Project Ireland: The Long Road to Newcastle/The Granite Trail
Die nächste Station meiner Reise hieß also Newcastle. Newcastle
in County Down. Ich weiß nicht, warum die Leute nicht ein bisschen kreativer
bei der Namensgebung ihrer Städte sein können. Es gibt doch bestimmt dutzende
Newcastles auf der Welt, allein 5 in Irland. So etwas sorgt nur für Verwirrung.
So erwiderten manche Leute, denen ich erzählt habe, dass ich als nächstes nach
Newcastle fahre, schon fast entsetzt: „In England?!“ Außerdem erwies sich die
Reiseplanung als äußerst schwierig, zwischendurch hatte ich gar die
Befürchtung, dass es überhaupt nicht möglich ist, innerhalb eines Tages von
Donegal nach Newcastle zu kommen. Zu allem Überfluss sollte die Reise auch noch
an einem Sonntag stattfinden, wenn sowieso nicht so viele Busse fahren. Nachdem
ich mehrere Journey Planner traktiert und Buspläne studiert hatte, konnte ich
schließlich eine Route zusammenbasteln. Um nach Newcastle zu kommen, musste ich
nicht nur zweimal umsteigen, sondern auch mit drei verschiedenen
Busgesellschaften fahren, sodass ich drei Einzeltickets kaufen musste, was das
alles natürlich unangenehm verteuerte: Erst mit Bus Eireann von Donegal nach
Enniskillen, dann mit Goldline von Enniskillen nach Belfast und anschließend mit
Ulsterbus von Belfast nach Newcastle. Dauer: Sechs Stunden.
Das sind wirklich so Momente, in denen ich mir ein Auto
gewünscht hätte. Schließlich sind Donegal und Newcastle nur etwa 200km
voneinander entfernt und mit dem Auto hätte man, laut Google Maps, die Strecke
in drei Stunden zurücklegen können, ohne über Belfast fahren zu müssen. Das
hatte ich ja wirklich ganz toll geplant. Na ja, ursprünglich hatte ich ja eine
Nacht in Omagh verbringen wollen, doch gibt es dort kein Hostel (mehr), leider.
Außerdem kann man die Hauptattraktion, den Ulster American Folk Park, auch
nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen, sehr ärgerlich. Die
Backpackerinfra-struktur in Irland ist also durchaus noch ausbaufähig.
Der erste Bus fuhr um elf Uhr morgens vom Abbey Hotel ab.
Obwohl die Fahrt nach Enniskillen nur eine gute Stunde dauerte, kostete das
Ticket 12.60€, da hatte ich eigentlich auf weniger gehofft. Ich versuchte
krampfhaft, nicht einzuschlafen, um nicht meinen Stopp zu verpassen, aber es
war natürlich sinnlos. Als der Fahrer dann Enniskillen ankündigte, schreckte
ich plötzlich aus meine Träumen hoch und sammelte noch ganz verschlafen mein
Gepäck ein. Dort angekommen hatten wir 20 Minuten Aufenthalt, bevor es weiter
ging nach Belfast. Der Goldline war lange nicht so bequem wie der Bus Eireann,
dafür kostete die zweistündige Fahrt nur neun Pfund. Was mich jedoch ärgerte
war, dass der Fahrer die Klimaanlage voll aufdrehte, obwohl es draußen nur etwa
zehn Grad waren und es in Strömen regnete. Ich hatte ein Top, ein Shirt, zwei
Pullover, eine Fließjacke und eine Regenjacke an und mich mit einer Decke zugedeckt
und trotzdem zitterte ich vor Kälte. Ansonsten verschlief ich auch hier
praktisch die ganze Fahrt, aber von der Landschaft konnte man aufgrund des
starken Regens eh nichts sehen.
Um zwanzig vor drei erreichten wir das Europa Centre in
Belfast. Da ich 50 Minuten Aufenthalt hatte, genehmigte ich mir erst einmal
einen Kaffee um mich aufzuwärmen und aufzuwecken. Eine Asiatin fragte mich,
wann der Bus nach Derry abfuhr, was mich ein bisschen traurig und neidisch
machte, wenngleich ich mich sehr auf Newcastle freute. Um halb vier fuhr
schließlich mein letzter Bus, der für das Ticket 7.60 Pfund berechnete. Wir
kamen anscheinend ziemlich gut voran und erreichten Newcastle bereits nach
einer Stunde statt nach 80 Minuten. Bis zum Hostel waren es glücklicherweise
nur zwei Minuten. Es handelte sich um eine ganz altmodische Jugendherberge, die
zwar nicht über besonders viel Charme verfügte, aber gut ausgestattet war. Ich
schlief in einem 6-Bett-Zimmer, von dem man sogar das Meer und die Mourne
Mountains sehen konnte, deren Gipfel sich hinter dichten Wolken versteckten und
das obwohl der größte von ihnen nur 850m hoch ist. Da ich ziemlich geschafft
war von der Reise ging ich nur noch kurz einkaufen, in einem Lidl, der sich in
einem alten Bahnhof neben dem Buscentre befand. Andere Erkundungen verschob ich
auf den nächsten Tag.
Das Hostel war erfreulicherweise ziemlich ruhig. Ich musste
das Zimmer nur mit zwei anderen teilen, zwei Radlerinnen, die schon wieder
verschwunden waren als ich aufwachte. Auch die (extrem gut ausgestatte) Küche
und den Speisesaal hatte ich für mich allein. Das einzige, was mich an dem
Hostel störte waren die Duschen. In den Kabinen gab es überhaupt keinen Platz,
seine Sachen abzulegen, außerdem kam nur relativ wenig Wasser aus dem
Duschkopf, das nur lauwarm wurde. Ach ja, und im Hostel es gab kein Internet,
aber das ließ sich noch verschmerzen.
An meinem ersten Tag wollte ich es zunächst etwas ruhiger angehen
und nur eine kleine Wanderung machen. Zunächst holte ich mir Anregungen und
Kartenmaterial in der Touristeninformation. Sie hatten auch eine Broschüre über
einen Wanderweg namens „The Granite Trail“, der auch im Reiseführer empfohlen
worden war. Er war gut fünf Kilometer lang und versprach einen wunderbaren Ausblick
auf Newcastle, also genau das richtige für den ersten Tag. Zunächst ging ich
die gut ausgebaute Promenade entlang, was den Vorteil hatte, dass ich nicht
durch die Innenstadt musste. Obwohl der Ort so klein ist, gibt es doch eine
Reihe an Geschäften und es war ziemlich viel Betrieb. Außerhalb des Zentrums war
jedoch nur wenig los. Am Hafen, der gut zwei Kilometer von der Innenstadt
entfernt liegt, begann der Wanderweg.
Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde in den Mourne Mountains
tonnenweise Granit abgebaut. Der Wanderweg führte an der ehemaligen Bahnlinie,
der Bogie Line, entlang. Bogie nennt man die kleinen Wagen, in denen der Granit
transportiert wurde. Ein Exemplar war dort auch noch zu sehen. Es ging gleich
ziemlich steil bergauf, sodass ich ganz schön ins Schwitzen kam. Nach ungefähr
einem Kilometer hatten die Treppen ein Ende; man kletterte über einen Zaun und
bog rechts auf einen anderen Weg ab. Dort sah ich auch zum ersten Mal die
Mourne Wall, eine 35km lange Mauer aus Granitsteinen, die über 15 Berge der
Gegend verläuft. Sie wurde Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut um Schafe und
Rinder fernzuhalten, damit diese Trinkwasserqualität nicht negativ
beeinflussen.
Kurz darauf kam ich am höchsten Punkt des Wanderweges an,
einem alten Steinbruch. Es standen sogar noch ein Bagger und eine rostige Hütte
dort, aber meines Wissens wird kein Granit mehr abgebaut. Der Steinbruch ist
immerhin so groß, dass man ihn von Newcastle aus sehen kann. Von der anderen
Seite hat man einen wunderbaren Blick auf die Stadt und den weizengelben Strand.
Dort stand auch ein Wegweiser mit der cleveren Aufschrift „On a clear day you
MIGHT see“, auch wenn die sichtbaren Punkte kaum zu entziffern waren. Ich
glaube, die Isle of Man war darunter. An diesem Tag hielt sich die Sichtweite
jedoch in Grenzen.
Nun, da ich mich warmgelaufen hatte, war ich in Versuchung,
doch noch den höchsten Berg, Slieve Donard, zu erklimmen. Aus Richtung
Newcastle zogen allerdings dunkle Wolken auf, sodass ich mich doch an den
Abstieg machte. Das war auch ganz gut so, denn wenige Minuten später regnete es
mal wieder sintflutartig. Der Weg entlang des Glen River war ziemlich rutschig,
aber ansonsten war es ganz hübsch. Zu meiner Überraschung kam ich schon nach
einer Stunde im Donard Park am Fuß der Berge an, im Prospekt waren zwei bis
drei Stunden angegeben. Vielleicht hatte ich unbewusst eine Abkürzung genommen.
Der Wanderweg hatte mir wirklich gut gefallen. Die Mischung aus granitgrauen
Felsen, grünen Wiesen, Flüssen und Wasserfällen ist wirklich sehr schön und ich
freute mich schon, mehr von den Bergen zu entdecken.
Anschließend machte ich noch einen Abstecher zum Tesco, der
etwas weiter entfernt lag als die anderen Supermärkte und ging wieder zurück zum
Hostel. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten hatte ich ein Zimmer für mich allein und
endlich die Ruhe, Tyler Lyles Livealbum ausgiebig zu hören. Irgendwie traf das genau meinen Nerv, besonders
seine Erklärungen zu ’A Secret about Secrets’: “So I graduated from Georgia
State with a degree in something that you can’t make money and so I got tired
of delivering hamburgers for Burger Joe’s and I moved to Europe. And I lived in
Paris and was really broke and it was amazing. And then I moved back in with my
parents in West Georgia and it was this strange space of having lived in the kind
of the most exciting moment of your life and then being back in your old room.
It was sort of like I hit a wall. And I remember well-meaning older people from
my family and my hometown trying to give me advice or encouragement and that’s
what we do as people: We give each other advice. But I was tired of hearing
advice so I wrote this song.” Kommt mir irgendwie bekannt vor.
Okay, das nächste Mal kommen wir dann zu der größten
Wanderung der ganzen Reise, einem Wettrennen gegen die Zeit.
Dannie, das war ja wohl gar kein richtiges Hostel dann für Dich in Newcastle, so ganz mutterseelenalleine in einem Zimmer. Na zum Glück waren da noch die Sparduschen, sonst wär's ja wie in Hagen gewesen. Liebe Grüße! Rudi
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