North by Northeast: I Could Hear the World Outside Calling Me


Ich plädiere für die Aufnahme eines neuen Wortes in die deutsche Sprache: "Urlaubskummer". Damit meine ich den Schmerz, den man empfindet, wenn eine Reise zuende geht. Es ist schon frustierend, wenn man monatelang einem Ereignis entgegenfiebert, dass dann bereits nach gut einer Woche wieder vorbei ist, sodass man sich fast fragen könnte, ob es überhaupt geschehen ist. Wenigstens kann ich darüber schreiben, was es mir erlaubt, mich noch etwas länger in diesem Ereignis zu suhlen.

Das Baltikum: Ich hatte ja bereits erwähnt, dass ich schon auf meiner Reise nach Vilnius vor drei Jahren den Entschluss gefasst hatte, mir noch mehr von den drei Staaten an der Ostsee anzusehen. Eigentlich hatte ich dabei auch geplant, mir noch andere litauische Städte wie Kaunas oder Siauliai oder Klaipeda anzuschauen, und am Ende der Reise womöglich noch nach Helsinki weiterzufahren. Da meine finanzielle Situation jedoch nicht dramatisch besser geworden ist und sich auch kaum Flüge für diese Routenplanung fanden, ist es zu meinem Bedauern dann doch bei Riga und Tallinn geblieben. Ich wollte sie mir allerdings auch gerne dieses Jahr ansehen, da Riga derzeit europäische Kulturhauptstadt ist. Außerdem hatte ich sehr viel Positives über die beiden Städte gehört.

Während ich so darüber nachdachte fiel mir ein, dass ich wohl in der Grundschule erstmals mit den Städten in Berührung gekommen bin. In der vierten Klassen sollten wir alle deutschen Bundesländer mit ihren Hauptstädten auswendig lernen, woraufhin meine Mutter vorschlug, doch auch sämtliche europäischen Hauptstädte auswendig zu lernen, es könne ja nicht schaden, das schon zu wissen. Also nahm ich mir einen der zahlreichen Atlanten, die ich angehäuft hatte und machte mich an die Aufgabe. Zu meiner Überraschung entdeckte ich im Nordosten diverse kleine Länder, die auf meinem Globus nicht verzeichnet waren (wir schreiben das Jahr 1994). Zunächst hatte ich etwas Probleme, mir all diese "neuen" Länder und Städte zu merken, vor allem den Namen "Riga". "So ähnlich wie Rita", schlug meine Mutter als Eselsbrücke vor. Das half, und ich habe die Namen der Hauptstädte nie wieder vergessen. Dementsprechend war ich überglücklich, als unser Lehrer dann in der nächsten Woche fragte, ob jemand von uns denn auch schon europäische Hauptstädte kennen würde. Ich war bereit, mein ganzes neugewonnenes Wissen herauszulassen, auch wenn die meisten meiner Versuche von einem gewissen Zahnarztsohn torpediert wurden, der es nicht für nötig hielt sich zu melden und einfach in die Klasse rief. Aber egal. Ich finde es einfach nur interessant, dass ich zwanzig Jahre nicht mehr daran gedacht habe und mich erst auf dem Flug an diese Anekdote erinnert habe.

A propos Flug: Für die Reise musste ich in den sauren Apfel beißen und mit Ryanair fliegen, da diese als einzige das Baltikum ansteuern. Immerhin konnte ich wie schon drei Jahre zuvor von Bremen fliegen und musste nicht erst nach Köln oder Amsterdam. Na ja, der Buchungsprozess mit seinen schamlosen Versuchen, einem unnötige Zusatzleistungen aufzudrücken hätte fast dazu geführt, dass ich mich umentschieden hätte, aber irgendwann gelang es mir dann doch, nur einen Flug inkl. einem Gepäckstück zu buchen, ohne Mietwagen, Hotel und 10000 Versicherungen.

Leider musste ich wie schon im letzten Jahr bei der Griechenlandreise an einem Samstagabend fliegen. Immerhin traf ich am Bahnhof in Osnabrück auf einen jungen Mann, der mir anbot auf seinem Niedersachsenticket mitzufahren, sodass ich nur 9 statt 18 Euro für die Fahrt nach Bremen zahlen musste. Vom Bremer Hauptbahnhof fährt eine Straßenbahn direkt zu Flughafen, was natürlich sehr praktisch ist. Das Terminal von Ryanair war noch genauso hässlich wie vor drei Jahren, aber ansonsten verlief alles relativ reibungslos. Na ja, der Flieger hatte etwa eine Dreiviertelstunde Verspätung, sodass sich mangels Sitzplätzen eine sehr lange Schlange quer durch das kleine Gate bildete. Als wir dann endlich an Bord waren, gab es einige Verwirrung bezüglich der Sitzplätze. So hatte es sich auch jemand auf meinem Sitz bequem gemacht. "Entschuldigung, das ist mein Platz", meinte ich. "Hier ist freie Platzwahl", erwiderte der Mann mit russischem Akzent. "Das glaube ich nicht", erwiderte ich erstaunt, schließlich war die Sitzplatznummer auf meinem Ticket ausgedruckt. Mehr noch: Für den Rückflug hatte ich sogar 5 Euro für einen Sitzplatz berappen müssen, da ich mehr als eine Woche im Voraus mein Ticket ausdrucken wollte (tolle Sache, was?). Glücklicherweise bestätigten die Flugbegleiter, dass die Platzwahl eben nicht frei ist, und dass sich jeder bitte auf den auf seinem Ticket angegebenen Platz setzen soll, was zu einigem Durcheinander führte, bis wir dann endlich abheben konnten.

Der Flug dauerte etwa anderthalb Stunden und verlief ohne Probleme. Ich konzentrierte mich auf meinen Babbitt, sodass ich von den ganzen Verkaufsaktionen nur wenig mitbekam. Beim Anflug auf Lettland wurde es langsam dunkel und der Himmel verschmolz mit dem Meer, woraufhin einige Kinder schon befürchteten, dass wir auf dem Wasser landen würden, weil erst noch kein Land zu sehen war. Der Flughafen selbst war klein und übersichtlich; dennoch unterhielt ich mich auf dem Weg kurz zum Gepäckband mit einer jungen Frau aus Deutschland, die für einen Monat als Erntehelferin in Lettland arbeiten wollte. Das gibt es sicher auch nicht so oft. Am Ausgang lagen praktischerweise Stadtpläne von Riga aus, von denen ich gleich einen einsteckte. Leider musste ich auch feststellen, dass genau in den Tagen in denen ich da war, keine besonderen Kulturaktionen stattfanden, aber es gab sicher auch so genug zu sehen.

Ich musste nur etwa zwei Minuten auf mein Gepäck warten, und als ich den Flughafen verließ, stand dort schon der Bus ins Stadtzentrum. Ich bezahlte 1,20 Euro fürs Ticket und kurz darauf ging es auch schon los. Einfacher hätte es wirklich nicht sein können! Die Fahrt dauerte vielleicht 20 Minuten; ich stieg an der zweiten Haltestelle nach der Brücke aus, "Autoosta", wie es in der Wegbeschreibung des Hostels stand. Dort befindet sich nicht nur ein großes Shoppingcenter, sondern auch der Zug- und Busbahnhof, wie ich dann feststellte. Und es gab dort auch einen Supermarkt, der sieben Tage die Woche von 8 bis 23 Uhr geöffnet hat. So musste ich keine Angst haben, am Sonntag nichts zu essen oder zu trinken zu bekommen.

Von dort aus waren es nur zehn Minuten zu Fuß zum Hostel. Das allerbeste an der Unterkunft war, dass ich für einen Einzelzimmer nur 20 Euro bezahlen musste. Ein Einzelzimmer! Ich war so sick and tired von Schlafsälen, dass ich mich echt darüber gefreut habe. Nur in Tallinn musste ich dann doch auf einen Dorm zurückgreifen, weil bereits Ende Mai fast alles ausgebucht war. Wenn ich das gewusst hätte... aber mehr dazu ein anderes Mal. Der Rezeptionist war sehr nett und das Hostel sah wirklich ordentlich aus. Und das Internet funktionierte! Mein Zimmer war mit einem großen Bett, einem Nachtschrank und einem Sessel komplett ausgefüllt, aber es war bunt gestrichen und sehr gemütlich. So sank ich zufrieden ins Bett und freute mich auf meine ersten Abenteuer.

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