the kitchen I hope to use in the next three or four days.“ Sehr ungewöhnlich, aber irgendwie erinnerte er mich an Jeeves, das gefiel mir. Außerdem bot er mir ein Stück von seinem Lachs an, wodurch er sich meiner ewigen Freundschaft sicher sein konnte. “Thank you, I love salmon!“, meinte ich. “You may find that it is not salty enough.“, erwiderte er. “It’s very good.” “Thank you, but if you love salmon every preparation will probably suit you.” “Probably… but I still think it’s good.” Und das meinte ich wirklich so.

Am nächsten Morgen brach ich dann auf nach Newcastle. Doch mehr dazu beim nächsten Mal.

Alle Fotos von Donegal gibt es hier.

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