Record of the Month: Sufjan Stevens - Carrie & Lowell


Die besten Künstler sind wohl die, die einen immer wieder aufs Neue überraschen. Auch Sufjan Stevens fällt in diese Kategorie. Nach seinem, wie er selbst sagte, "maximalistischen" letzten Album Age of Adz mit seinen überbordenen Arrangements und Songs von 25 Minuten Länge konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wo seine Reise als nächstes hingehen soll, denn mehr war ja praktisch unmöglich. Das letzte, was ich von allerdings erwartet habe, ist ein schlichtes Folk-Album. Diese Phase seiner Entwicklung schien längst abgeschlossen zu sein.

Nun ist sein neuestes Werk Carrie & Lowell aber tatsächlich ein schlichtes Folk-Album, das in seiner Reduziertheit nur mit Seven Swans von 2004 vergleichbar ist. Und auch thematisch knüpft Stevens hier an vergangenes an, denn im Zentrum steht seine Familie - genauer gesagt seine Mutter und sein Stiefvater: Carrie und Lowell. Stevens' Mutter verstarb 2012 und in diesen elf Songs versucht er, mit ihrem Tod umzugehen. Eine komplizierte Sache, denn Carrie verließ die Familie, als Sufjan gerade mal ein Jahr alt war. Eine ganze Zeit lang gab es wohl bestenfalls nur sporadischen Kontakt, bis Carrie Lowell heiratete, der durchaus ein Interesse an ihren sechs Kindern hatte. So verbrachteten die Stevens-Kinder ihre Sommer in Oregon. Zu Lowell entwickelte Sufjan eine väterliche Beziehung und gründete auch später mit ihm das Label Asthmatic Kitty.

So viel zur Vorgeschichte. Man kann sich vorstellen, warum Carrie & Lowell so ein reduziertes Album ist: Weil es so ein intimes Album ist. Manche Songs wurden gar nur mit einem iPhone in einem Hotelzimmer in Oregon aufgenommen. Auch wenn Carrie & Lowell einige Gastmusiker aufweist, ist es doch im Wesentlichen die Auseinandersetzung eines Mannes mit seinen Gefühlen - im Gegensatz zu Age of Adz, das aufgrund seiner Opulenz ja schon fast gezwungermaßen eine Gemeinschaftsarbeit ist. Hauptinstrument ist bei fast allen Songs ganz klar die Akustikgitarre. Die andere Instrumente agieren, wenn vorhanden, eher als subtile Verstärkung.

Die Texte spiegeln die Facetten der Trauer wieder: Verzweiflung, Ratlosigkeit, das Verlangen nach Nähe, die aufkommende Erinnerungen. Es gibt aber auch viel Tröstliches, vor allem am Anfang. In "Death with Dignity" macht er Frieden mit der Mutter, die keine sein konnte, und in "Should Have Known Better" stellt er ihren Verlust der Freude über seine Nichte gegenüber. So ist Carrie & Lowell ein Album, dass trotz seiner Dunkelheit alles andere als unerträglich ist, im Gegenteil: Es liegt sehr viel Schönes in seiner Unmittelbarkeit. Und obwohl es Stevens' reduziertestes Werk seit langem ist, fühlt es sich doch nie wie ein Rückschritt an. Eher wie ein weiteres abgeschlossenes Kapitel in einer Geschichte, die hoffentlich noch lange nicht zu Ende geht.


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