My Own Private Odyssey: There Is a Storm Brewing

Für den Mittwoch hatte ich mir eins vorgenommen: Kultur, Kultur, Kultur. Als erstes stand das Archäologiemuseum auf dem Programm. Es lag in entgegengesetzter Richtung zur U-Bahn-Station, sodass ich nun die andere Hälfte der Straße zu sehen bekam. Ich hatte ja schon erwähnt, dass sich das Hostel in einem ziemlich üblen Viertel befand, aber während der östliche Teil der Straße einfach nur heruntergekommen war, gab es im westlichen Teil ziemlich viele Obdachlose. Ich hatte naturgemäß ein ziemlich schlechtes Gewissen, als ich an ihnen vorbeiging, wo ich doch im Urlaub war und sie nicht mal ein Zuhause hatten. Überhaupt ist die ganze Situation ziemlich desolat in Athen. Mir war klar, dass es aufgrund der Krise alles andere als rosig aussah, aber es mit eigenen Augen zu sehen war noch einmal was anderes. Es waren nicht nur die ganze baufälligen Häuser, sondern es gab einfach erschreckend viele Menschen, die obdachlos waren. Andere suchten alles zusammen, was sie irgendwie entbehren konnten und verkauften es auf der Straße. Wieder andere stellten sich an die Promenade und "musizierten", obwohl sie ihr Instrument kaum beherrschten. Hier fand ich es besonders traurig, dass es mehrere Kinder gab, die anscheinend von ihren Eltern genötigt wurden, dort aufzutreten, obwohl sie es erkennbar nicht wollten.

Das Archäologiemuseum befindet sich in einem großen, neoklassizistischen Gebäude. Es gibt verschiedene Ausstellungen dort, die über zwei Stockwerke verteilt sind. Zunächst schaute ich mir die Exponate aus der mykenischen Zeit an, die von 1600-1100 v. Chr. reichte. Es gab viele Vasen und sonstige Gefäße zu sehen, und viele kleine Skulpturen von Frauen, die alle erstaunlich rund waren. Am besten gefiel mir jedoch der Schmuck: Dafür, dass er über 3000 Jahre alt ist, sah er erstaunlich professionell und schon fast modern aus. Die Ohrringe würde ich jedenfalls tragen. Der Höhepunkt war aber die sogenannte "Maske des Agamemnon", eine Grabmaske aus Gold. Heinrich Schliemann entdeckte sie 1876; gefertigt wurde sie wahrscheinlich um 1500 v. Chr. herum.

Daneben befanden sich im Erdgeschoss sehr, sehr, sehr viele Skulpturen aus verschiedenen Epochen: Götter, Menschen, Theatermasken. Am interessanten fand ich einen Sarkophag, auf dem sich eine weibliche Figur befand. Bei der Zweitverwertung hatte man den Kopf der Frau entfernt und durch einen männlichen ersetzt, was etwas seltsam aussah. Die Skulpturen waren alle durchaus beeindruckend, aber nachdem ich schon in den andere Museen so viele gesehen hatte, war ich nicht mehr so überwältigt. Außerdem sind Relikte aus dem Antikythera-Wrack zu sehen, das vermutlich im ersten Jahrhundert v. Chr. vor der griechischen Küste versank, darunter Fragmente des Mechanismus von Antikythera, der als ältester analoger Computer gilt. Zudem hat man in dem Wrack mehrere Statuen gefunden. Am besten gefiel mit eine Figur, deren eine Hälfte vom Meer zerfressen war, während die andere Hälfte, die sich im trockenen befand, relativ gut erhalten war.

Im ersten Stock waren Vasen in allen Formen und Farben zu sehen, besser gefielen mit jedoch die Fresken, die sie dort ausgestellt hatten. Der Großteil des Stockwerks war jedoch aus unerfindlichen Gründen geschlossen.


Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich von dem Museum ziemlich enttäuscht war. Dem Lonely Planet zufolge ist es eins der wichtigsten Museen der Welt, außerdem schrieben sie: "With 10,000 sq metres of exhibition space, it could take several visits to appreciate the museum's vast holdings, but it is possible to see the highlights in a half-day." Ich weiß ja nicht, wann sie dort waren, aber ich habe nur eine Stunde benötigt, um alles zu sehen und ich bin weiß Gott nicht durchhetzt. Auch wenn einige Exponate sicher sehr bedeutsam sind: Für sieben Euro Eintritt sollte es meiner Meinung nach mehr zu sehen geben. Augewählte Exponate kann man sich übrigens hier anschauen.


Anschließend ging ich ich zu OSE, der griechischen Eisenbahn, um zu erfahren, wann samstags Züge nach Thessaloniki fahren. Die Dame am Schalter sprach zwar Englisch, hatte aber Schwierigkeiten, mich zu verstehen. Nachdem ich ihr klar gemacht hatte, dass ich wissen wollte, zu welcher Uhrzeit die Züge abfahren, fragte sie dreimal, ob ich denn wirklich nur eine einfache Fahrkarte will - anscheinend war es für sie unvorstellbar, dass jemand nicht nach Athen zurück möchte. Wie auch immer, es fuhren fünf Züge an dem Tag und ich entschied mich für den um 10:17 Uhr. Die Fahrt im IC kostete 38€, was für eine Strecke von 500km ein ganz guter Preis ist, wie ich finde. In Deutschland würde man locker das Doppelte bezahlen.

Am Syntagma-Platz bin ich mal wieder ins Internet gegangen, wobei mir glatt die Kinnlade heruntergefallen ist, als ich erfahren habe, dass die Regierung bereits am Vortag den öffentlich-rechtlichen Sender ERT dichtgemacht hatte. Was zur Hölle?! Da passiert ein weltbewegendes Ereignis in der Stadt, in der mich aufhalte und ich bekomme es nicht mit?! Mein journalistischer Nerv hat wahnsinnig angefangen zu jucken, denn wie kann es bitte schön sein, dass in einem demokratischen Staat der öffentlich-rechtliche Rundfunk einfach abgeschaltet wird, selbst wenn es nur temporär ist? Auch wenn er zu teuer sein sollte, ist das doch kein Grund, den Sendebetrieb komplett einzustellen! Ich finde das extrem bedenklich. Wenn es wirklich so gewesen sein sollte, dass die Regierung 16000 Beamte auf Drängen der Troika entlassen musste und zuerst die Journalisten rausgeschmissen hat, dann ist das Verhalten, das einer Demokratie nicht würdig ist. Ich hätte wahnsinnig gerne darüber berichtet, aber der Sender liegt am Rande Athens und ich wusste nicht genau, wie ich dort hinkomme. Außerdem hatte ich ja auch keinen Computer. Das machte aber nichts, denn ich war eh viel zu spät dran. Zu diesem Zeitpunkt hatte allein Zeit Online fünf Artikel zu dem Thema gebracht, darunter ein Interview mit einer ERT-Journalistin. Internetentzug ist nicht gut, wenn man ein News-Junkie ist.

Am Syntagma-Platz war von den ganzen Vorgängen jedenfalls nichts zu merken; das einzig Ungewöhnliche war ein Mann, der auf der Kreuzung stand und lauthals "Anarchia" rief. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das für Griechenland wirklich so ungewöhnlich ist. Ich für meinen Teil ging in das Benaki Museum, in dem Kustwerke von der Vorgeschichte bis zur Moderne ausgestellt sind. Im Erdgeschoss befanden sich Vasen und Figuren, wie sie auch im Archäologiemuseum zu sehen waren. Ich interessierte mich daher eher für die Altare und Gemälde aus byzantinischer Zeit, auch wenn die Babys wie bei den meisten mittelalterlichen Bildern potthässlich waren.

Im ersten Stock befanden sich traditionelle, griechische Kostüme, die sehr opulent waren. Noch mehr beeindruckt haben mich jedoch die mazedonischen Räume, die nicht nur über bunte, kunstvolle Glasfenster verfügten, sondern deren Wände auch mit Gold verziert waren. Zudem waren dort einige Landschaftsgemälde von aus dem 19. Jahrhundert zu sehen, die überwiegend von britischen Künstlern stammen, wenn ich mich richtig erinnere. Was ich erstaunlich fand war, wie ländlich ja geradezu pastoral Athen auf den Bildern wirkte, denn es befanden sich kaum Häusern am Fuß der Akropolis, dafür aber grüne Wiesen. Kein Vergleich zum Betonmoloch von heute.

Im zweiten Stock gab es griechische Instrumente zu sehen, wie die Bouzouki oder die Mandolinata, allerdings nur einige wenige. Im dritten Stock befanden sich Bilder, Fotos und Poster vom Unabhängigkeitskrieg. Mein persönliches Highlight waren die Pistolen von Lord Byron, der wegen seines Engagements für die Unabhängigkeitsbewegung für die Griechen so eine Art Nationalheld war obwohl er bereits 1824, etwa ein Jahr nach seiner Ankunft in Hellas, starb. Zuletzt schaute ich mir die aktuelle temporäre Ausstellung an, die Fotos von Constantinos Manos zeigte. Manos hatte in den 1960er Jahren die griechische Landbevölkerung fotografiert: extrem ausdrucksstarke Bilder, die einen guten Einblick vom Leben damals vermitteln.

Obwohl ich ebenfalls nur eine Stunde für das Museum gebraucht hatte, hat er es wesentlich mehr meinen Geschmack getroffen als das Archäologiemuseum. Ich fand die Zusammenstellung sehr interessant und die Bandbreite wirklich beeindruckend. Definitiv empfehlenswert. Das einzige, was etwas ungewöhnlich war, war dass sie die Angebote aus dem Museumsshop mit zu den Exponaten gelegt hatten. Eine etwas komische Form der Werbung, zumal viele von den Sachen gar nicht im Museumsshop zu bekommen waren. Sie hatten hauptsächlich Schmuck dort, der nicht mal mit Preisen versehen, also wahrscheinlich unbezahlbar war.

Als ich das Museum verließ, sah ich mich erstmal erstaunt um, denn es war so... dunkel. Ich brauchte eine Sekunde bis ich begriff, dass es an den Wolken lag, die am Himmel aufgezogen waren. Bis dahin war der Himmel stets strahlend blau gewesen, sodass ich gar nicht auf die Idee gekommen war, dass das Wetter mal nicht höchstsommerlich sein könnte. Der Vorteil war sicherlich, dass man so das Parlament betrachten konnte, ohne zu erblinden, aber wirklich Gelegenheit dazu hatte ich nicht, denn plötzlich fing es auch an zu regnen. Regen?! Damit hatte ich irgendwie nicht gerechnet.

Da mein Bedarf an Museen an diesem Tag gedeckt war und ich nicht wusste, was ich sonst bei dem Wetter machen sollte, kaufte ich ein paar Sachen beim Spar ein und ging dann zurück ins Hostel. Abends begann es erstaunlicherweise aus Kübeln zu schütten, sodass ich den Abend im Bett verbrachte und "Darüber reden" von Julian Barnes las. Das Buch handelt von dem drögen Bankangestellten Stuart, der seine Frau Gillian an seinen besten Freund, den Lebemann Oliver, verliert. Es ist nicht ganz so gut wie "A History of the World in 10 1/2 Chapters", aber sehr lesenswert. Das Buch ist aus verschiedenen Ich-Perspektiven geschrieben und Barnes versteht es wirklich meiserhaft, jeder Figur eine eigene Stimme zu geben. Mir hat zwar nicht gefallen, wie sich die Charaktere am Ende entwickelt haben, aber insgesamt ist das Buch extrem unterhaltsam.

Mehr positive und negative Überraschungen in der nächsten Folge.

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