Movie Night: Judgment at Nuremberg



Weiter geht es in der Reihe "Große Gerichtsfilme", diesmal: Judgment at Nuremberg. Stanley Kramer (der auch bei Inherit the Wind Regie geführt hat) befasst sich hier mit den Nürnberger Prozessen, allerdings nicht mit den großen Verhandlungen gegen die "Top-Nazis", sondern gegen vier Richter, die mit ihren menschenverachtenden Urteilen angeordnet haben, dass die perversen Pläne der Nazis in die Tat umgesetzt wurden, darunter Todesurteile und Sterilisationsanordnungen. Der Vorsitzende Richter Dan Haywood (Spencer Tracy) muss herausfinden, inwieweit die Angeklagten für ihre Urteile verantwortlich gemacht werden können. Abseits des Gerichtssaals versucht er zu verstehen, wie es in Deutschland überhaupt dazu kommen konnte, dass der Nationalsozialismus so uneingeschränkt wütete. Das ist gar nicht so leicht, behaupten doch die Menschen, mit denen er spricht, mit alle dem nichts zu tun gehabt zu haben. Man sei nicht politisch gewesen und von der Judenvernichtung habe man schon mal gar nichts gewusst. Haywood macht dabei auch die Bekanntschaft von Madame Bertholt (Marlene Dietrich), der Witwe eines Nazi-Offiziers, der in einem vorherigen Prozess zum Tode verurteilte wurde.

Das Hauptgeschehen findet aber natürlich im Gericht statt: Hier versucht der junge Verteidiger Hans Rolfe (Maximilian Schell), die Richter davon zu überzeugen, dass seine Mandanten nur die damals geltenden Gesetze angewendet haben und davon überzeugt waren, das Beste für ihr Land zu tun. Dabei führt er durchaus einige nachdenkenswerte Punkte an: Etwa dass selbst in den USA Richter des oberstes Gerichtshofs die Eugenik befürwortet haben, oder dass die USA und das Vereinigte Königreich wenig getan haben, um das Nazi-Regime aufzuhalten - von eigenen bedenklichen Maßnahmen (vorsichtig ausgedrückt) wie den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki ganz zu schweigen. Auf der Seite der Strafverfolgung steht Colonel Tad Lawson (Richard Widmark), der bemüht ist zu zeigen, welche Auswirkungen die Urteile der Richter hatten und dass diese sehr wohl Verantwortung dafür tragen. Lawson selbst war bei der Befreiung von Dachau dabei, was ihn zutiefst erschüttert hat.

Wenngleich die Auftritte von Lawson und Rolfe rhetorisch brillant sind, sind es doch vor allem die Zeugenaussagen, die Judgment at Nuremberg zu einem wirklich gelungenen Film machen - denn nur so lässt sich wirklich verstehen, was die Urteile der Angeklagten bedeutet haben. Da ist zum einen Rudolph Petersen (Montgomery Clift), Sohn eines Kommunisten, der eine leichte geistige Behinderung hat und zwangssterilisiert wurde, und zum anderen Irene Hoffman Wallner (Judy Garland), die als Jugendliche eine väterliche Freundschaft zu ihrem jüdischen Vermieter Lehmann Feldenstein pflegte. Die Nazis unterstellten ihnen jedoch eine sexuelle Beziehung, was beide vehement bestritten, woraufhin Feldenstein zum Tode und Hoffman zu zwei Jahren Haft wegen Meineids verurteilt wurde. Das ist beides nicht leicht anzusehen, vor allem, wenn Rolfe versucht, Petersens Lernschwäche zu demonstrieren und die Zwangssterilisation dadurch irgendwie zu rechtfertigen, oder Hoffman unterstellt, dass sie vielleicht doch eine sexuelle Beziehung zu Feldenstein hatte.

Ein weiterer Pluspunkt ist der Realismus des Films, auch wenn seine Figuren fiktiv sind. Der Feldenstein-Fall etwa beruht auf einer wahren Begebenheit, zudem war Judgment at Nuremberg einer der ersten Filme, der echtes Videomaterial von der Befreiung der Konzentrationslager verwendete. Auch zeigt er die Personen hinter den Beschuldigten: Während Emil Hahn (Werner Klemperer) sich auch auf der Anklagebank als Nazi durch und durch präsentiert, scheinen die älteren Richter Werner Lampe (Torben Meyer) und Friedrich Hofstetter (Martin Brandt) überhaupt nicht zu verstehen, warum sie dort sind. Der Schwerpunkt des Films liegt jedoch auf Ernst Janning (Burt Lancaster), der ein weltweit angesehener Jurist war und an der Weimarer Verfassung mitgearbeitet hat - und sich von den Nazis doch als Werkzeug benutzen ließ. Janning ist auch der einzige, der über so etwas wie ein Gewissen verfügt, was dem Film die entscheidende Wendung gibt.

Abby Manns fantastisches Drehbuch spart kaum einen Aspekt aus; es betont die Verantwortung des Einzelnen und es verdeutlicht die Verbrechen der Nazis, ohne die Alliierten zu glorifizieren. Außerdem spart Mann nicht mir Kritik und zeigt, wie die Prozesse zum Spielball der Politik wurden. Nachdem das Interesse der amerikanischen Bevölkerung an den Tribunalen abgeflacht war, hatten auch die USA wenig Interesse an hohen Strafen. Die Generäle versuchten eher, mildere Urteile zu erwirken, um so die deutsche Bevölkerung im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion auf ihre Seite zu ziehen.

Daneben überzeugt Judgment at Nuremberg mit durch die Bank erstklassigen Schauspielern, sei es Spencer Tracy als Sinnbild des unabhängigen Richters, Burt Lancaster als Angeklagter, der an seinen Taten zerbrochen ist, Maximilian Schell als Anwalt, der das Unentschuldbare verteidigen muss oder Montgomery Clift (der zu diesem Zeitpunkt wohl ein alkoholkrankes Wrack war), der Entsetzliches erlebt hat und nun erneut öffentlich erniedrigt wird. Auch Judy Garland stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass sie auch außerhalb des Musicals eine großartige Schauspielerin ist.

Fazit: Judgment at Nuremberg ist ein beeindruckender Gerichtsfilms, der trotz einer Spielzeit von drei Stunden nie langweilig wird und der auch 70 Jahre nach Kriegsende nichts von seiner Relevanz verloren hat.

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