Books I've Read: Robert Graves - I, Claudius

 

Seit ich neben der Paris Review auch noch die London Review of Books (zur Probe) abonniert habe, komme ich nicht mehr so oft dazu, Romane zu lesen. Nachdem ich dann aber neulich alle Zeitschriften abgearbeitet habe, habe ich mich I, Claudius von Robert Graves zugewandt. Ruffles' Eltern habe mir das Buch zum Geburtstag geschenkt; von mir selbst aus hätte ich es wahrscheinlich nicht gelesen, da ich mich bisher nie so übermäßig für die Geschichte der Antike interessiert habe (und das von jemandem, der kürzlich in Rom war, shame on me). Ich hatte ja keine Ahnung! In der Schule hat mir nie jemand erzählt, dass die damaligen Geschehnisse in Sachen Intrigen jede Seifenoper in den Schatten stellen. So hatte ich das Thema in der siebten Klasse für mich abgehakt - bis jetzt.

Aber von vorne: I, Claudius (und die Fortsetzung Claudius the God) sind Graves' fiktionale Autobiographien des römischen Imperators Claudius, behandeln aber die gesamt julisch-claudische Kaiserdynastie (mit Ausnahme von Nero). Claudius selbst stammt, wie der Name vermuten lässt, aus dem Haus der Claudier. Seine Großeltern väterlicherseits sind Drusus Nero und Livia, seine Großeltern mütterlicherseits Marcus Antonius und Octavia (die Schwester von Kaiser Augustus). Livia, die die zentrale Rolle in der ersten Hälfte des Buchs einnimmt, hat große machtpolitische Ambitionen. Von ihrem Mann lässt sie sich scheiden, um Kaiser Augustus zu heiraten. Ihr Ex-Mann stirbt wenige Jahre später unter mysteriösen Umständen, ebenso wie Claudius' Vater Drusus, der ein beliebter General war und auch in Germanien gekämpft hat. Claudius ist das dritte und jüngste Kind von Drusus und Antonia Minor. Da er ein kränkliches Kind ist, hinkt und stotttert wird er von seiner Familie aus der Öffentlichkeit herausgehalten und wie ein Aussätziger behandelt. Die ganzen Hoffnungen der Familie ruhen auf Claudius' Bruder Germanicus, ein stattlicher junger Mann, der sich als Feldherr in Germanien einen Ruf erworben hat (er hat unter anderem die gefallen Soldaten der Varusschlacht begraben, was in dieser Gegend ein großes Ding ist) und in Rom über alle Maßen beliebt ist.

Allerdings ist es bei den Juliern und den Claudiern mit der Familienliebe nicht weit her. Fast alle sind so von Machtgeilheit zerfressenen, dass jeder mögliche Konkurrent um den Kaiserposten kurzerhand um die Ecke gebracht wird. Anfangs ist es Livia, die Augustus' leibliche Nachfahren der Reihe nach umbringen lässt, damit ihr Sohn Tiberius Augustus' Nachfolge antreten kann (obwohl sie Tiberius auf den Tod nicht ausstehen kann). Schließlich beginnt die Terrorherrschaft des Tiberius, der jeden, der nicht auf seiner Seite ist, umbringt. Getoppt wird das nur von Caligula (dem Sohn von Germanicus), er offensichtlich vollends des Wahnsinns ist und sich als Gott verehren lässt. 

Claudius steht bei dem ganzen außen vor; aufgrund seiner Einschränkungen ist er die Lachnummer seiner Familie und niemand zieht ihn als möglichen Konkurrenten in Betracht. Er führt ein zurückgezogenes Leben und arbeitet als Historiker. Fast den ganzen ersten Roman über ist er quasi die Randfigur seiner eigenen Autobiographie, der die Eskapaden seiner Angehörigen minutiös auf Papier festhält. Dies erlaubt es Graves, die Geschichte der Dynastie umfassend zu beleuchten, da Claudius quasi verschiedene Quellen einholt. Ein weiterer Kunstgriff ist, dass Claudius seine Autobiographie vermeintlich in Griechisch schreibt (die seiner Ansicht nach für immer Weltsprache sein wird), wodurch Graves seinem Leser die lateinischen Begriffe erklären kann.

Doch auch wenn Claudius im Vergleich zum Rest seiner Sippe vergleichsweise rational ist, ist er natürlich auch ein Mann seiner Zeit. Es ist wunderbar, wie Graves seine Figur quasi nebenbei charaterisiert, etwa wenn er darüber schreibt, dass sein Haus abgebrannt ist, aber Glück "nur" zwei Sklaven gestorben sind. Oder wenn Caligula eine Inselbevölkerung von der Klippe werfen lässt, aber aufgrund der ruhigen See "nur" 200 bis 300 Menschen ertrinken, hauptsächlich Alte und Kinder, die "leicht zu verschmerzen" sind. Überhaupt zeigt sich daran, dass die Römer keinerlei Achtung vor menschlichem Leben haben. Ohne mit der Wimper zu zucken werden nicht nur die eigenen Angehörigen, sondern auch abertausende Bürger getötet. Auch Claudius, mit dem man in gewisser Hinsicht schon Mitleid hat, ist da kaum anders. Zwar ist er (noch?) kein Mörder, aber für seinen eigenen Sohn hat er keinerlei Gefühle, und als dieser ermordert wird ist lässt ihn das völlig kalt. Auch sonst ist es mit der Moral nicht weit her: Scheidungen, Zwangsverheiratungen von Kindern, Inzest und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Dafür sind alle zutiefst abergläubisch.

I, Claudius ist ein Buch, das unwahrscheinlich spannend ist und das man kaum aus der Hand legen kann. Auch wenn die Intrigen wie gesagt jede Seifenoper in den Schatten stellen, ist der Roman alles andere als platt, sondern ausgesprochen geistreich - und überraschend humorvoll. Vor allem, wie Graves über die Germanen, darunter der berühmte Hermann, schreibt, ist absolut köstlich. Auch die Ticks von Caligula könnten zum Lachen sein, wenn sie nicht regelmäßig in unzähligen Leichen enden würden. I, Claudius lebt vor allem von seinen schillernden Figuren und Graves' Fähigkeit, diese mit viel Verve zum Leben zu erwecken. Das liegt auch daran, dass Graves Altphilologe war und unter anderem Suetons De Vita Caesarum übersetzt hat, das die Hauptquelle des Romans war. Vieles sind wohl eher Gerüchte als Fakten, aber es ist schon erstaunlich, wie Graves aus dem Wenigen, dass man über die Zeit weiß, so ein packendes Buch macht, dem man seine 80 Jahre überhaupt nicht anmerkt. Auch wenn es manchmal etwas schwierig ist, den Überblick zu behalten, weil viele Figuren dieselben Namen haben und so viel durcheinander geheiratet wird, könnte ich mir keinen besseren Weg vorstellen, sich mit den alten Römern vertraut zu machen. Claudius the God habe ich schon bestellt und ich bin sehr gepannt, wie es mit ihm weitergeht.

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