Project Ireland: Peace Behind the Bridge


Wie ihr wisst, bin ich inzwischen wieder in Deutschland, nichtsdestotrotz möchte ich gerne weiterschreiben, weil ich noch so viele schöne Dinge erlebt habe und das festhalten will.

In meiner dritten Woche in Derry gab es einen vorübergehenden Personalwechsel: Kylie ging für eine Woche nach Edinburgh, dafür kam Andrea nach Derry, die sonst mit Steve in Schottland arbeitet. Sie ist eigentlich Ungarin, lebt wohl aber schon etwas länger in Edinburgh. Ich kam nie dazu, sie genau zu fragen (vor allem wie sie an den Job gekommen ist hätte mich interessiert, besonders weil sie auch keine Muttersprachlerin ist), da sie und Sam ein Herz und eine Seele waren und sie ständig aufeinander hockten. So fühlte ich mich ein bisschen wie das fünfte Rad am Wagen. Zumal die beiden, in den ersten Tagen, anscheinend vergessen hatten, dass ich von zwölf bis drei arbeite. Ich ließ also die Leute herein, doch während ich dabei war die Tür zu schließen, checkte Andrea (manchmal auch Sam) sie schon ein und ich stand doof da. Hinzu kam, dass Andrea, wenn sie Fragen hatte, immer nach Sam rief, obwohl ich ihr in den meisten Fällen genauso gut hätte helfen können. So fühlte ich mich ziemlich überflüssig.

Was meine Laune weiter verschlechterte war das Wetter. Meine ersten zwei, drei Tage in Derry waren ganz schön gewesen, aber abgesehen von dem Tag, an dem ich die Foyle Bridge überquerte, regnete es jeden Tag. In der zweiten Woche störte mich das nicht so, weil ich wegen der Erkältung eh nicht in Sightseeingsstimmung war, aber nun ging es mir doch mächtig auf den Senkel. Irgendwann gab ich auf, den Wetterbericht aufzurufen, weil an allen Tagen nur graue Wolken mit Tropfen zu sehen waren, während die Beschreibung einzig und allein aus Varianten von Niederschlag bestand: Light Rain, Showers, Drizzle, Light Rain, Showers, Showers, Light Rain. Oft genug stimmte das noch nicht mal und es schüttete, bis das Wasser in Sturzbächen die Straße hinunterlief. Auf der anderen Seite gab es alle sieben bis zehn Tage auch mal einen schönen Tag, der im Wetterbericht so nicht angekündigt wurde, sodass es zu spät war, meine Schicht tauschen. Man konnte sich ja auch nicht sicher sein, dass nicht doch noch Wolken aufziehen und es wieder anfängt zu regnen. Dabei hätte ich so gerne mal einen Ausflug nach Buncrana gemacht. Im Zimmer hatte ich mit einer Frau aus Donegal gesprochen, die meinte, dass Buncrana an einem schönen Tag wie Italien ist. Das hätte ich zu gerne mit eigenen Augen gesehen, doch es gab einfach keine schönen Tage, außer einem, an dem ich dann nur über die City Walls lief, weil es wie gesagt zu spät war, die Schicht zu tauschen. Im Guardian erschienen reihenweise Artikel über das schlechte Wetter und der Juni entpuppte sich als der nasseste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Das heißt nicht, dass in dieser Woche überhaupt nichts los war, im Gegenteil. Am 21. Juni fand nämlich das „Peace One Day“-Konzert in den Ebrington Barracks statt, dass die „Cultural Olympiad“ eröffnete, das kulturelle Nebenprogramm von Olympia. „Peace One Day“ ist eine Organisation, die erreichen will, dass an einem Tag im Jahr, dem 21. September, auf der ganzen Welt Frieden herrscht. Ein Tag, was soll das bringen?, fragt sich mancher vielleicht. Wichtiger ist jedoch die Frage: Wenn es uns gelingt, die Erde für einen Tag zu befrieden, warum dann nicht auch dauerhaft? Das mag sich illusorisch anhören, aber es ist einen Versuch wert. „Peace One Day“ hat es immerhin geschafft, im letzten Jahr einen eintägigen Waffenstillstand in Afghanistan zu erreichen, sodass mehrere tausend Kinder gegen Polio geimpft werden konnten. Das ist doch schon mal ein Anfang.

Einmal im Jahr veranstaltet „Peace One Day“ ein großes Konzert. Weil Derry doch eher klein ist, war das Line-Up im Vergleich zu vorherigen Konzerten nicht gerade überwältigend, zumindest kannte ich die Bands nicht oder nur vom Hörensagen: Wonder Villains, Guillemots, Newton Faulkner, Imelda May und Pixie Lott. So einer großer Veranstaltung wollte ich schon gerne beigewohnt, aber 25 Pfund für Bands auszugeben, die mir eventuell nicht gefallen, das war mir dann doch zuviel. Doch dann entschied sich ein Filmproduzent namens Michael Hamlyn (oder so), die Karten für alle zu bezahlen, damit möglichst viele Leute das Konzert besuchen können. Einer der Gäste erzählte, dass sie die Karten im Plattengeschäft an der Busstation verteilen würden, sodass ich mich auf den Weg gemacht habe. Obwohl es erst kurz vor elf war, hatte sich bereits eine 50 Meter lange Schlange an der Foyle Street gebildet. Ich stellte mich an, in der Hoffnung, noch rechtzeitig eine Karte zu bekommen (um 12 musste ich ja arbeiten).

Es ging nicht gerade schnell voran und natürlich nieselte es auch noch. Zwischenzeitlich war das Fernsehen aufgetaucht, um die Schlange zu filmen. Es sickerte durch, dass man zumindest die Verkaufsgebühr von £1.50 noch bezahlen musste. Eine überraschende Anzahl an Menschen hatte kein Bargeld dabei und da das Geschäft keine Kreditkarten nahm, hatten manche, die schon zum Tresen vorgedrungen waren, den Laden wieder verlassen müssen um Geld abzuheben. Die meisten waren aber mindestens zu zweit da, sodass einer zum Geldautomaten gehen konnte, während der andere den Platz in der Schlange freihielt. Um Viertel vor 12 kam ich dann endlich dran und konnte mein Ticket in Empfang nehmen, sodass ich rechtzeitig wieder im Hostel war. Und das obwohl ich zwischendurch noch eine Umfrage der Stadt beantworten musste. „Du bist meine letzte Person für heute, du kannst mich aus dem Regen herausholen!“, flehte der junge Mann. Konnte ich da nein sagen?

Ich musste nicht allein zu dem Konzert gehen. Maddie, eine Australierin, die im März im Hostel gearbeitet hatte, war noch einmal für anderthalb Wochen zurückgekehrt und ging ebenfalls zu dem Konzert. Bevor es los ging, gingen wir noch ins Ice Wharf. Das war das Restaurant, dass ich ständig empfahl, weil es dort günstiges Essen gibt, bis zu dem Zeitpunkt war ich jedoch noch gar nicht dort gewesen. Zunächst checkte ich gar nicht, dass es sich praktisch um ein Pub handelt und man am Tresen bestellen (und gleich bezahlen) muss, bis Maddie mich aufklärte. Ich bestellte das günstigste Menü: Burger, Pommes und ein Pint Bier für fünf Pfund, da kann man nicht meckern. Es war zwar nicht der beste Burger aller Zeiten, aber doch ziemlich gut.

An der Peace Bridge mussten wir erstmal Schlange stehen, es ging aber einigermaßen zügig voran. Eine gute halbe Stunde vor Beginn war nicht soooo viel los, sodass wir einen ganz guten Platz bekamen. Das ganze war Open Air, in Derry ja so eine Sache, aber glücklicherweise nieselte es nur. Immerhin wurden die Veranstalter einige ihrer knallpinken Ponchos los. Gut, dass ich meine Regenjacke hatte. Um sieben hatte sich der Platz gut gefüllt. Alle Karten waren weggegangen und ungefähr 10.000 Menschen tummelten sich zwischen den Baracken. Die Bühne waren übrigens von zwölf Männern aus Belfast aufgebaut worden, die bei uns im Hostel geschlafen hatten. Na ja, geschlafen haben sie laut Maddie so gut wie gar nicht, denn ihre Freizeit verbrachten sie im Pub.


Um halb Acht, eine halbe Stunde zu spät, ging es endlich los. Ein großer Jubel brach aus, als eine Stimme den Moderator des Abends ankündigte: Jude Law. Es war schon cool, ihn mal aus der Nähe zu sehen, obwohl ich ja immer noch ein wenig enttäuscht war, dass er sich für so einen Schmarrn wie Repo Man hergegeben hat. Er begrüßte alle hier in „Derry-Londonderry“, eine wie er sagte sehr passende Location mit der Peace Bridge um Hintergrund und ehemaligen Militärbaracken drumherum, in einer Stadt, die nach Jahren des Bürgerkrieges den Schritt zum Frieden geschafft hat.


Die Wonder Villains waren die erste Band, die die Bühne betrat. Sie waren aus Derry und sahen nicht viel älter als 16 aus. Ich war echt positiv überrascht, als sie loslegten. Sie spielten Pop mit einem Hauch Punk, der frech und frisch war und für eine super Stimmung im Publikum sorgte. Die Sängerin wirkte auch sehr sympathisch; sie hatte sich die Setlist auf den Arm geschrieben und musste immer mal wieder drauf gucken, außerdem machte sie zu jedem Song eine kleine Ansage: „This song is called „TV“ and it's about television (ach, nee)... This song is called „Baby“ and it's about Bruce Springsteen (yay!).“ Wie auch die anderen Acts nach ihnen spielten sie gut 20 Minuten.


Ihnen folgten die Guillemots aus London. Der Sänger war ein großer Kerl mit Bart, der auch Gitarre und Klavier spielte. Ihre Musik könnte man grob als Indie Pop bezeichnen, aber es ist schwer, sie in eine Schublade zu packen. Die Songs waren sehr interessant aufgebaut; teilweise beinhalteten sie längere, experimentelle Soli, teilweise durchliefen sie mehrere Stimmungen, als ob man mehrere Songs zu einem verbunden hätte. Sie gefielen mir richtig gut, aber der Großteil der Zuschauer tat sich leider etwas schwer. Der Sänger versuchte, sie zum Mitsingen zu animieren, scheiterte aber kläglich.


Erfolgreicher war da Newton Faulkner, der nach ihnen die Bühne betrat. Der Name kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass der Typ anscheinend richtig berühmt ist. Der Jubel war wesentlich größer als bei den anderen Bands und alle zückten ihre Handys, um ein Foto zu machen. Er hatte neben drei Akustikgitarren auch einen Globus mit auf die Bühne gebracht, der sich öffnen ließ und eine Kanne Tee oder Kaffee enthielt. Sehr clever, denn besonders warm war es natürlich nicht. Er war echt sympathisch, aber musikalisch konnte er mich nicht überzeugen. Sein Folkpop war zwar recht hübsch, aber auch ziemlich 08/15. Den Leuten gefiel es aber prächtig und sie sangen auch mit, wenn auch nur „oh-oh“ und nicht den Text.


Danach gab es erstmal 40 Minuten Pause, was natürlich sehr langweilig war. Immerhin gab es zwei Leinwände neben der Bühne, die Einspielfilme von Prominenten zeigten, die erklärten, was Frieden ihnen bedeutet. Schließlich betrat eine sehr schwangere Imelda May die Bühne. Ich meinte, dass last.fm sie mir mal empfohlen hat, aber mehr wusste ich nicht über sie, außer dass sie aus Dublin kommt. Sie war für mich die größte Überraschung des Abends. Sie spielte eine Mischung aus Rockabilly und Jazz, was ich so noch nicht gehört habe. Zudem hat sie nicht nur eine Wahnsinnsstimme, sondern spielte auch bodhrán. Außerdem hatte sie eine exquisite Band dabei, allen voran der Trompeter. Sie war mein Lieblingskünstler an dem Abend, zumal sie auch Humor zeigte, so verabschiedete sie sich mit: „I'm Imelda May and a half, thank you!“ Wirklich super.


Schließlich kam Jude Law noch einmal auf die Bühne. Zwischendurch hatte es noch einige andere Redner gegeben, wie etwas Ruth McKenzie, die Organisatorin der Cultural Olympaid. Jude sagte Jeremy Gilley an, den Gründer von „Peace One Day.“ Der bedankte sich bei alle Beteiligten und auch beim Publikum, bekleidet mit einer weißen Jeans und einer Trainingsjacke. Ich weiß echt nicht, warum die Leute immer in diesen Sportklamotten rumlaufen müssen, aber nun ja. Zuletzt betrat noch Headliner Pixie Lott die Bühne. Sie war mir völlig unbekannt, aber die ganzen Teenage Girls sind komplett ausgerastet, als sie angesagt wurde und schrien wie am Spieß. Keine Überraschung: Ihre Musik war übelster Charts-Dancepop. Immerhin spielten sie und ihre Band die Songs nach zwei Nummern akustisch, das war etwas besser. Sie konnte auch ganz gut singen, aber die Songs waren einfach ziemlich dämlich, das ist wirklich nur was für Kids.





Zum Abschluss gab es noch ein Feuerwerk, das ganz beeindruckend war, aber ziemlich kurz ausfiel. Interessanterweise war zwar schon elf Uhr, aber gerade erst dunkel geworden. Das wir einen so guten Platz hatten, hatte auch einen Nachteil: Wir musste ziemlich lange warten, bis wir vom Gelände wegkamen. Es gab nur zwei Ausgänge, davon nur einer, der zur Cityside führte, über die Peace Bridge. Wir mussten eine halbe Stunde Schlange stehen, bis wir überhaupt auf die Brücke kamen (in der Zwischenzeit hatte es natürlich angefangen zu regnen), und es dauerte eine Stunde, bis wir wieder im Hostel waren, statt normalerweise 10-15 Minuten. Aber es hatte sich echt gelohnt. Ich war wirklich froh, dass ich zum Konzert gegangen bin, da sich zumindest drei Bands als wirklich sehens- und hörenswert entpuppt haben. Das war einer meiner schönsten Abende in Derry.


Filme:
Sabrina (****1/2) – Humphrey Bogart und Audrey Hepburn sind zwar ein etwas seltsames Paar, aber der Film ist große Klasse und unglaublich witzig.
Rubber (**) - der merkwürdigste Film, den ich je gesehen habe. Es geht um einen Autoreifen, der mit der Kraft seiner Gedanken (!) Menschen zum explodieren bringen kann. Schön gefilmt, aber ziemlich trashig. Als Kurzfilme hätte das sogar funktionieren können, denn die ersten Minuten sind ganz lustig, aber für 80 Minuten reicht der Stoff wirklich nicht.
His Girl Friday (****)
Valentine's Day (***) - möchte gerne wie Love Actually sein, kann damit aber nicht mithalten.
Michael Collins (*****)

Und der Anfang von Vicky Cristina Barcelona. Wirkte ganz vielversprechend und hat eine super Besetzung. Muss ich mir definitiv noch mal in Gänze ansehen.

Kommentare

  1. Hallo Dannie, ja schön, daß Du weiterschreibst - habe schon ziemlich drauf gewartet. Mh, Ilse will 'ne Bürgerinitiative gründen - für mehr Sonnenschein und Sommerwetter! Auch was für Dich, oder? Magst Du Bodhran? Ich auch - gehört typischerweise zu irisch-schottischer Musik dazu, oder ist das musikwissenschaftlich falsch? Liebe Grüße! Rudi

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