Records of the Month: Bob Dylan/Father John Misty/Rhiannon Giddens

Bob Dylan - Shadows in the Night


Ich habe es schon häufiger gesagt: Bob Dylan wäre nicht Bob Dylan, wenn er nicht immer wieder für eine Überraschung gut wäre. Auf seinem neuesten Album Shadows in the Night etwa interpretiert er zehn Songs aus dem Great American Songbook, die in erster Linie durch Frank Sinatra bekannt geworden sind. Der Aufschrei folgte natürlich auf dem Fuß: "Bob Dylan singt Sinatra? Der kann doch gar nicht singen!" usw. usw. Ich habe mich hingegen ziemlich darauf gefreut, seit ich "Full Moon and Empty Arms" aus dem Album im letzten Sommer zu ersten Mal gehört habe.

Wer Bob Dylans Stimme nicht mag, wird auch durch Shadows in the Night seine Meinung nicht ändern. Wer beim Gesang jedoch eher Wert auf Ausdruck als auf Schönheit legt, für den hat diese Platte einiges zu bieten. Weil Bob Dylan wirklich Stimmungen transportieren kann, sei es eine tiefe Melancholie, die die meisten der Stücke prägt, oder eine leichte Verschmitzheit, wie in "Some Enchanted Evening". Der absolute Höhepunkt ist jedoch das geradezu herzzereißende "That Lucky Song", vor allem, wenn Dylan ganz am Ende die Stimme wegbricht. Manche mögen das wieder als Beweis nehmen, dass er nicht singen kann, ich sage: He nailed it.
Was die Musik betrifft, so greift Dylan hier wieder auf seine langjährige Band zurück, die wie auch schon auf den letzten regulären Alben einen wunderbar warmen und nostalgischen Sound schafft. Die Songs mögen zwar nicht Dylan-Niveau haben, sind aber immer noch verdammt gut, schließlich waren hier auch Songwriter-Asse wie Irving Berlin oder Rodgers & Hammerstein am Werk. Auch wenn ich nichts gegen ein neues Dylan-Album hätte kann ich sagen, dass Shadows in the Night mir sehr gefällt. Es mag helfen, dass ich die Sinatra-Versionen nicht kenne, aber ich habe wirklich den Eindruck, dass Dylan die Songs zu seinen eigenen gemacht hat. Nach über 50 Jahren muss er niemandem mehr was beweisen, er macht, wozu er Lust hat, und das ganz offensichtlich gern. Why try to change him now?

 

Father John Misty - I Love You, Honeybear


Vor drei Jahren hat wohl eine der interessantesten Reinkarnationen der Pop-Musikgeschichte stattgefunden, als Josh "J." Tillman sich als Father John Misty neu erfand und seinen reduzierten Folk gegen einen üppigen Laurel-Canyon-Sound aus den Siebzigern eintauschte. Eine überraschende Wandlung, die mit Fear Fun eins meiner liebsten Alben des Jahres hervorbrachte. Nun meldet sich Tillman alias Misty mit I Love You, Honeybear zurück, und hat wieder eine Überraschung parat: Anstatt der surrealen, mushroom-fueled Storys von Debut dreht sich beim Nachfolger alles um die Liebe. Wer hätte das von dem selbst-inszenierten Ladiesman gedacht?

Das heißt nicht, dass hier alles Schmaltz ist, im Gegenteil. Vor allem in "Holy Shit" und "Bored in the USA" machen sich Enttäuschung und Zynismus breit. Zwischen der ganzen Ironie findet man aber auch einige ernsthafte Zeilen über das, was das Leben lebenswert macht. Die Paradebeispiele sind hier "Chateau Lobby #4" und das grandiose "I Went to the Story One Day", das erzählt, wie Tillman seine Frau auf einem Parkplatz kennengernt hat - für mich einer der schönsten Songs überhaupt. Der Himmel hängt hier nicht voller Geigen, viel mehr sind die Songs voller Verwunderung im Sinne von "Ich kann nicht glauben, dass mir das passiert", was für mich viel magischer ist als alle überschwänglichen Liebesbekundungen.

Musikalische erinnert Misty an große kalifornische Songwriter wie Randy Newman oder auch Van Dyke Parks, aber nicht nur: In "True Affection" etwa experimentiert er mit Electro und das bereits erwähnte "I Went to the Store One Day" ist ein schlichter Folk-Song mit dezenten Streichern. Die meisten Songs fallen zwar ziemlich bombastisch aus, aber nicht übertrieben, und Tillman hat eine Stimme, die für die große Geste gemacht ist. Alles in allem ist I Love You, Honeybear eine große Inszenierung und ein noch größeres Album.





Rhiannon Giddens - Tomorrow Is My Turn


Als langjähriger Fan der Carolina Chocolate Drops war ich natürlich ziemlich neugierig auf das erste Soloalbum von CCD-Frontfrau Rhiannon Giddens. Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, dass es mich so komplett aus den Socken hauen würde. In Deutschland erschien das Album erst am letzten Freitag, sodass ich mir den Wochen davor mit den vier Songs vorlieb nehmen musste, die man schon anhören konnte. Bereits nach den ersten Takten von "Don't Let It Trouble Your Mind" war ich total angefixt und auch die anderen Songs waren so großartig, dass es mir richtig schwer gefallen ist, auf den Rest des Album zu warten.

Mit Ausnahme von "Angel City" handelt es sich bei allen Songs um Coverversionen. Die Originale stammen dabei von so Giganten wie Dolly Parton, Odetta, Patsy Cline, Sister Rosetta Tharpe, Elizabeth Cotten oder Charles Aznavour, aber wie ich schon bei Bob Dylan geschrieben habe, Giddens macht daraus ihre eigenen Songs. Das Beeindruckende an Tomorrow Is My Turn ist seine Vielseitigkeit: Der Opener "Last Kind Words" erinnert an den guten Delta Blues, während "Waterboy" von alten Work-Songs inspiriert ist. Fast jeder Song geht in eine andere Richtung: Country, Soul, Gospel, Jazz, (Celtic) Folk oder Hip Hop/Funk - alles ist hier vertreten. Dennoch klingt Tomorrow Is My Turn erstaunlich homogen, einmal durch die wunderbare Produktion von T Bone Burnett, aber vor allem durch Giddens' unglaubliche Stimme.

Ich kann nicht genug Gutes über dieses fantastische Album sagen. Rhiannon Giddens ist eine Ausnahmekünstlerin und die zehn Cover gehören zu den besten, die ich je gehört habe. Ich kann kaum vorstellen, dass es jemanden gibt, dem Tomorrow Is My Turn nichts zu bieten hat.





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