Books I've Read: W.G. Sebald - Die Ringe des Saturn

 

Als ich mehr oder weniger zufällig in einer Buchhandlung auf W.G. Sebalds Buch Die Ringe des Saturn stieß, habe ich nicht lange gezögert es zu kaufen (trotz all der ungelesenen Bücher, die noch auf meinen Regalbrettern ihr Dasein fristen) - wohl aber damit, es auch zu lesen. Bei dem 1997 erschienenen Werk handelt es sich um einen Reisebericht über Sebalds Wanderungen durch die englische Grafschaft Suffolk. Möglicherweise erinnert ihr euch noch, wie besessen ich von Austerlitz war und wie überwältigend das Verlangen damals, nach Belgien zu fahren. Ich hatte ein wenig Angst, dass mir das wieder passiert, sodass es einige Monate gedauert hat, bis ich mich an Saturn herangetraut habe.

Der Trost, wenn man so will, war, dass Sebald in seinem Buch eigentlich nur sehr wenig über Suffolk schreibt. Meistens geht es um die Gedanken, die ihn während der Reise ereilen, was schließlich in einer seitenlangen Evaluation eines bestimmten Themas endet. Oft erinnert er sich auch an vergangene Reisen. Sebald schreibt über Heringe, über "Die Anatomie des Dr. Tulp" (das ich vor einigen Monaten sogar gesehen habe), kroatische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg oder chinesische Kaiser des 19. Jahrhunderts. Am liebsten scheint er sich aber mit Exzentrikern zu beschäftigen, darunter Major Le Strange (sic!), der seiner Haushälterin sein Anwesen vermacht hat, weil sie immer in Stille mit ihm gegessen hat, oder Alec Garrard, der den jüdischen Tempel von Jerusalem als Modell nachbaut, oder die einst wohlhabende, irische Familie Ashbury, die im Zuge des Konflikts mit den Briten verarmt ist, aber deren Mitglieder es nicht schaffen, sich eine Arbeitsstelle zu besorgen, weil nie jemand in ihrer Familie arbeiten musste. Auch Schriftsteller spielen eine große Rolle in Sebalds Bericht, so schreibt er beispielsweise ausführlich über Joseph Konrad und dessen Erfahrungen mit dem belgischen Kolonialismus (womit wir dann eine Verbindung zu Austerlitz hätten). Manchmal fragt man sich schon, was das alles "soll", bis schlussendlich nach einer ziemlich langen Abhandlung über Seidenbau deutlich wird, das alles irgendwie miteinander zusammenhängt. Am Ende schlägt Sebald über die Seide wieder eine Verbindung zu Thomas Browne, der den Bericht gewissermaßen eröffnet. Der Kreis schließt sich, beziehungsweise der Ring.

Die Ringe des Saturn trägt den Untertitel "Eine englische Wallfahrt", was schon fast ein wenig ironisch ist. Denn Sebalds Wanderungen haben kein bestimmtes Ziel, auch haben sie nichts Erlösendes, im Gegenteil. Die ganze Reise ist von einer tiefen Melancholie geprägt, die Landschaft scheint gar eine Hypersensitivität bei ihm auszulösen, die teilweise in Schwindelanfällen endet. Ein Jahr nach seiner Rückkehr muss er gar ins Krankenhaus. Manchmal erscheint die Landschaft geradezu bedrohlich, manchmal einfach nur, als ob sie von der Menschheit verlassen und vergessen wurde. Weiter kann man kaum von spiritueller Erfüllung entfernt sein. Zwar behauptet Sebald, dass es ihm zu einem gewissen Teil gelungen sein, der Leere, die ihn plagte, zu entkommen, aber völlig entfliehen konnte er ihr doch nicht. Wie sagte Hemingway: "You can't get away from yourself by moving from one place to another."

Ich tue mich ein wenig schwer damit, Die Ringe des Saturn wirklich als Reisebericht zu bezeichnen, ich würde es lieber einen von einer Reise inspirierten Bewusstseinsstrom nennen. Auf jeden Fall ist es Buch wie kein anderes. Es ist voller kluger und interessanter Gedanken und Anekdoten, die in einer wunderschönen, wenngleich etwas altmodischen Sprache geschrieben sind. Und es regt einen dazu an, auf der nächsten Reise auch nach all den Kuriositäten zu suchen, die durch unseren Orbit schwirren.


Kommentare