March Review



Wettertechnisch scheint der März der neue Dezember zu sein, musikalisch betrachtet eher der neue April. Während sonst der vierte Monat der veröffentlichungsstärkste neben dem September war, konnte in diesem Jahr schon der dritte mit reihenweise interessanten Neuerscheinungen aufwarten. Was will man bei diesem Wetter schließlich auch anderes machen als Musik hören?


Frontier Ruckus - Eternity of Dimming


Ende 2010 lief bei mir kaum ein Song so häufig wie "Mona and Emmy" von Frontier Ruckus, sodass ich Eternity of Dimming einigermaßen gespannt erwartet habe. Das dritte Werk der Band aus Michigan ist ein Doppelalbum mit 20 Songs, die insgesamt über 5000 Wörter beinhalten (das habe ich gelesen, nicht gezählt). Die Lieder sind nicht nur wortstark, sondern auch banjolastig (was durchaus als Kompliment zu verstehen ist), es wäre jedoch falsch, Frontier Ruckus in die Bluegrass-Ecke zu schieben. Ihre Musik ist eigenwilliges Americana von teils poppiger Melodiösität. So sind die Songs musikalisch recht eingängig, aber lyrisch sehr anspruchsvoll, was Eternity of Dimming zu einem guten, aber auch etwas anstrengenden Album macht.


Caitlin Rose - The Stand-In


Als ich Caitlin Roses erste Daytrotter-Session gehört habe, habe ich mich gleich in ihre Musik verliebt. Ich liebte sie sogar so sehr, dass ich ein bisschen enttäuscht von ihrem Debüt Own Side Now war, weil es im Vergleich zu den spröden, aber doch lieblichen Liveversionen ziemlich glatt war. Von daher hatte ich keine übermäßig großen Erwartungen nach den Nachfolger The Stand-In, vor allem hatte ich nicht erwartet, dass er mich gleich beim ersten Mal so umhaut. Ich wollte schon eher etwas darüber schreiben, aber ich habe ehrlich gesagt ziemlich Probleme, das Album irgendwie zu kategorisieren. Es gibt immer noch Countryanklänge, aber es hat insgesamt mehr Rock- und Popelemente als Own Side Now. Die Songs haben wahnsinnig verführerische Melodien mit haufenweisen interessanten Ideen, sodass man sie schon fast als Orgasmus für Ohr bezeichnen könnte. Roses kreative wie auch stimmliche Weiterentwicklung ist erstaunlich und sie ist auf dem besten Weg, eine wirklich große Musikerin zu werden.


Mount Moriah - Miracle Temple


Nach ihrem tollen selbstbetitelten Debüt legen Mount Moriah mit Miracle Temple einen ebenso tollen Nachfolger vor. Auch auf ihrem zweiten Album verbindet die Band aus North Carolina Indie Rock, Americana und Southern Gothic zu einem eigenen Sound, der mal härter, mal elegischer ausfällt. Der Zuckerguss auf dem Kuchen ist Heather McEntires markante Stimme, die sanft, aber voll emotionaler Tiefe ist. Stellenweise erinnern mich die Lieder sogar an Magnolia Electric Co. Auf dem Level sind Mount Moriah noch nicht angekommen, aber sie haben auf jeden Fall ein faszinierendes Album geschaffen.


Josh Ritter - The Beast in its Tracks


Der Titel von Joshs Ritters neuem Album erinnert mich an Dylans Blood on the Tracks, was möglicherweise beabsichtigt ist, denn auch bei Ritters Werk handelt es sich um ein Scheidungsalbum, das er nach der Trennung von Dawn Landes, ebenfalls eine hörenswerte Musikerin, aufgenommen hat. Anders als bei Dylan wird The Beast in its Tracks jedoch nicht als Meisterwerk in die Musikgeschichte eingehen. Das Album versammelt reduzierte Akustiksongs, die ganz hübsch sind, aber nichts von der Größe des Vorgängers So Runs the World Away haben. So scheint Ritters neuestes Werk eher ein Übergangsalbum zu sein.


Lotte Kestner - The Bluebird of Happiness


Ich weiß nicht, warum ich mir erst jetzt ein Album der Frau mit dem Goethe-Moniker angehört habe, wo ich doch schon diverse Male auf sie aufmerksam gemacht wurde. Aber wie heißt es so schön: Besser spät als nie. Das neueste Werk von Anna-Lynne Williams, so der richtige Name, ist ein versponnenes Album irgendwo zwischen Folk und Dream Pop. Die Songs sind wie ein heißes Bad: Man möchte am liebsten ganz tief eintauchen und darin verweilen, weil es so wohlig ist. Der perfekte Soundtrack zum ewigen Winter.


Billy Bragg - Tooth & Nail


Dafür, dass ich so einer großer Fan der Mermaid Avenue Sessions bin, bin ich erstaunlich wenig mit Billy Braggs Solosachen vertraut. Als ich auf einem der SXSW-Sampler nun aber sein neuen Song "Handyman Blues" hörte, war ich so angetan, dass ich mir das ganze Album Tooth & Nail anhörte. Braggs Sound war anders, als ich erwartet hatte, was daran liegen mag, dass die Platte vom großen Joe Henry produziert wurde und daher auch ein bisschen nach ihm klingt, oder noch mehr nach Loudon Wainwrights Strange Weirdos, bei dem ebenfalls Henry am Regler saß. Insgesamt entfernt sich Bragg von seinen Punkwurzeln und versammelt auf Tooth & Nail eher ruhige Folksongs mit leichtem Countryeinschlag. Was die Texte angeht, so fehlt natürlich nicht die politische Komponente, auch wenn er das Persönliche im Vordergrund steht. Mal gibt sich Bragg resigniert wie bei "No One Anything Anymore", dann wieder gewohnt kämpferisch wie bei "There Will Be a Reckoning". Eine tolle Mischung mit hoher Aktualität, die Tooth & Nail zu einem starken Album macht und mein persönlich Favorit des Monats nach Caitlin Rose ist.


Phosphorescent - Muchacho


Als ich zum ersten Mal Matt Houcks alias Phosphorescents "Song for Zula" vom neuen Album Muchacho gehört habe, war ich offen gesagt ein wenig enttäuscht, da er jetzt auch in die Electronica-Richtung geht wie schon so viele vor ihm, beispielsweise Iron & Wine, The Felice Brothers oder Delta Spirit, was der Qualität ihrer Musik nicht unbedingt gut getan hat. Nach einigen Durchgängen fand ich aber gefallen an "Zula" und vor allem an der Verletzlichkeit, die der Song ausstrahlt. Muchacho steht ganz im Zeichen dieses neuen Sounds. Die Lieder sind dichte Soundteppiche voll atmosphärischem Gesang, Elektroklängen, groovenden Gitarren und Mariachibläsern. Das ist alles andere als schlecht und hat durchaus seinen Reiz, aber irgendwie trauere ich doch Here's to Taking It Easy und "It's Hard to Be Humble (When You're From Alabama)" hinterher. Möglicherweise brauche ich einfach noch mehr Zeit, um mich richtig auf das Album einzulassen.


The Milk Carton Kids - The Ash & Clay


Nach zwei Gratisveröffentlichungen bringt das Duo von The Milk Carton Kids mit The Ash & Clay sein erstes "richtiges" Album auf den Markt. Dort findet sich alles, was schon den Charme der Vorgänger ausgemacht hat: Filigranes Gitarrenspiel und wunderbarer Harmoniegesang. Und selbst wenn das keine wahnsinnig große Weiterentwicklung ist und die Jungs sich manchmal wie die Reinkarnation von Simon & Garfunkel anhören, sind die Songs so dermaßen schön, dass man eigentlich gar nicht anders kann als dahinzuschmelzen. Wunderbar.


Kommentare

  1. Hallo,
    irgendwie hast du gerade über alles geschrieben, worüber ich gerade schreiben wollte. Also scheinen wir ziemlich den gleichen Musikgeschmakc zu haben und den gleichen Filmgeschmack auch noch. Ich habe letztens erst The Hour angefangen zu gucken (bevor es im Fernsehen kam). Jedenfalls werde ich mir mal deinen Blog merken, gefällt mir gut. :)

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  2. Awww, vielen Dank! Es ist schön zu wissen, dass ich mit meinem Geschmack nicht so allein bin wie ich manchmal denke :) Es freut mich besonders, dass du auch The Hour schaust. Ich hoffe, du leidest am Ende nicht so sehr wie ich :) Dein Blog sieht auch sehr interessant aus, da sind so einige Bands vertreten, die ich noch kennen lernen muss!

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  3. also ich weiß gar nicht, was Du hast!?!? Ich hatte im März schon so an die 30 °C und viel Sonne. Nachts war mir die Decke schon zu viel im Bett. Liebe Grüße! Rudi

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