Books I've Read: Klaus Brinkbäumer - Der Traum vom Leben: Eine afrikanische Odyssee

 

Es sind die kleinen traurigen Nachrichten zwischen den großen Schlagzeilen, wenn mal wieder darüber berichtet wird, dass die Küstenwachen Südeuropas hilflose dahintreibende Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet haben - oder dass sie zu spät kamen und dutzende Leichen am Strand von Lampedusa und anderswo angespült wurden. Leichen ohne Namen, ohne Identität, ohne Geschichte, so scheint es. In seinem Buch Der Traum vom Leben will Klaus Brinkbäumer - seit dieser Woche Chefredakteur des Spiegels - den Flüchtlingen ein Gesicht geben und die Geschichten erzählen, die man normalerweise nie zu hören bekommt.

Den roten Faden des Buchen bildet die Geschichte von John Ampan, der 14 Jahre zuvor von Ghana nach Spanien geflohen ist. Fünf Jahre hat es gedauert, bis Ampan Europa erreicht hat, da er immer wieder verhaftet und deportiert wurde. 14 Jahre, nachdem er aufgebrochen ist, fliegen Brinkbäumer und Fotograf Markus Matzel mit Ampan zurück nach Ghana, um seine lange Reise zu rekonstruieren. Zum ersten Mal seit 14 Jahren sieht John seine Familie, seine Frau und seine drei Kinder, für die ihr Vater ein Fremder ist. Ein hoher Preis dafür, dass die Familie mit dem Geld aus Europa für afrikanische Verhältnisse einigermaßen komfortabel leben kann. Nur wenige Tage kann Ampan bleiben, dann bricht das Trio Richtung Europa auf.

Als Weißer und Journalist ist es natürlich nicht möglich, sich genauso wie ein Flüchtling fortzubewegen, aber Brinkbäumer und seine Begleiter machen teilweise zumindest dieselben Erfahrungen - vor allem, dass die Polizisten und Grenzbeamten bis ins Mark korrupt sind und niemand voran kommt, ohne ein paar Scheine locker zu machen. Und Brinkbäumer redet mit sehr vielen Flüchtlingen, aus Ghana, aus Nigeria, aus Burkina Faso etc., die eins gemeinsam haben: Sie alle machen die Hölle auf Erden durch, und trotzdem wollen sie unbedingt nacht Europa. In der Regel sind es junge Männer, die Kräftigsten, die sich auf den Weg machen. Obwohl sie teilweise sehr gut ausgebildet sind, können sie einfach keine Arbeit finden, denn ohne Beziehungen und Schmiergeld tendieren die Chancen auf eine Beschäftigung gegen Null. Ihre Familien haben jeden Cent zusammengekratzt, sich Geld geliehen und erwarten nun, etwas zurück zu bekommen. Deswegen müssen die jungen Menschen nach Europa, denn - wie Brinkbäumer Jack Bauer zitiert: Failure is not an option.

Nur dass die wenigsten tatsächlich in Europa ankommen. Ihnen geht das Geld aus und sie stranden irgendwo im Niemandsland. Sie werden von ihren Schleusern in der Wüste verlassen. Sie werden von der Polizei verhaftet und ohne Wasser in der Wüste ausgesetzt. Und wenn sie es dann, meist nach Jahren, doch noch an die nordafrikanische Küste schaffen, dann wartet da das Mittelmeer, das nahezu unüberwindliche Mittelmeer. Und manchmal, wenn sie es doch nach Europa geschafft haben, über die meterhohen Zäune der Festung, dann werden sie allzu oft umgehend wieder abgeschoben. Jahrelanges Leid, umsonst. Trotzdem versuchen sie es immer wieder, angelockt von den Geschichten einiger Glücklicher, die es geschafft haben, und weil die Alternative allzu oft der Hungertod ist.

Der Traum vom Leben ist wahrlich kein leichtes Buch. Brinkbäumer spart nicht an den grausamen Details und macht vor allem eins deutlich: Viele der Flüchtlinge würden am liebsten in ihrer Heimat bleiben. Auch Ampan träumt von einer Rückkehr, obwohl er mittlerweile in Spanien eine zweite Familie hat. Die Umstände sind jedoch so katastrophal, dass den Flüchtlingen praktisch keine Wahl bleibt. Bei keinem der westafrikanischen Staaten, die Brinkbäumer, Matzel und Ampan durchquert haben, kann man von einer funktionierenden Gesellschaft sprechen. Diktatoren haben die Länder runiert, zudem gibt es kein Gemeinwesen. Die Menschen fühlen sich nicht als Ghanaer oder Nigerianer; ihre Solidarität reicht oft nur für den eigenen Clan. Es geht immer nur ums Überleben. Jeder muss zusehen, wie er zurecht kommt. Europa hat freilich auch seinen Anteil daran, vom jahrhundertelangen Sklavenhandel bis zur Vernichtung der heimischen Märkte mit seinen Exporten. Viele der Afrikaner in dem Buch erwarten deshalb, von Europa "gerettet" zu werden, anstatt selbst aktiv zu werden. Auf seiner Reise wird Brinkbäumer offensiv angegangen. Man kann schon nicht mehr von Betteln sprechen, die Menschen fordern Geld geradezu ein, als Weißer müsse er bezahlen. Das ist schockierend, aber kann man ihnen ihre Verzweiflung wirklich verübeln?

Konkrete Lösungen hat auch Der Traum vom Leben nicht parat, wohl aber Ansätze. Nachhaltige(re) Entwicklungspolitik, oder dass Europa aufhört, Diktatoren Millionen zu zahlen, die nicht besser sind, nur weil sie einen anderen Diktator abgelöst haben. Und den Menschen zumindest die Chance geben, ihr Recht auf Asyl wahrzunehmen, oder einzuwandern. Sie zu tausenden in der Wüste verdursten und im Mittelmeer ertrinken zu lassen kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Es kann auch nicht die Lösung sein, die Zäune immer höher zu bauen und darauf zu hoffen, dass sich das Problem irgendwann von selbst erledigt. Vielleicht kommen so weniger in Europa an, aber es werden nicht weniger Menschen fliehen. Wie sagt einer der Flüchtlinge: "Hier kämpft Technik gegen Verzweiflung, und ich garantiere dir, die Verzweiflung ist stärker." Und ein anderer erklärt: "Die afrikanische Odyssee kann niemals gestoppt werden. Wenn ihr uns stoppen wollt, baut eine Mauer mitten ins Meer und baut sie bis in den Himmel."

Der Traum vom Leben ist, obwohl fast zehn Jahre alt, immer noch brandaktuell. Es gibt einen umfassenden Blick in die Welt der Flüchtlinge und ihre Motivation, in die üblen Machenschaften der Schleuser und die ebenso üblen Machenschaften der Grenzbeamten. Es ist ein Buch, das wirklich jeder lesen sollte. Gerade auch all jene die meinen, dass sich ihre Probleme von Zauberhand in Luft auflösen werden, wenn es keine Flüchtlinge gibt. Das Problem der Flüchtlinge ist nicht nur das Problem Afrikas. Es ist das Problem der Welt und vielleicht ihre größte Tragödie.


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