Heavy Rotation: Van Dyke Parks - Song Cycle

 

Natürlich habe ich im April einige Neuerscheinungen gehört (mehr dazu hoffentlich in Kürze), aber - soviel sei schon mal verraten - es war kein Album darunter, ja nicht einmal ein Song, in den ich mich wirklich verliebt habe; nichts, was ich immer und immer wieder hören wollte. Da ich dieses Gefühl jedoch vermisst habe, habe ich überlegt, welches Album ich mir schon immer anhören wollte - und das erste, das mir einfiel, war Song Cycle von Van Dyke Parks. Es ist mir ja schon fast peinlich es zuzugeben, aber ich wollte Song Cycle hören, seit ich zum ersten Mal Ys von Joanna Newsom gehört habe (also vor langer, langer Zeit!), denn für Ys' brillante Arrangements war niemand anderes zuständig als Van Dyke Parks. Von Parks' Daytrotter-Session war ich ebenfalls schwer begeistert, aber trotzdem bin ich bei der ganzen Flut an Neuerscheinungen nie dazu gekommen, mir endlich Song Cycle anzuhören - bis jetzt. Zufälligerweise veröffentlicht Parks nächste Woche ein neues Album, das den Titel Songs Cycled trägt, von daher ist jetzt wirklich der perfekte Zeitpunkt, sich das Referenzwerk anzuhören.

Song Cycle ist Van Dyke Parks' Debütalbum, das er im zarten Alter von 25 Jahren veröffentlichte. Sein Liederkreis ist eine Reise durch die amerikanische Musik: Es gibt Anklänge an Copland und Gershwin, an Gospel und Folk, Pop und Avantgarde und weiß Gott was noch alles. Song Cycle ist ein wildes Sammelsurium an Klängen die man in dieser Kombination noch nie zuvor gehört hat. Das Album beginnt mit einem Ausschnitt von Steve Youngs "Black Jack Davey", bevor es in "Vine Street" von Randy Newman übergeht. Dass Parks ausgerechnet einen Newman-Song covert ist sehr passend, schließlich waren sich die beiden zu der damaligen Zeit stilistisch relativ ähnlich; außerdem hat Parks Randys Debütalbum, das fünf Monate nach Song Cycle erschien, koproduziert. Während das Arrangement hier jedoch entsprechend "newmanesk" ist, hat eine zweite Coverversion, Donovans "Colours", nur noch ansatzweise mit dem Original zu tun. Parks verzichtet völlig auf den Text und instrumentiert den Folksong mit unter anderem mit Klavier, Xylophon, Klarinette und Percussion neu. Eine dritte "Coverversion" ist "Nearer My God to Thee", das Parks in einem Song, den er kurzerhand nach sich selbt benannt hat, mit Tonaufnahmen vom Vietnamkrieg mischt.

Parks' eigene Kompositionen sind jedoch mindestens genauso herausragend. "Palm Desert" wirkt wie eine verzerrte Version von 30er-Jahre-Showtunes, die mit Vogelgezwitscher unterlegt und seltsam eingängig ist; "Widow's Walk" verbindet unter anderem Akkordion, Balalaika, Bläser, Meeresrauschen und Glockengeläut; "The Attic" erinnert an die weiten musikalischen Landschaften von Aaron Copland. Mein persönlicher Favorit ist "The All Golden" mit seinen unbeschreiblich abgedrehten Arrangements (siehe unten). Parks' Texte sind übrigens genauso mysteriös wie die Musik: Der Gebrauch der Wörter ist eine eigene Klangkomposition, aber ihre Bedeutung liegt größtenteils im Dunkeln (anders als bei Randy Newman). Man nehme zum Beispiel den Text zu "Potpurri": "A Southwester in the yard invested with the garden and camped in concentration of a tall lilac to peel the rust off purple arbor. Time is not the main thought from under the rain wrought from roots that brought us coots to hoot and haul us all back to the prime ordeal. Dust off Pearl Harbor time."

Manchmal erscheint mir Song Cycle wie das musikalische Pendant zu Citizen Kane: Der Geniestreich eines jungen Mannes, der Generationen von Künstlern beeinflusst hat und doch ein kommerzieller Flop war. Warner Bros. bewarb Song Cycle gar mit "lost $35,509 on the 'album of the year' (dammit)". Aber was ist schon Geld im Vergleich zu dem langlebigen Wert eines Meisterwerks wie Song Cycle? Van Dyke Parks schöpft aus dem Great American Songbook und kreiert doch einen ganz eigenen, zutiefst originellen, Klang. Viele sagen, dass Song Cycle ein unzugängliches Album sei - das finde ich nicht. Es ist komplex und ungewöhnlich, aber es ist überraschend einprägsam. Und ganz sicher nicht schwer zu lieben.


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