Project Ireland: The Case of Messrs. Jang and Xiang


Da die Moulettes nur eine Stunde gespielt haben, war ich schon um kurz nach elf zu Hause. Das war in gewisser Weise schade, denn ich hätte ihnen noch ewig zuhören können, aber so konnte ich immerhin neun Stunden schlafen, das tat echt gut. Diesmal war ich auch nicht verkatert. Ruth traf ich wie gesagt noch einmal beim Frühstück, zudem verließ leider der Rest der ersten Gang (mit Ausnahme von Teresa) das Hostel. Das hat mich schon ein bisschen traurig gemacht, gab mir aber immerhin die Möglichkeit, den Umgang mit der Kreditkartenmaschine zu üben, da die meisten erst bei Abreise bezahlten. Kylie hatte beschlossen, dass meine Eingewöhnungsphase vorbei war und ich von nun an regelmäßige Arbeitszeiten haben sollte, und zwar von 12 bis drei. Fürs Sightseeing ist so eine Zeit höchst ungünstig, doch ich konnte auch mal tauschen (wenn ich denn gewollt hätte) und musste nicht morgens fragen, was denn heute so anliegt und wann sie mich am ehesten brauchen kann.

Viel los war aber nicht, gerade mal zwei Gäste durfte ich einchecken, Serge aus Frankreich und Liao aus Taiwan. Liao war wegen einer Konferenz zum irischen Drama hier, was ich äußerst interessant fand, zumal sie über die Darstellung des Judentums in Ulysses (oder so ähnlich) promovierte. Lustigerweise war eine weitere Bettnachbarin, Rayla, auch wegen dieser Konferenz angereist, doch da sie ständig unterwegs war, kamen die beiden nicht dazu, im Zimmer über die Konferenz zu sprechen, sehr schade. Rayla wohnt in Dublin, kommt ihrem Akzent nach zu urteilen aber ursprünglich aus Osteuropa. Sie war schon etwas älter; zunächst hatte sie mehrere Jahrzehnte als Mathelehrerin gearbeitet, wie alle in ihrer Familie, bevor sie zum Theater gewechselt war. Jetzt ist sie nicht nur Dozentin, sondern auch Regisseurin. Interessanter Werdegang.

Ansonsten hatte ich nicht so viel zu und schaute mit den Gästen Filme. Meine Ausgehphase fand ein abruptes Ende, denn am Abend spürte ich ein Kratzen in meinem Hals, außerdem war ich sehr müde. Am Morgen waren aus dem Kratzen richtige Halsschmerzen geworden und ein Erkältung hatte sich dazugesellt. Auch das noch! Wenn ich eins nicht leiden kann, sind es Halsschmerzen. Ich erinnere mich an Winter, wo ich alle zwei bis drei Wochen davon geplagt wurde, doch im Juni hatte ich sie glaube ich noch nie, ebenso wie eine Erkältung. Cold Irish summers have got me coughing. Kylie war an diesem Wochenende in Galway, um Mumford & Sons zu sehen (die Glückliche), sodass ich insgesamt sechs Stunden extra arbeitete. Bevor ich um zehn anfing, machte ich noch schnell einen Abstecher zum Tesco und besorgte mir Lutschtabletten. Hatte ich schon über den Tesco geschrieben? Der in Derry war nur drei Minuten vom Hostel entfernt und hatte eine sehr große Auswahl inklusive einer Hausmarke, was meine Ausgaben für Lebensmittel ziemlich reduzierte, denn Produkte dieser Marke sind kaum teurer als in Deutschland. Außerdem brachte es etwas Abwechslung in den Speiseplan. Erstmal ersetzte ich Toast durch Brötchen und die Butter durch Dips wie etwa Humus, sodass ich kein geschmacksarmes Käsetoast mehr zu mir nehmen musste. Für meine Nase kaufte ich Zitrone-Ingwer-Tee, der mir echt gut schmeckte. Ich hoffe, den gibt es auch in Deutschland.

Sam und ich teilten uns das Housekeeping; ich schlug vor, die Zimmer im anderen Haus zu machen, damit er sich im Fall des Falles um die Gäste kümmern konnte, da er ja immer noch mehr Erfahrung hatte. Das alles war ja soviel einfacher, mit dem Blick ins Rezeptionsbuch. Wayne hatte immer gewollt, dass ich die Arbeit „sehe“, doch er ließ mich ja nicht an die Rezeption, wie sollte ich also wissen, wer auscheckt und wer nicht? So war ich ja schon gezwungen gewesen anzukommen und zu fragen, welche Zimmer ich machen sollte. Hier konnte ich aber einfach ins Buch gucken und gut. Freilich hatte ich schon wieder vergessen,wie anstrengend Betten machen sein kann. Dank der Erkältung war ich auch noch ziemlich langsam. Glücklicherweise waren die Zimmer verhältnismäßig sauber (die Gäste waren insgesamt deutlich reinlicher als in Australien), aber da ich bis auf eins alle Zimmer im Haus machen musste, einschließlich der Badezimmer, war ich schon froh, als ich fertig war und mich wieder auf dem Sofa lümmeln konnte.

Wenn ich nicht Filme schaute, las ich. Auf dem Bücherregal hatte ich einen Band mit Sherlock-Holmes-Geschichten gefunden, sehr zu meiner Freude. Ich liebe ja die BBC-Serie mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman, aber die Originalstories habe ich (bis auf zwei) nie gelesen. Eigentlich bin ich kein großer Krimifan, aber die Geschichten zogen mich sofort in ihren Bann. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so gut und so mordsspannend sind. Ich war auch erstaunt, dass der Original-Holmes gar nicht sooo ein Arsch ist. Unterkühlt schon, aber er teilt Watson unerwartet oft seine Anerkennung mit. Der Band umfasst die kürzeren Geschichten bis zu Sherlocks (vermeintlichem) Tod an den Reichenbachfällen. Man könnte meinen, dass es auf Dauer langweilig wird, aber dem war überhaupt nicht so. Jedes Mal war ich wieder über die Auflösung verblüfft. Ich konnte schon verstehen, warum die Leser nach Sherlocks Tod Amok liefen und Conan Doyle quasi dazu nötigten, ihn „wiederzubeleben“. Zudem sind Sidney Pagets Illustrationen wirklich gelungen, besonders die von Sherlocks und Moriartys Kampf an den Reichenbachfällen.

Am Samstagabend ging ich früh ins Bett, am Sonntag hatten wir glücklicherweise nicht viel zu tun und mussten nur vier Betten beziehen, außerdem machte ich für ein Paar die Wäsche. Ich weiß nicht, ob ich erwähnt hatte, dass wir die Wäsche für die Gäste machen. So etwas habe ich noch nie in einem Hostel erlebt. Ein bisschen komisch fand ich es schon, anderer Leute Kleidung zu waschen (über das Big-Bang-Theory-T-Shirt musste ich dann doch schmunzeln), aber ich habe mich schnell dran gewöhnt. So oft kam es auch nicht vor. Am Sonntag schien tatsächlich die Sonne, zwischenzeitlich, sodass ich noch nach draußen ging, als ich mit meiner Schicht fertig war. Ich machte mich auf zum Brooke Park, der nur ein paar Minuten vom Hostel entfernt liegt, hinter St. Eugene's. Er war ganz okay, aber nicht wirklich spektakulär.


Montagmorgen war Kylie wieder da und belohnte mich mit 30 Pfund für meine Überstunden. 5 Pfund die Stunde – gar nicht so schlecht, wenn man bedenkt, dass ich fast nur rumgesessen habe. Das reicht für zwei Wochen Essen (ohne Alkohol), sodass ich gewissermaßen doch für Kost und Logis gearbeitet habe (das habe ich immer gesagt, wenn ich keine Lust hatte, das HelpX-Prinzip zu erklären).Morgens hing ich oft noch im Hostel herum, wenn ich mich von Gästen verabschieden wollte, die ich besonders gerne mochte. Ich war ein bisschen traurig, dass Liao und Rayla nach ihrer Konferenz wieder abgereist waren, und auch von June, die zwei Tage zuvor angekommen war, hieß es Abschied nehmen. „I can't wait to go back home!“; meinte sie. „Where is home?“, fragte ich zurück. „Florida!“ „Oh... where it's warm and sunny.“ „Yes! I always used to wear long clothes like these, but now I'm never going to wear long clothes again. I'm going to wear shorts for the rest of my life! See you in ten years!“ Bis in zehn Jahren... das sagte sie zu jedem zum Abschied. Mal was anderes.

Nachmittags wurde es komplizierter. Ich sah mir mit Teresa Filme an, als es plötzlich an der Tür klingelte. Die meisten Gäste hatte sich erst für den Abend angekündigt, also hatte ich nicht unbedingt jemanden erwartet. Es stand auch niemand draußen. Genervt schloss ich die Tür und setzte mich wieder, doch dann klingelte es erneut. „Oh, what the fuck?“, rief ich, was Teresa zum Lachen brachte. Diesmal standen vier junge Männer vor der Tür. Das verwirrte mich, denn es hatte sich keine Vierergruppe angekündigt, aber sie meinten, sie hätten eine Reservierung. „Wie ist der Name?“ „[dzhang]“. „Aber du hast nicht für vier gebucht.“ „Nein, wir sind drei plus einer.“ Im Buch stand ein Jang, eine Einzelbuchung, und ein Xiang, der für drei gebucht hatte. Das musste dann wohl die Dreiergruppe sein. Zu allem Überfluss sollte ich mein Zimmer mit ihnen teilen. „Und wie heißt du?“, fragte ich den Vierten. „Leon.“ Ein Leon stand tatsächlich auf der Liste. „Okay, aber da ihr nicht zusammen gebucht hat, seid ihr nicht im selben Zimmer.“ „Oh, kannst du uns nicht bitte ein gemeinsames Zimmer geben?“ Eigentlich wollte ich hart bleiben, weil sie die Dinge unnötig komplizierten, aber ich wollte sie auch nicht unbedingt in meinem Zimmer haben. „Aber nur im 8-Bett-Zimmer.“ „In Ordnung.“ Ich packte sie ins 8-Bett-Zimmer und freute mich darauf, das Zimmer womöglich für mich allein zu haben in dieser Nacht. Doch Pustekuchen.

Ich führte die Jungs (sie kamen aus Manchester) umher und gab ihnen einen Stadtplan, und dann auf Nachfrage einen zweiten, woraufhin sie abrauschten. So weit, so gut. Doch wenig später klingelte es an der Tür und drei Asiaten kamen herein. „Wir haben eine Reservierung.“ „Wie ist der Name?“ „[dzhang].“ „Wie bitte?“ Er reichte mit die Bestätigung. Dort stand tatsächlich der Name Xiang Li, unter dem die Dreierbuchung war. „Du bist Xiang Li?“ „Möchtest du meinen Pass sehen?“ „Nein, schon gut.“, seufzte ich. Katastrophe. Ich hatte ganz offensichtlich den falschen Xiang durchgestrichen, doch wer waren dann die Jungs, die zuvor eingecheckt hatten? Wir hatte noch zwei Einzelbuchungen für „AA“ und „Todor“ und in mir regte sich der Verdacht, dass diese vielleicht zu der Gruppe gehörten. Da sie aber aus waren, konnte ich sie nicht fragen. Ich versuchte, Sam alles zu erklären, woraufhin er nur meinte: „Don't worry. We'll sort it out.“

Um die Verwirrung komplett zu machen: Xiang hieß eigentlich Qinhan. Oder Jasper, wie er sich auf Englisch nannte. Möglich, dass einer seiner Freunde Xiang hieß, doch sie sprachen kein Englisch, daher konnte ich mich nicht mit ihnen unterhalten. Mit Qinhan/Jasper dafür umso mehr. Den Jungs war es zunächst sichtlich unangenehm, mit mir auf einem Zimmer zu sein, doch dann sprudelten die Worte aus Qinhan/Jasper heraus wie Wasser aus einem Springbrunnen und wir sprachen eine ganze Weile miteinander. Er und seine Kumpels wollten wissen, wo das Chinatown ist. Da musste ich erstmal schmunzeln. „Derry ist so klein, Derry hat kein Chinatown.“ „Oh.“, sagten sie sichtlich enttäuscht. Ihren Abend verbrachten sie denn damit, mit ihrem iPhone (bzw. der chinesischen Siri oder so) zu sprechen, zu meinem Leidwesen.

Ich nahm an, dass sich inzwischen alles geregelt hatte, doch als ich nach meiner Dusche ins Zimmer kam, teilte Jasper mir mit, dass Kylie mich gesucht hatte. Oh je. Mittlerweile war es schon nach zehn, und sie war nach Hause gegangen. Ich war echt besorgt, dass sie sauer auf mich sein könnte wie der Xiang-Sache. Ich wollte sie auf keinen Fall enttäuschen. Sie hatte zwar gesagt, dass ich Fehler machen würde und mir keine Sorgen deswegen machen sollte, aber ich wollte keine Fehler machen. Ich fragte Sam, was los sei, aber er meinte nur, ich solle mir keine Sorgen machen.

Am nächsten Morgen sagte Kylie zunächst nichts und ich brannte nicht gerade darauf, das Thema anzusprechen, doch kurz vor Beginn meiner Schicht rief sie in einem Singsang: „Da-han-nie!“ „Ja?“ „Du musst echt die Leute durchstreichen, die ankommen. Ich wollte sie gestern schon anrufen und fragen wo sie bleiben, dabei waren sie schon lange da.“ Ich erklärte ihr die ganze Sache, dass zwei Leute, deren Name auf die gleiche Weise ausgesprochen wird, da waren, und dass einige als Gruppe aufgetaucht waren, obwohl sie Einzelbuchungen hatten (was ich vermutet hatte), und dass ich sie nicht fragen konnte, weil sie in der Stadt waren. Glücklicherweise hatte sie Verständnis dafür. Aber mal ehrlich, wie hoch ist denn auch die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Leute mit Namen [dzhang], und beide in einer Dreiergruppe, am selben Tag in einem Hostel in Derry einchecken?

Filme:
Submarine (****)
Interview with the Vampire (**1/2)
The Whole Nine Yards (***)
The Secret Diary of a Call Girl [TV-Serie] (***) - tatsächlich nicht ganz so schlecht wie der Titel vermuten lässt, ich habe aber nur die ersten zwei Folgen gesehen, ich weiß nicht, ob der Plot für eine ganze Staffel reicht
Nanny McPhee Returns (***) [nachdem Teresa mehrmals vergeblich versucht hatte, Cloudy with a Chance of Meatballs abzuspielen]
Frida (***1/2)
Almost Famous (****1/2) – wahrscheinlich der Grund, warum ich Musikwissenschaft studiert habe

Außerdem Ausschnitte von:
RED (langweilig)
Equilibrium (doof)
Shaolin (brutal)

Kommentare

  1. Hallo Dannie, die chinesische Ausprache ist Dir vermutlich nicht geläufig - Xiang wird ausgesprochen als "Siang" und "Qinhan" wird ausgesprochen als "Tinhan". Ja und lustig, mein chinesischer Assistent bzw. "Azubi" hier heißt auch Jang mit Nachnamen.

    Dannie, Ingwer und Zitrone Tee kannst Du auch leicht selbst machen in Hagen. Du kaufst Dir frischen Ingwer - gibt's bestimmt auch bei Euch irgendwo. Von einem dicken Stück schneidest Du ca. 3 mm ab, schälst es und schneidest es fein und tust Zitronenmnelisse dazu. Dann alles mit ca. 1 ltr. kochenden Wasser übergießen, 5 Minuten ziehen lassen und fertig. Das Mischungsverhältnis mußt Du finden, was Dir schmeckt. Ilse trinkt vielfach nur reinen Ingwertee abends. Liebe Grüße!

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