Books I've Read: Nathan Englander - The Ministry of Special Cases


In der Regel braucht es nicht viel, um mich davon zu überzeugen, ein Buch zu lesen. In diesem Fall reichten sogar zwei Wörter: Kaddish Poznan. Das ist der Name der Hauptfigur in Nathan Englanders Roman The Ministry of Special Cases. Den Protagonisten nach dem jüdischen Totengebet zu benennen erschien mir so skurril und tragisch zugleich, dass ich unbedingt wissen musste, was dahinter steckt.

Das Buch spielt in den Siebziger Jahren in Buenos Aires, zur Zeit der Militärdiktatur. Die Vorgeschichte beginnt jedoch schon in den Zwanzigern mit der zweigeteilten jüdischen Gemeinschaft, die zur Hälfte aus Zuhältern und Prostituierten bestand. Der "respektable" Teil der Gemeinde schämte sich so für den anderen, dass sogar der Friedhof durch eine Mauer in zwei Hälften geteilt ist. Mehr noch: Fünfzig Jahre später ist es selbst den Angehörigen unangenehm, von "Gangstern und Nutten" abzustammen, sodass sie Kaddish - selbst ein "hijo de puta", ein Hurensohn - damit beauftragen, den Namen ihrer Vorfahren von den Grabsteinen zu entfernen, damit niemand von ihrer Verwandtschaft erfährt.

Den Regimewechsel nehmen Kaddish und seine Frau Lilian, eine Versicherungsagentin, zunächst einigermaßen gelassen auf, schließlich haben sie so etwas schon häufiger erlebt. Sorgen macht ihnen nur ihr Sohn Pato, ein Student. Pato hält gar nichts davon, sich möglichst unauffällig zu verhalten, so wie seine Eltern es tun. Aus Sorge verbrennt Kaddish einige von Patos Büchern, jedoch nicht genug: eines Tages kommen eine Reihe Agenten in die Wohnung, konfiszieren drei der Bücher und nehmen Pato mit. So wird aus dem jungen Mann einer von rund 30000 Menschen, die die argentinische Regierung zwischen 1976 und 1983 hat "verschwinden" lassen.

Die Poznans versuchen freilich alles, um Pato zurückzubekommen. Doch bei der Polizei weiß man nichts von der Verhaftung und auch das titelgebende Ministerium für besondere Fälle - eine Bürokratie kafkaesken Ausmaßes - ist keine Hilfe, im Gegenteil. Die Regierung versucht alles, um den Eindruck zu erwecken, dass Pato Poznan niemals existiert hat. So geraten bald die moralischen Maßstäbe von Kaddish und Lilian ins Wanken und auch ihre Ehe wird auf eine harte Probe gestellt.

Ich wusste bisher fast nichts über Argentiniens sogenannten "Schmutzigen Krieg", sodass es alles andere als leicht war zu lesen, was dieses Regime seinen Bürgern angetan hat. Dabei hat The Ministry of Special Cases anfangs durchaus Humor, doch die Absurditäten verwandeln sich schnell in bittere Ironie. So ähnelt Kaddishs Job in gewisser Weise den Aktivitäten der Militärjunta, da er ja auch versucht die Existenz bestimmter Personen auszulöschen. Dass ein Doktor Kaddish für dessen Arbeit nicht bezahlen kann und ihm und Lilian dafür die Nase verkleinert ist zunächst sehr komisch bis Pato verschwindet und es für die beiden so noch schwieriger wird, eine Verwandtschaft nachzuweisen, da sich die Gesichter von Eltern und Sohn nun weit weniger ähneln.

Auch wenn Ministry in Argentinien spielt, hat es mich stellenweise doch sehr an die klassische jiddische Literatur erinnert. So ist Kaddish ein echter Shlemiel: ein gutherziger, vom Pech verfolgter Taugenichts. Englanders Prosa ist auch weit weniger experimentell als die vergleichbarer Autoren wie beispielsweise Jonathan Safran Foer. Sein Stil ist eher zurückhaltend, einzig eine Passage über eine Mitgefangene Patos ist sehr lyrisch geschrieben. Die Stärke des Buchs liegt weniger in der Form als in der Beschreibung, welche Auswirkungen Patos Verschwinden auf seine beiden Eltern hat.

Fazit: Kein bahnbrechendes Werk, aber eine sehr berührende Erzählung über eins der dunkelsten Kapitel südamerikanischer Geschichte.

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