Books I've Read: Alfred Döblin - Berlin Alexanderplatz

 

Die Urlaubszeit ist immer gut für Schwarten, für die man (na gut, ich) im normalen Alltag wahrscheinlich Wochen brauchen würde. Diesmal habe ich mir einen absoluten Klassiker der literarischen Moderne in den Koffer gepackt: Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin. Nachdem ich Cabaret, das ja am Ende der Weimarer Republik spielt, gesehen hatte, bekam ich Lust, das berühmteste Buch aus und über diese Zeit zu lesen.

Untertitel des Werks ist "Die Geschichte vom Franz Biberkopf", was den Inhalt schon ganz gut zusammenfasst. Wir begegnen diesem Franz Biberkopf zum ersten Mal am Tag seiner Entlassung aus dem Tegeler Gefängnis, wo er vier Jahre einsaß nachdem er seine Freundin Ida erschlagen hat. Der ehemalige Hilfsarbeiter und Kleinkriminelle hat sich vorgenommen, fortan ein anständiges Leben zu führen, hat aber Schwierigkeiten, sich wieder im Moloch Berlin zurechtzufinden. Hinzu kommt, das Franz von, sagen wir mal, eher schlichtem Gemüt ist und sich von allem und jeden beeinflussen lässt. Über 500 Seiten verfolgt der Leser Franz' Versuche, sich in Berlin niederzulassen. Er erlebt, wie der Brechmann Biberkopf, "die Kobraschlange", sich zunächst als Zeitungsverkäufer versucht, aber dann langsam aber sicher doch wieder ins kriminelle Milieu hineinrutscht. In seiner Naivität lässt sich Franz immer wieder mit den falschen Leuten ein, darunter einem gewissen Reinhold. Der vermeintliche Weichling entpuppt sich als das Böse in Menschengestalt und reißt Franz in den Abgrund.

Die Geschichte an sich ist schon ziemlich spannend, aber erst die Art wie Döblin sie schildert macht aus ihr einen wirklich großen Roman. Auch wenn Berlin Alexanderplatz mich ein bisschen an John Dos Passos' Manhattan Transfer - der andere große Großstadtroman der Zwanzigerjahre - erinnert hat, ist es in seiner Erzählweise doch anders als alles andere, was ich bisher gelesen habe. Ganz wie die Großstadt selbst ist Döblins Schreibstil ein wildes Chaos, dass förmlich auf einen einstürmt, ratternd und rasend wie eine Straßenbahn. Es gibt Anspielungen auf die Bibel und die griechische Mythologie, es gibt Zitate von Werbetexten, Schlagern und besonders von Volksliedern. Montageartig wirft Döblin all das zusammen und verbindet es zu einer ganz eigenen Sprache zwischen ironischem Wortwitz und erhabener Poesie. Manchmal bedient er sich aber auch seiner medinizinischen und physikalischen Kenntnisse (Döblin war praktizierender Arzt), um einen Sachverhalt zu erläutern, was in seiner Nüchternheit geradezu grotesk wird und einen krassen Kontrast zu dem derben Dialekt des Berliner Proletariats bildet.

So braucht man erst einmal eine Weile, um sich im literarischen Berlin zurechtzufinden. Mit den Figuren habe ich mich zunächst ebenfalls schwer getan, schließlich fällt Franz nach seiner Entlassung nichts besseres ein, als erst einmal die Schwester seiner von ihm ermordeten Freundin zu vergewaltigen. Ein bisschen Mitleid hat man aber doch mit diesem Tölpel, der nicht in der Lage ist zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden und erst ganz am Ende einsichtig wird. Dabei hilft sicherlich, dass Franz im Gegensatz zu Reinhold noch einen kleinen guten Kern in sich trägt. Berlin Alexanderplatz ist aber nicht nur die Geschichte des Franz Biberkopf: Immer wieder pickt sich Döblin wahllos Menschen heraus und beschreibt ihr Dilemma, sodass man einen ganz guten Einblick über das von Arbeitslosigkeit und Armut geprägte Leben der Berliner gewinnt. Auch die braune Bedrohung ist durchaus spürbar, wenn auch nicht ganz zu deutlich wie bei Cabaret, aber schließlich erschien der Roman bereits 1929 und ist somit auch ein interessantes Zeitdokument.

Fazit: Berlin Alexanderplatz erzählt die Geschichte eines kleinen Mannes, der wie Hiob gegen eine nahezu übermächtige Gewalt, in diesem Fall die Großstadt, antreten muss. Wie kein Zweiter versteht Döblin es dabei, das Wirrwarr der Metropole in Worte umzumünzen und all ihre Gefahren und Versuchungen lebendig zu machen. Ein großer, ein überwältigender Roman.

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