Record of the Month: Iris DeMent - The Trackless Woods

 

Das war vielleicht eine Überraschung, als Iris DeMent verkündete, dass am 7. August ihr neues Album The Trackless Woods erscheint, schließlich ist die Veröffentlichung von Sing the Delta gerade mal drei Jahre her - kein besonders langer Zeitraum, wenn man bedenkt, dass zwischen Sing the Delta und dem Vorgänger Lifeline acht Jahre liegen. Und noch bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Lifeline "nur" ein Cover-Album ist und das letzte Album mit Originalsongs schon 1996 erschienen ist. Kurz gesagt: Alben von Iris DeMent sind eine ziemliche Rarität.

Dass The Trackless Woods nun verhältnismäßig schnell folgte, mag daran liegen, dass nur die Musik von DeMent ist. Bei den Texten handelt es sich um Gedichte der russischen Dichterin Anna Akhmatova. Es mutet schon ungewöhnlich an, dass eine amerikanische Countrysängerin eine russische Dichterin vertont, ist aber wohl darin begründet, dass DeMents Adoptivtochter aus Russland stammt. Akhmatova selbst gilt als eine der bedeutendsten, modernen russischen Dichter. Sie hatte massiv unter dem Stalinismus zu leiden, ist aber dennoch nie ausgewandert (ganz ähnlich wie Schostakowitsch). So wurde Akhmatovas erster Ehemann von der sowjetischen Geheimpolizei erschossen, ihr Sohn und ihr langjähriger Lebensgefährte waren im Gulag, wo letzterer auch gestorben ist. Man kann sich vorstellen, dass ihre Gedichte daher alles andere als sonnig sind. Kernstück des Albums ist wohl "The Souls of All My Dears", in dem Akhmatova den Tod ihrer Geliebten betrauert: "The souls of all my dears have flown to the stars... thank God there's no one left for me to lose."

Für die Vertonung von Akhmatovas Gedichten konzentriert sich DeMent im Wesentlichen aufs Klavier, auch schon Hauptinstrument bei Sing the Delta. Unterstützung erhält sie unter anderem von Leo Kottkes subtilem, abr effizienten Gitarrenspiel. DeMents Lieder sind meist zarte, manchmal aber aus ausladende Balladen, in denen sie die Verzweiflung Akhmatovas zu ihrer eigenen macht. Gepaart mit ihrer außergewöhnlicher Gesangsstimme ist das oft so herzzerreißend, dass man es kaum aushält. Dass man es dann doch tut, und das Album vor allem immer wieder hören möchte, liegt daran, dass zwischen all dem Schmerz auch Trost und Dankbarkeit zu spüren ist. Und glücklicherweise gibt es auch ein paar Uptempo-Songs, allen voran das rollende "From An Airplane", in dem Akhmatova über die komplizierten Beziehung zu ihrem Land schreibt: "I saw my country and, with the pain of recognition, I knew: It is all mine and nothing can divide us. It is my soul, it is my body, too."

Auch wenn DeMents ureigene Mischung aus Gospel, Folk und Country auf der einen Seite und russischer Modernismus auf der anderen Seite auf den ersten Blick unendlich weit entfernt scheinen, passen sie doch erstauntlich sehr gut zusammen. Zwar wird Sing the Delta in meiner Gunst für immer unerreichbar sein, aber The Trackless Woods ist ein unglaubliches schönes Album - wenngleich es aufgrund seiner Intensität alles andere als Easy Listening ist. Am Ende hört man Akhmatova übrigens eins ihrer Gedichte lesen. The voice of the poet lives on.


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