To Randy Newman on his 70th Birthday


Ich wollte schon länger etwas über Randy Newman schreiben, da er mir soviel bedeutet, und welche Gelegenheit bietet sich da an wenn nicht sein 70. Geburtstag? Viele Musiker schaffen es erst gar nicht so weit und noch mehr haben zu diesem Zeitpunkt ihr kreatives Pulver längst verschossen. Nicht so Randy Newman. Er ist immer noch aktiv und, was fast ebenso wichtig ist, man möchte ihm immer noch zuhören.

Meine Liebe zu Randy Newman hat sich langsam entwickelt. Das erste Mal machte ich glaube ich in einer Folge von Ally McBeal mit seiner Musik Bekanntschaft, in der eine Gospelsängerin ihre Kirche verklagt, weil diese ihr nicht erlaubt "Political Science" zu singen. Das ist der Song, in dem die USA die ganze Welt platt bomben, weil sie keiner lieb hat - mit Ausnahme von Australien, wegen der Kängurus. Dann hörte ich auf der Oscarverleihung 1999 sein "When She Loved Me", das jedoch von Sarah McLachlan gesungen wurde. Ich mochte den Song, aber nicht so sehr wie Aimee Manns "Save Me" (dass damals weder Randy Newman noch Aimee Mann gewonnen haben sondern Phil Collins regt mich heute noch auf). So richtig mit ihm befasst habe ich mich erst im Frühjahr 2006, als Zweitausendeins sein Land of Dreams im Angebot hatte, das ich mir aus Neugier bestellte. Bereits beim ersten Hörgang war ich Feuer und Flamme. Ich verliebte mich in die Musik von Randy Newman, eine Liebe, die immer noch Bestand hat.

Land of Dreams ist nun nicht gerade das typische Newman-Album. Er, der gerne in die Rolle von Rassisten, Kindermördern und Möchtegern-Dikatoren schlüpft, nimmt hier überwiegend sich selbst zum Thema. "Dixie Flyer" und "New Orleans wins the War" erzählt davon, wie Newman 1943 in Los Angeles geboren wurde, als sein Vater auf Sizilien gegen die Nazis kämpfte. Seine Mutter zog mit ihm in ihre Heimatstadt New Orleans, wo der kleine Randy die ersten Jahre seiner Kindheit verbrachte, bevor der Vater die Familie nach L.A. zurückholte.

Die "definitiven" Newman-Werke sind freilich Sail Away, Good Old Boys und Little Criminals. Hier singt er aus der Perspektive von Sklavenhändlern, Perverslingen und Gott höchstpersönlich, um Bigotterie und Ignoranz zu entlarven. Das führte erwartungsgemäß zu Missverständnissen: "Short People" ist sein größter Hit und gleichzeitig sein größter Skandal, da vielen Leuten die Ironie entgangen ist und sie Zeilen wie "Short people ain't got no reason to live" tatsächlich ernst genommen haben. "Rednecks" sehen manche Südstaatler sogar als Hymne an, obwohl Newman sie dort der Länge nach durch den Kakao zieht mit Bemerkungen à la "We don't know our ass from a hole in the ground."

In den letzten drei Jahrzehnten hat Newman nur sehr wenige Alben veröffentlicht, aber seinen Biss hat er nie verloren. "A few words in defense of our country" war seinerzeit sogar ein kleiner Skandal. In Zeiten, als jede Form von politischer Kritik als "unpatriotisch" abgebügelt wurde, spricht Newman an, wie Georgs W. Bush Amerikas Ruf in der Welt runiert hat. Das war so deutlich, dass (wenn ich mich richtig erinnere) nicht mal die New York Times sich getraut hat, den Text vollständig abzudrucken.

Wenngleich ich Newman in erster Linie für seinen unvergleichlichen, tiefschwarzen Humor liebe, sollte man seine herausragende Musik nicht vergessen. Ich kenne keinen anderen Musiker, der das "Great American Songbook" so verinnerlicht hat wie Randy Newman. Jazz, Musical, American Classical, R'n'B, Country, Folk, Rock, Pop... alles findet sich irgendwo wieder und doch hat Newman seinen ganz eigenen Sound. Bemerkenswert sind auch die europäischen Einflüsse: Bei "I Think It's Going to Rain Today" und vor allem bei "In Germany Before the War" bin ich immer wieder erstaunt, wie mahleresk die Streicherarrangements sind.

Es ist kaum zu verstehen, wie unbekannt Newman ist, obwohl seine Musik so präsent ist. Er hat unzählige Scores komponiert, vor allem für Pixar (meine Favoriten sind allerdings die zu Pleasantville und insbesondere Ragtime). Einige seine Lieder sind sehr populär, ohne dass viele den Urheber kennen, beispielsweise "You Can Leave Your Hat On" oder "Mama Told Me Not to Come". Das hängt natürlich auch damit zu sammen, dass andere Musiker sehr gerne seine Lieder aufnehmen.

In so einer langen Karriere gab es natürlich auch den einen oder anderen Ausfall: Born Again und Trouble in Paradise waten tief im 80er-Jahre-Synthiepop und sind dadurch in weiten Teilen unhörbar, aber das verschmerzt man gerne angesichts so viele brillanter Werke. Was mich dabei immer wieder erstaunt ist, wie aktuell viele seiner Songs immer noch sind. Bei "Political Science" würde niemand vermuten, dass es 1972 erschienen ist, und wenn Newman in "I Think It's Going to Rain Today" den Mangel an Empathie in unserer Gesellschaft beklagt, dann ist das heute noch genauso zutreffend wie 1968.

Nun feiern wir also 70 Jahre Randy Newman. In "I'm Dead (But I Don't Know It)" macht sich Newman über alternde Musiker lustig, die kein Ende finden können, aber ich hoffe, dass er uns noch viele Jahre erhalten bleibt (die Chancen stehen nicht schlecht: Angeblich ist für das nächste Jahr ein neues Album geplant). Seine Musik ist einzigartig, und nach wie vor relevant. Die Welt braucht Randy Newman.

Oder um es kurz zu machen: Happy Birthday, Randy, und danke für alles.


20 essentielle Randy-Newman-Songs für Anfänger in chronologischer Reihenfolge (ohne die Filmmusik):
I Think It's Going to Rain Today
Vine Street
Mama Told Me Not to Come
Sail Away
Political Science
God's Song (That's Why I Love Mankind)
Rednecks
Louisiana 1927
Kingfish
Short People
In Germany Before the War
My Life Is Good
Dixie Flyer
New Orleans Wins the War
Bad News from Home
The Great Nations of Europe
The World Isn't Fair
Losing You
A Few Words In Defense of Our Country
I'm Dreaming

P.S. Mein persönliches Highlight war natürlich, als ich ihn vor anderthalb Jahren live in Bochum erleben durfte, was hier nachzulesen ist.

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