Crossing Border Enschede 2012 (Part 2)
So, hier ist nun endlich der zweite Teil zum Crossing
Border. Da die Konzerte ja immer erst abends begannen, hatte ich tagsüber Zeit,
mich Gronau näher zu widmen. Irrsinnig viel gibt es dort nicht zu sehen, aber
sie haben ein Rock ’n’ Pop Museum, das ich mir gerne anschauen wollte. Das
Museum liegt neben dem Bahnhof, in einem großen Gebäude das von einem Bach und
einem Park umgehen ist. Drinnen war es voller als erwartet, da eine Schulklasse
zu Besuch war und herumtobte.
Im Erdgeschoss befand sich die Dauerausstellung, eine
Zeitreise durch die (Pop)Musikgeschichte. Los ging es mit der Salonmusik als
Beginn der Hausmusik. Von diesem Zeitpunkt an gab es die ersten “Hits“, die
sich damals natürlich nur in Notenform verkauften, bis Tonträger für jeden
erschwinglich wurden. Anschließend bewegte sich die Ausstellung durch
verschiedene Popmusikepochen, wobei sie verschiedene Artefakte, insbesondere
die Kleidung der Künstler, zeigte. Zusätzlich konnte man Schubladen
herausziehen, um Musikbeispiele zu hören, und sich durch die Hits des
jeweiligen Jahrzehnts klicken. Zu den behandelten Themen gehörten die „Race
Records“ der Zwanziger Jahre, das Jazz Age (wobei sie sich auf den deutschen
Jazz konzentrierten und auf die Künstler, die während der Nazi-Zeit emigrieren
mussten bzw. ermordet worden sind), Rock ’n’ Roll, die Beatles, Dylan, Prog, Punk,
die Achtziger inklusive Neuer Deutscher Welle sowie Electro und Minimal Music
(einschließlich Musik von Philip Glass und Karlheinz Stockhausen). Außerdem gab
es noch eine kleine Ecke über Udo Lindenberg, der aus Gronau stammt und einige
Infotafeln über die großen Gitarrenhersteller. Das war insgesamt ganz nett,
aber auch ziemlich oberflächlich. Allerdings ist das Thema Popmusik auch zu
umfangreich, um es detailliert in einer Ausstellung präsentieren zu können.
Daneben gab es noch einen Raum mit einer „auditiven
Zeitreise“, der aus vier Riesenboxen Soundschnipsel von 1874 bis 2001
abspielte, angefangen mit Edison über Hindenburg, Hitler, Lili Marleen, den
Comedian Harmonists, John F. Kennedy, Smoke on the Water, Willy Brandt, Smells
Like Teen Spirit, die Love Parade bis hinzu Eminem und 9/11. Für gewöhnlich
haben sie auch eine Sonderausstellung, aber als ich dort war nicht. So war ich
nach einer Stunde wieder raus, obwohl ich mir relativ viel Zeit genommen hatte.
Das war schon enttäuschend, vor allem da sie 7,50 Euro Eintritt verlangt haben.
Dafür hatte ich schon mehr erwartet.
Ansonsten schlenderte ich nur kurz durch die Innenstadt, die
jedoch nichts Außergewöhnliches zu bieten hatte. Da es furchtbar kalt war,
hatte ich ohnehin keine große Lust, mich dort länger aufzuhalten. Den
Nachmittag verbrachte ich größtenteils im Bett, da es in der Pension keine
Heizung gab und ich mächtig gefroren habe. An sich gefiel sie mir ja gut, aber das
war schon ein Unding. Für die Besitzer mag das günstiger sein ohne
Heizmöglichkeit, aber für die Gäste ist das nicht so schön.
Abends machte ich mich dann wieder auf den Weg nach
Enschede. Der Zug hatte etwas Verspätung aufgrund einer „Person im Gleis“ (was
auch immer das genau bedeutet), sodass Race Horses schon angefangen hatten, als
ich dort ankam. Es war überraschend voll, aber auf der Galerie fand ich noch
ein Plätzchen. Im Vorfeld hatte ich mich kurz durch ihr neues Album Furniture gehört, das ganz in Ordnung war, aber live fand ich die Waliser
wesentlich besser. Der Sänger/Bassist trug einen Overall aus schwarzem Samt
sowie Schnürstiefel, ein interessantes Outfit. Die restlichen vier
Bandmitglieder teilten sich zwei Schlagzeuge, zwei Keyboards, eine Gitarre und
eine Autoharp (die ich auch so gerne hätte!). Ihr Sound ist ziemlich schwer zu
beschreiben, experimenteller Pop mit einem Hauch New Wave vielleicht.
Eigentlich wollte
ich mir danach noch für 15 Minuten die holländische Alt.Country-Band The Horse
Company anhören, aber es war sehr voll und sie klangen auf den ersten Eindruck
auch nicht besonders außergewöhnlich, sodass ich mich schon einmal auf in den
großen Saal machte, wo ich mir einen Platz (einen Sitzplatz! Endlich!) für Lisa
Hannigan sicherte. Als ich ankam, sprach gerade noch ein Schriftsteller namens
David Vann darüber, wie der Suizid seines Vaters sein Schreiben verändert hat
(obwohl er damals gerade 13 Jahre alt war). Trotz des traurigen Themas war er
ein ziemlich witziger Kerl.
Um viertel nach
acht betrat Lisa Hannigan zunächst allein die Bühne und begleitet sich auf der
Mandoline, anschließend kam dann ihre fünfköpfige Band, alles Männer, hinzu.
Neben den üblichen Instrumenten hatten sie auch zwei dabei, die ich so noch nie
zuvor gesehen hatte: Das eine sah aus wie eine Mischung aus Theremin und
Glockenspiel (mög-licherweise hatten sie das Glockenspiel einfach auf das
Theremin gestellt), das andere war ein tragbares Harmonium mit Kurbel. Die meisten
Songs kannte ich nicht, aber nachdem ich mich etwas eingehender mit ihr
beschäftigt habe, glaube ich, dass sie größtenteils vom letzten Album Passenger
stammen, wie „O Sleep“, „A Sail“ und „Nowhere to go“. Sie waren allesamt
unglaublich schön, wenn auch sehr traurig, sodass Lisa schließlich sagte:
„Sorry, we’ve only played very depressing songs tonight but this one’s not
depressing at all“, woraufhin sie eine muntere Version von „Passenger“ (der
Song) darbot.
Das Beste war jedoch das Finale: Sie kündigte an, dass sie
und die Band mit dem nächsten Song an einen ihrer musikalischen Helden erinnern
wollten, der vor ein paar Monaten gestorben sei: Levon Helm! Sie legten die
Arme umeinander und sangen, nur von einer Gitarre begleitet, „The Night They
Drove Old Dixie Down“, einer meiner liebsten Songs überhaupt. Das war so schön
und bewegend, dass ich gar nicht anders konnte als ein paar Tränen zu
vergießen. Dafür gab es dann auch stehende Ovationen vom Publikum, was Lisa
sehr zu überraschen schien, dabei hatten sie und ihre Begleiter das voll und
ganz verdient. Sie sind ausnahmslos hervorragende Musiker, und Lisa hat nicht
nur eine tolle Stimme sondern ist auch ein freundlicher und sympathischer
Mensch. So war das Konzert nicht nur eine sehr positive Überraschung, sondern
auch das musikalische Highlight des Tages.
Anschließend eilte ich ins Atak rüber, um noch die letzten
15 Minuten der Punch Brothers mitzubekommen, wo es brechend voll war. Auch sie
haben mir live erheblich besser gefallen, da ihr Bluegrass so wesentlich mehr
fetzt. Zudem haben sind der Mandolinen- und der Banjospieler wirklich erste
Sahne.
Danach musste ich eine unendlich lange halbe Stunde
totschlagen, bis Michael Chabon endlich mit seiner Lesung begann. Eigentlich
wollte ich mir einen guten Platz suchen, aber ich war zu früh und der Writer’s
Room war noch geschlossen. Ich glaube zumindest, dass der Anweiser das gesagt
hat. Er hat mich mit etwas angesprochen, das wie „gnädige Frau“ klang
(natürlich auf Holländisch), sehr urig. Als ich 20 Minuten später schließlich
in den erstaunlich kleinen Raum kam, waren die Plätze in den ersten beiden
Reihen schon belegt, aber ich konnte trotzdem ganz gut sehen. Um zehn kamen
dann auch Michael (der einen hellen Anzug und einen dunklen Rollkragenpullover trug)
und sein Interviewer, den er den „Dutch professor“ nannte, hinzu. Ich habe mir
fast in die Hose gemacht vor Aufregung, ich meine, Michael Chabon! Der Mann hat
mir unendlich viele schöne Stunden beschert und ihn live and in person zu
erleben… Michael Chabon! Zunächst las er eine Stelle aus Telegraph Avenue vor,
in der Archie sich Baby Rolando ausleiht, um für seine bevorstehende
Vaterschaft zu üben. Er war übrigens ein sehr guter Leser und niemand, der den
Text nur lieblos herunterrasselt.
Danach interviewte ihn der Professor. Michael erzählte, dass
Telegraph Avenue eigentlich als Fernsehserie gedacht war, aber nichts daraus
wurde. So ließ er das Manuskript eine ganze Weile liegen, bis er einige Jahre
in Berkeley gelebt hatte und es wieder hervorholte, da er zum einen die Gegend
nun besser kannte und zum anderen Mal ein Buch schreiben wollte, dass nicht
übermäßig viel Recherche erfordert. Ironie der Geschichte: Es könnte durchaus
sein, dass Telegraph Avenue nach dem Erscheinen des Romans doch noch eine Fernsehserie
nach sich zieht, aber das ist noch nicht klar. Er selbst sei in einer
„integrated community“ in Columbia, Maryland aufgewachsen, in der Menschen
unterschiedlicher Hautfarbe untereinander und miteinander lebten, aber
mittlerweile sei die Stadt so wie jede andere. Berkeley und Oakland sind
diesbezüglich immer noch eher getrennt: In Berkeley lebten eher Weiße und in
Oakland eher Afro-Amerikaner. Die „Diva“ der Bay Area sei jedoch San Francisco,
die den Großteil der öffentlichen Gelder für sich beanspruche.
Natürlich sprach der Professor ihn auch auf den
Cameo-Auftritt von Barack Obama an. Michael sagte, dass er selbst nie den
Präsidenten auf einem Fundraiser getroffen habe, dafür aber seine Frau Ayelet
Waldman. Die beiden haben übrigens zusammen in Harvard Jura studiert. Ayelet
behauptet, dass sie die Urheberin von „Obama ’08“ sei: Sie habe das auf einem
dieser Fundraiser gerufen, worauf Obama nur erwiderte: „Be Quiet.“ Ha ha.
Insgesamt sprach er eine gute halbe Stunde. Er signierte auch noch Bücher,
allerdings wussten weder er noch der Professor wo. Ich hatte keine Zeit darauf
zu warten, was ein bisschen schade war, aber ihn zu sehen war schon mehr als
ich mir jemals erträumt hatte.
Das große Dilemma des zweiten Tags war nämlich, dass zur
selben Zeit First Aid Kit und (!) Andrew Bird spielten. Uff. Ich lief also
schnell zu First Aid Kit rüber, wo es so voll war, dass ich fast nicht mehr
hereingekommen wäre, aber irgendwie mogelte ich noch durch. Ich bin ein
Riesenfan der beiden Schwestern und ihren Auftritt konnte ich mir auf keinen
Fall entgehen lassen. Johanna spielte Gitarre und Klara Keyboard, außerdem
hatten sie noch einen Schlagzeuger dabei. Auch live sangen sie wie zwei Engel,
wenn nicht sogar noch schöner. Sie spielten „Blue“ und „Marianne’s Son“, einen
neuen Titel, der, wie Klara sagte, wohl das traurigste Lied sei, das sie jemals
geschrieben haben. Das wiederum sei schon erstaunlich, da sie praktisch nur
traurige Lieder schreiben würden. Weiter ging es mit „Hard Believer“, dass sie
Richard Dawkins widmeten.
Sie erzählten, wie froh sie seien, mal in Enschede
aufzutreten. Sie kommen aus einem Vorort von Stockholm namens Enskede, der sich
zwar anders schreibt, aber fast genauso ausgesprochen wird. Einmal sei ihr
Weihnachtsgeschenk auch versehentlich nach Enschede statt nach Enskede geschickt
worden und seitdem haben sie sich vorgenommen, die Stadt mal zu sehen.
Anschließend wollten sie noch etwas ausprobieren, aber dafür mussten alle ganz
leise sein. Leider schafften einige Leute das nicht, sodass Klara schon meinte,
dass es nicht funktionieren würde, woraufhin alle „oooh“ riefen vor
Enttäuschung. Nachdem einige Leute den Saal verlassen hatten, gaben sich die
beiden doch noch einen Ruck. „All
the chatty people left, thank God“, meinte Johanna zufrieden. So sangen
sie „Ghost Town” komplett unverstärkt, was unglaublich schön war.
Zu guter Letzt eilte ich noch schnell in den großen Saal für
Andrew Bird. Er war immer ziemlich an mir vorbeigegangen, bis mir sein letztes
Album Break It Yourself und die dazugehörige EP Hands of Glory angehört
habe. Insbesondere das Album ist hervorragend. Ich hatte es mir die ganze Fahrt
über angehört, und das ich jetzt nur noch eine Viertelstunde für ihr übrig
hatte, war schon sehr schade. Er hatte zwei Begleiter dabei, einen Schlagzeuger
und einen Bassisten (glaube ich). Da es recht voll war, stellte ich mich an den
Bühnenrand. Zu meiner Überraschung war Herr Bird kleiner als ich, ich hatte ihn
mir irgendwie immer so groß vorgestellt. Na egal. Er spielte hauptsächlich
Geige, aber auch etwas Gitarre, und geflötet hat er natürlich auch. Ein
bisschen erinnerte er mich an Owen Pallett, da er auch kurze Phrasen
einspielte, die sich anschließend wiederholten. Zuerst spielte er zwei Stücke,
die ich nicht kannte, gefolgt vom hübschen „Lusitania“. Es war schon ärgerlich,
dass ich nicht mehr Zeit hatte, ich glaube, die Show war wirklich großartig.
Danach machte ich
mich schnell auf den Weg zum Zug und zurück nach Epe, bevor ich am Vormittag
den Heimweg antrat. Was kann ich am Ende noch sagen? Das Crossing Border war,
abgesehen von einigen wohl nicht zu vermeidenden Überschneidungen, das perfekte
Festival. Das Line-up war einfach unglaublich und ich habe ein paar Künstler
gesehen, die mir wirklich viel bedeuten. Und das für nur 40 Euro! Ein Traum für
Musikliebhaber.
Good morning madam, how are you - so ist Ilse immer beim Frühstück im Hotel in Karachi 1989/90 begrüßt worden. Das klingt so ähnlich wie "gnädige Frau", oder? War das Harmonium mit Kurbel etv. eine Drehleier (Hurdygurdy in Englisch, glaube ich)? Das ist ein altes Instrument, was vor allem in der folk Musik gespielt wird - klingt toll! Und was ist eine Autoharp? da kann ich mir wenig vorstellen drunter. Liebe Grüße! Rudi
AntwortenLöschenNee, eine Drehleier hat ja keine Klaviertasten. Das Ding sah aus wie ein indisches Harmonium nur mit Kurbel statt Blasebalg. Autoharp: http://de.wikipedia.org/wiki/Autoharp
AntwortenLöschenLiebe Grüße