Books I've Read: Elijah Wald - Vom Mississippi zum Mainstream: Robert Johnson und die Erfindung des Blues


Blues ist ein besonderes Steckenpferd von mir (ich habe einst meine Magisterarbeit darüber geschrieben), sodass ich mich naturgemäß sehr gefreut habe, als ich vor einigen Wochen Elijah Walds Vom Mississippi zum Mainstream geschenkt bekam. Wie kaum eine andere Musikrichtung ist der Blues von Mythen umrankt, und wie kaum ein anderer Musiker des 20. Jahrhunderts ist einer seiner berühmtesten Vertreter, Robert Johnson, mit Legenden behaftet. Warum gerade der Blues so verklärt wird und was er überhaupt ist, damit beschäftigt sich Wald in seinem Buch, das übrigens aus dem Jahr 2004 stammt und erst im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienen ist.

Mississippi beginnt mit der Frage, wie der Blues entstand und wie er zum Mainstream wurde. Dabei weist Wald gleich zu Anfang darauf hin, dass das, was wir heute als Blues bezeichnen, nur bedingt mit dem übereinstimmt, was die afroamerikanische Bevölkerung im frühen 20. Jahrhundert unter Blues verstand. Diese Diskrepanz spielt das ganze Buch hindurch eine Rolle - so wird Wald nicht müde zu betonen, dass die damals populären Bluessänger heute überwiegend nur eine Nebenrolle spielen, während die Musiker, die wir heute als die größten Bluesmusiker ansehen, damals nicht selten völlig unbekannt waren. Zum Mythos des Blues gehört auch, dass das Mississippi-Delta (nicht zu verwechseln mit dem Mississippi-River-Delta) als Keimzelle dieser Musikrichtung angesehen wird, obwohl dem erwiesenermaßen nicht so ist. Das Delta übte jedoch gerade auf die weiße Nachkriegsgeneration eine ungemeine Faszination aus, vielleicht weil "Old Dixie" dort besonders lange weiterlebte oder weil der Rassismus dort besonders ausgeprägt war. Obwohl oder gerade weil der Prozentsatz der Afroamerikaner im Delta besonders hoch war, gab es dort die meisten Lynchmorde. Das Klischee des Bluesmusikers, der tagsüber auf einer Baumwollplantage schuftet und abends seine Gitarre auspackt um über sein Leid zu singen passt wohl einfach besonders gut in diese Region.

Ein Bluesmusiker, der aus Mississippi stammte, war Robert Johnson. Obwohl sein Gesamtwerk mehr als überschaubar ist, ist er der mit Abstand bekannteste und einfluss-reichste Bluesmusiker überhaupt. Ich habe den Hype um seine Person nie so recht verstanden. Obwohl ich ihn mag, habe ich Bluesmusiker wie Skip James, Son House, Charley Patton, Mississippi John Hurt und Piedmontblueser Blind Willie McTell immer mehr bewundert. Nun verfügt Johnson jedoch über eine faszinierende Lebensgeschichte, und das obwohl fast nichts über ihn bekannt ist. Fest steht, dass Johnson zu seiner Zeit nahezu unbekannt war und dass er im Alter von 27 Jahren ermordet wurde. Verkannte Genies, die frühzeitig sterben - so etwas fasziniert die Menschen. Hinzu kommt, dass über Johnsons musikalischen Werdegang so wenig bekannt ist, dass sich hartnäckig das Gerücht hält, er habe seine Gitarrenkünste einem Pakt mit dem Teufel zu verdanken. Wald rekonstruiert, was über Johnsons Leben bekannt ist und analysiert im Anschluss sämtliche Songs, die dieser je aufgenommen hat. So war Johnson ein durchaus begabter Musiker, jedoch kein Genie, das seine Lieder aus dem Nichts erschaffen hat. Wie jeder andere Bluesmusiker hat sich Johnson von der Musik seiner Zeitgenossen inspirieren lassen, um nicht zu sagen daran bedient, und daraus seinen eigenen Blues gemacht.

Im dritten Teil zeigt Wald auf, wie es mit dem Blues weiterging und wie das Blues-Revival der Sechziger Jahre vielen Bluesmusikern zu neuem oder gar erstem Ruhm verhalf. Dabei seziert er genüsslich die Darstellung des Blues als "primitive Volksmusik" und analysiert, warum sich der Blues bei den Weißen so großer Beliebtheit erfreut(e). Dass der Blues allerdings auch auf schwarzer Seite missverstanden und ideologisch überhöht wurde, ist bei ihm kein Thema, aber das würde vielleicht auch zu weit führen. Am Ende steht die Botschaft, dass man den Blues einfach als das nehmen sollte, was er ist: wunderbare Musik

Die Stärke von Walds Buch besteht in seiner Ideologiefreiheit, denn bahnbrechende oder auch nur neue musikwissenschaftliche Erkenntnisse hat der Autor nicht zu bieten. Dafür räumt er auf sachliche, aber doch unterhaltsame Art und Weise mit Klischees und romantischen Vorstellungen auf. Zudem bietet das Buch einen guten Einstieg in die Geschichte des Blues, wobei man allerdings schon mit der Musik der bekanntesten Bluesmusiker vetraut sein sollte. Fazit: Lesenswert.

Weitere empfehlenswerte Bücher zum Thema:
Angela Y. Davis - Blues Legacies and Black Feminism: Gertrude "Ma" Rainey, Bessie Smith, and Billie Holiday
Debra DeSalvo - The Language of the Blues: From Alcorub to Zuzu
Ted Gioia - Delta Blues
Daphne Duval Harrison - Black Pearls: Blues Queens of the 1920s
William Howland Kenney - Recorded Music in American Life: The Phonograph and Popular Memory, 1890-1945
Giles Oakley - The Devil's Music: A History of the Blues


Und hier noch mein Lieblingslied von Robert Johnson:

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