Books I've Read: Nadine Gordimer - The Lying Days

 

Für Südafrika interessiere ich mich schon lange (ich hoffe ja, dass ich eines Tages dorthin fahren werde), was wahrscheinlich ein Grund dafür ist, warum ich Nadine Gordimers The Lying Days zu Weihnachten bekommen habe. Die Geschichte des Romans ist schnell erzählt: Es geht um Helen Shaw, die mit ihren Eltern auf einer Goldmine im fiktionalen Atherton lebt. Je älter Helen wird, desto mehr ödet sie das Kolonialisten-Leben ihrer britischstämmigen Eltern an. Gleichzeitig erwacht bei einem Ausflug ans Meer ihre Sexualität. In den nächsten Jahren entfernt Helen sich immer weiter von ihren Eltern und ihrer Heimatstadt: Sie studiert in Johannesburg, schließt Freundschaft mit einem jüdischen Mann und einer Afrikanerin (beides undenkbar im Südafrika der Fünfzigerjahre), lebt in wilder Ehe mit einem Mann zusammen und erlebt den Beginn der Apartheid.

The Lying Days, dessen Titel sich auf ein Gedicht von W.B. Yeats bezieht, ist kein Roman, in dem besonders viel passiert. Dennoch ist Gordimer, wie soll ich sagen, very much in the moment: Selbst die alltäglichsten Dinge wie ein Regenschauer werden wirklich erlebt und intensiv beschrieben, ja regelrecht ausgekostet, denn auch der kleinste Moment ist immer irgendwie einzigartig. Mit Helens Studienbeginn erweitert sich der Kosmos, der sich im Wesentlichen auf Helen, ihre Eltern und ihre erste Liebe Ludi konzentrierte, allmählich. Es treten neue Figuren hinzu, wie Helens Counterculture-Studienkollegen, und eben Joel, ein Jude aus ihrer Heimatstadt, sowie Mary, eine afrikanische Studentin, die in einem Township lebt. Auch Helens Kosmos erweitert sich langsam und sie lernt neben ihrer betulichen Herkunft die Stadt kennen und vor allem, unter welch furchtbaren Bedingungen die indigene Bevölkerung lebt.

Ich habe mich lange schwer getan mit Helens Person, weil es mir so unvorstellbar vorkam, dass sie sich für nichts interessiert, zumindest nicht dauerhaft. Weder ihre Männer, noch ihr Studium, noch ihre Jobs, ja teilweise noch nicht einmal ihre Freude können sie dauerhaft bei Laune halten. Im Nachhinein denke ich, dass es daran liegt, dass Helen nirgendwo so richtig hereinpasst. Ihr Herkunftort ist ihr zu bieder, vor allem die traditionelle Rolle der Frau lehnt sie ab. Auch die kommunistisch geprägt Haltung ihrer Freunde teilt sie nicht. Joel ist ein enger Freund, doch ihre unterschiedlichen Religionen stehen zwischen ihnen, sowie ihre Hautfarbe sie und Mary trennt. Oftmals erscheint es so, dass es allein ihre Körperlichkeit, ihre sinnlichen Empfindungen (allen voran Sex) sind, durch die Helen sich lebendig fühlt.

So detailreich The Lying Days auch geschildert ist, so wenig sind manche Figuren entwickelt. Man erfährt nur wenig über Mary Seswayo und warum Helen unbedingt mit befreundet sein will (zumindest für eine Weile). Auch Paul, der eine große Rolle in Helens Leben spielt, bleibt recht unausgearbeitet. Auf die Frage, warum er sich zu Beginn der Apartheid radikalisiert, geht Gordimer nur am Rand ein. Nichtsdestotrotz hat The Lying Days eine für ein Debütroman beachtliche Sprachgewalt. Ich kenne kein anderes Buch, dass den Moment so poetisch und farbenprächtig einfängt, wie eine Fotografie aus Worten. Es wäre nur noch schöner, wenn das große Ganze auch so bunt und so lebendig wäre. Aber vielleicht ist das die Crux am Erwachsenwerden, dass man so sehr auf sich selbst bezogen ist, dass man erst lernen muss, sich als ein Teil der Welt zu sehen.


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