Project Ireland: My Second Week in Derry


Am Tag nach der „Jang confusion“ machte ich endlich mal wieder ein bisschen Sightseeing. Nur ein bisschen, weil ich beim Laufen merkte, dass ich doch noch nicht so fit war wie ich zunächst dachte. Ich ging zur St. Columba Long Tower Church im Süden der Innenstadt, die auf einem Hügel nahe der Bogside liegt. Die Gegend war echt super trostlos, vor allem der Fußweg neben der Schnellstraße, an dem einige Betrunkene saßen (und es war erst Nachmittag). Die Long Tower Church (ich weiß gar nicht woher der Titel kommt, der der „Turm“ ist nicht besonders hoch) ist katholisch. Betreten konnte man sie nicht, aber um die Kirche herum gab es einige Figuren. Für meinen Geschmack waren das jedoch zu viele tote Jesusse. Der tote Jesus am Kreuz, der tote Jesus aufgebahrt, der tote Jesus in den Armen seiner Mutter. Außerdem gab es noch wie an vielen katholischen Kirchen in Irland eine Lourdes-Grotte. Ha, hätte ich mal meine Brust mit Weihwasser befeuchtet, vielleicht hätte das gegen die Erkältung geholfen, als eine Art himmlisches Wick Vaporub.




Am nächsten Tag ging ich zum Fountain Estate, der protestantischen Enklave in der katholischen Cityside. Dort gab es ebenfalls einige Murals. Das King-Billy-Mural soll eins der ältesten in Irland sein, ich musste jedoch zweimal hinschauen, bis ich es erkannte. Es war in schwarzweiß und zeigte noch einige Straßen aus dem Bezirk. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, bzw. das Mural in der Broschüre war in Farbe, sodass ich mir nicht sicher war, ob es überhaupt das richtige war, aber ein anderes konnte ich nicht finden. Weitere Murals befasste sich mit der Belagerung Derrys, der Schlacht an der Somme oder der Queen (Überraschung), und auch die rote Hand von Ulster war wieder mit dabei. Insgesamt erlebte ich The Fountain als ähnlich trostlos wie die Bogside, nur dass hier überhaupt keine Touristen waren und ich mir etwas komisch vorkam, Bilder zu machen. Im Zentrum des Viertels gab es ein Jugendzentrum, an dem einige Teenager in Trainingsanzügen lustlos herumstanden.


Im Hostel war es verhältnismäßig ruhig. Als es klingelte, stand ein älterer Mann mit Fahrrad an der Tür, der mich um ein Zimmer bat. Nicht so ungewöhnlich, es waren erstaunlich viele Leute mit Fahrrad unterwegs, aber das Lustige war, dass er aus dem gleichen Dorf stammte wie Sam, sodass die beiden erstmal ihre gemeinsamen Bekannten erörtern. Schon ein Zufall, dass sich zwei Leute aus einem kleinen Dorf in New South Wales nicht in ihrer Heimat, sondern in einem Hostel in Derry über den Weg laufen.

Zu der Zeit war Fußball-EM. Bis dato konnte ich dem erfolgreich aus dem Weg gehen (während der EM nicht in Deutschland sein zu müssen war ein zusätzlicher Bonus der ganzen Reise), aber Sam als sportverrückter Aussie bestand darauf, dass wir die Spiele im Hostel sehen, zumal Irland an diesem Abend spielte (gegen Spanien glaube ich). In Derry war natürlich jeder für Irland (oder generell gegen jeden, der England schlug), wir im Hostel ebenso. Na ja, ihr wisst natürlich dass Irland total untergegangen ist und nicht mal ein Tor geschossen hat. Alle lobten den Gesang der Fans, der tatsächlich eine nette Abwechslung war, denn sonst hört man ja praktisch nur „Olé, olé“, „Carnival de Paris“ oder das Riff von „Seven Nation Army“ (danke Fußball, du schaffst es noch, mir den Song komplett zu versauen). Ein Teil der Gäste interessierte sich schon für Fußball, vor allem wenn sie aus Deutschland oder Spanien kamen, aber der Großteil inklusive mir fragte sich nach jedem Spiel wieder, warum die Sportart so populär ist wo es doch die meiste Zeit saulangweilig ist. Insbesondere die Amerikaner war der Meinung, dass Fußball einschläfernd und allzu simpel ist und nur von Weicheiern gespielt wird. Ich sah mir das in erster Linie wegen der nette Gesellschaft an und weil mich interessierte, was die anderen darüber dachten. Kylie und Sam machten sie über die Expertenrunde lustig, bis wir alle einen Hustenanfall bekamen. Kylie war die erste gewesen, die erkältet gewesen war, dann folgte ich, dann Sam, der sich besonders schlimm anhörte, da er Asthma hat und raucht. „A picture of health“, meint er. „Everybody's dying“, sang Kylie.

Public Viewing in Derry
Besonders freute mich, dass Kylie für mich und Sam gekocht und gebacken hatte. Ihr Vater war Koch und sie kochte selber ganz gerne ab und zu, vor allem für ausgehungerte Backpacker, die ihre Mühe auch wirklich zu schätzen wissen. Ich konnte meine Freude tatsächlich kaum verbergen, was wiederum Kylie freute. Es gab Brathähnchen mit Ofenkartoffeln und Salat und zum Nachtisch Baileys-Käsekuchen, was wirklich unglaublich gut schmeckte. Da ertrug ich auch gerne den Spott, den sie über mich auskippte, weil ich keine Erdbeeren mag.

Manchmal hatte ich auch Tage, an denen wirklich viel los war. Eines Nachmittags hatte ich gerade zwei Amerikanerinnen aus Washington State eingecheckt, als es an der Tür klingelte und eine Gruppe mit zehn Spaniern hereinkam. Sie sprachen kaum Englisch, was das Einchecken nicht gerade leicht machte, zumal wir ein 8-Bett-Zimmer und ein Doppelzimmer für sie hatten. Erstaunlicherweise wollte keiner in das Doppelzimmer, sodass es eine Weile dauerte, bis sich zwei Freiwillige gefunden hatten. Ich sagte den beiden, sie sollten sich ins Fernsehzimmer setzen, während ich die anderen auf ihr Zimmer bringen würden, aber leider verstanden die Acht es so, dass sie sich erst einmal hinsetzen sollten. „Nein! Ihr (die zwei) setzt euch hin und ihr (die Acht) kommt mit mir!“ Ein bisschen komisch war es schon, zehn Spaniern sagen zu müssen, wo es langgeht, aber nun ja. Nachdem ich die Acht erstmal vom Hals hatte, habe ich die anderen beiden zum anderen Haus gebracht. Als sie das Doppelbett gesehen haben, haben sie sich erstmal lautstark auf Spanisch empört, was ich natürlich nicht verstanden haben. „Tut mir leid, aber ein anderes Zimmer habe ich nicht.“ Tatsächlich waren die beiden Twin-Zimmer schon vergeben, da musste sie also mal in den sauren Apfel beißen und sich ein Doppelbett teilen, was ja nun weiß Gott nicht so schlimm ist. Ihr Gesichtsausdruck war aber unbezahlbar. Kaum hatte ich die Spanier von der Backe, kamen eine Österreicherin und ein Schweizer, gefolgt von einem Mann aus Queensland, der es aus irgendwelchen Gründen ziemlich eilig hatte. „ I see you've been busy“, freute Kylie sich, als sie mich ablöste.

Manchmal ist es nicht gut, die Gäste Filme aussuchen zu lassen. An diesem Abend hatte die eine Amerikanerin die Fernbedienung in der Hand, nicht ganz freiwillig, aber Kylie und ich nötigten sie, was auszusuchen. Konnte ja keiner ahnen, dass sie „The Last Song“ auswählt, eine Nicholas-Sparks-Verfilmung mit Miley Cyrus in der Hauptrolle. Geht’s noch schlimmer? Wer, der älter als 13 ist, sucht bitte einen Miley-Cyrus-Film aus? Es war grausig. Völlig unrealistisch und trotzdem komplett vorhersehbar. Uah. Erstaunlicherweise pickte die andere Amerikanerin einen guten Film „Sarah's Key“, eine Holocaustgeschichte. Das war natürlich sehr traurig, aber wirklich sehr gut. In dem Film geht es unter anderem um eine Überlebende, die ihre jüdische Herkunft verheimlicht und anschließend vertraute die Amerikanerin (ich hatte vergessen, nach ihrem Namen zu fragen) an, dass ihre Familie auch jüdisch ist, aber niemand darüber spricht.

Am nächsten Wochenende konnte ich wieder ein paar Überstunden machen, da Sam ein paar Freude zu Besuch hatte und sich dafür freigenommen hatte. Ich arbeitete Samstag und Sonntag von zehn bis drei und Samstagabend dann noch einmal von acht bis zehn, da Kylie ins Kino wollte. Da abends niemand da war, wollte ich mir „North by Northwest“ anschauen, da hatte ich mich drauf gefreut, seit ich den Film in der Sammlung gesehen habe. Der Film lief ungefähr eine Viertelstunde, als es draußen an der Tür klingelte. Ein Paar suchte nach einem Zimmer, aber ich hatte nur noch ein Dreibettzimmer im andern Haus frei. Sie waren zunächst nicht so begeistert, änderten aber ihre Meinung, als sie das Haus sahen.

Als ich zurückkam, hatte Gil den Film aus- und YouTube angeschaltet. Nein!!! Er war Brasilianer, schätzungsweise in der Vierzigern und hatte Kylie seeeehr gern. Umso enttäuschter war er, als ich ihm mitteilte, dass Kylie im Kino war und frühestens um zehn wiederkommen würde. Er hatte ihr unbedingt ein paar Musikvideos zeigen wollen, aber da sie nicht da war, musste ich jetzt einspringen. Es ging um Celtic bzw. Pagan Rock, nicht gerade mein Spezialgebiet. Gil zeigte mir einige Bands, viele davon aus der Bretagne, die in der Sprache der Gegend sangen. Manches war ganz gut, anderes war mir zu esoterisch angehaucht. Es war ja auch nicht so, dass ich Gil nicht nett fand oder mich das nicht interessierte, ich hatte mich nur wirklich auf den Hitchcock gefreut. Um elf entschuldigte ich mich dann, weil ich echt müde war, aber kurz darauf kam Kylie auch glücklicherweise zurück.

Am Sonntag folgte der große Exodus: Fast alle, unter anderem die Spanier, checkten aus, was bedeutete, dass viele Betten gemacht werden musste. Nachdem wir die 8-Bett-Zimmer fertig haben, nahm ich mich des anderen Hauses an. Eigentlich müssen die Gäste bis elf ausgecheckt haben, aber diesmal wollten und wollten sie einfach nicht gehen, sodass ich um viertel vor zwölf höflich anfragte, ob sie denn gedenkten, heute abzureisen oder noch eine Nacht zu bleiben. „Oh sorry, we're in slow mode today!“, meinte eine. Uff. Ich übernahm dann die Rezeption, während Kylie und Gil Essen gingen. Da ich quasi „sturmfreie Bude“ hatte, konnte ich so endlich North by Northwest zuende sehen, der wirklich ein verdammt guter Film ist. Außerdem mag ich Cary Grant.

Ob ihr es glaubt oder nicht, es schien doch tatsächlich die Sonne an diesem Tag, sodass ich mich entschloss, einen Spaziergang zu machen. Ich wollte zur Waterside, dann Richtung Norden, über die Foyle Bridge und schließlich zurück zum Hostel. Ich nahm die Craigavon Bridge in der Hoffnung, endlich mal ein Bild von „Hands across the divide“ mit blauem Himmel im Hintergrund schießen, aber vergeblich. Der Weg von der Brücke bis nach Ebrington ist nicht so toll, da man nicht am Fluss entlanggehen kann (und ewig an der Ampel stehen muss), aber von Ebrington aus geht es am Fluss entlang durch den St. Columb's Park, der ganz okay ist, aber hauptsächlich aus Spielplätzen besteht. Bis Ende 2012 soll ein Wanderweg bis zur Foyle Bridge entstehen, wovon bisher aber noch nichts zu sehen ist, sodass ich nach dem Park die Straße entlanggehen musste. Das war schon ein bisschen schade, zumal viele der Häuser total heruntergekommen waren.


Die Foyle Bridge liegt ein paar Kilometer nördlich der Innenstadt, eine sehr große, mehrspurige Brücke, die aber auch von Fußgängern überquert werden kann. Der Verkehrslärm war natürlich nicht so toll, dafür hatte man einen spektakulären Blick auf Fluss und Derry selbst. Das Wasser funkelte im Sonnenschein, umgeben von grünen Wiesen. Das war wirklich sehr schön anzusehen, auch wenn ich mal wieder gemerkt habe, dass ich nicht schwindelfrei bin. Trotzdem, ich steh auf Brücken. Wenn ich schon nicht am Meer wohnen kann, dann wenigstens in einer Stadt mit einem großen Fluss wie Derry, wegen der Brücken.



In der Cityside kann man das ganze Stück zur Innenstadt am Fluss entlanggehen. Dort befindet sich ebenfalls ein kleiner Park, der sehr beliebt ist bei Familien und Hundebesitzern. Er geht über in eine Promenade, an deren Geländer Blumenkästen befestigt waren. Das ist eine schöne Idee, besonders an den grauen Tage erinnert es einen daran, dass Sommer ist (was man die meiste Zeit kaum glauben mag). Der Rundgang dauerte drei Stunden, sodass ich ziemlich kaputt war, als ich wieder im Hostel ankam (zumal ich ja auch den halben Morgen geputzt hatte), aber für mich war er eins der Highlights von Derry. Ich hoffe nur, dass sie ihn bald komplett fertigstellen. Dass Derry aber sonst schon ganz gut gewappnet ist für ihr Jahr als Kulturhauptstadt des UK, habe ich ein paar Tage später gesehen. Mehr dazu beim nächsten Mal.


Filme:
Good Will Hunting (****)
Little Voice (***1/2)
The Third Man (*****) - einer meiner Lieblingsfilme
The Last Song (*1/2)
Sarah's Key (****)
Battle Royale (****) - schwierig... der Film ist abstoßend brutal, dennoch fand ich ihn spannend und interessant
North by Northwest (*****)
Surviving the Urban Jungle [Doku] (***1/2)
The Counterfeiters (****) - einer der wenigen deutschsprachigen Filme der Sammlung

Ausschnitte:
Ein koreanischer Actionfantasyfilm (natürlich Sams Wahl) mit viel Gemetzel (bah)
Animal Kingdom (ebenfalls zu brutal für meinen Geschmack)

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