Books I've Read: Harper Lee - To Kill a Mockingbird

 

Es war wohl die größte literarische Sensation der letzten Monate: Anfang Februar erklärte Harper Lee, beziehungsweise ihr Anwältin, dass im July Lees zweites Buch Go Set a Watchman erscheinen wird, das eigentlich die Urfassung ihres bisher einzigen Romans To Kill a Mockingbird ist. Als Mockingbird 1960 erschien wurde es umgehend zum Beststeller und erhielt im folgenden Jahr den Pulitzerpreis. Nur wenig später zog sich Lee aus der Öffentlichkeit zurück und erklärte, nie wieder ein Buch schreiben zu wollen. Die Umstände, die dazu geführt haben, dass das jahrzehntelang verschollen geglaubte Watchman nun doch erscheint, sind leider etwas dubios: Angeblich ist die 88-jährige Lee fast blind und taub, sodass es Gerüchte gibt, ihre Anwältin habe Lees Zustimmung erlangt, ohne dass diese wirklich wusste, warum es geht. Der Staat Alabama hat zwischenzeitlich ermittelt, ist aber wohl zu dem Schluss gekommen, dass Lee geistig fit ist und der Veröffentlichung zugestimmt hat. Was auch immer der Grund dafür ist, dass Watchman doch noch veröffentlicht wird, es hat mich daran erinnert, wie lange ich schon To Kill a Mockingbird lesen will. In den USA ist das Buch unglaublich bekannt, auch da es Pflichtlektüre an vielen Schulen ist, und dementsprechend im kulturellen Gedächtnis eingebrannt.

To Kill a Mockingbird spielt in den 1930er-Jahren in Maycomb, einem kleinen fiktiven Dorf in Alabama. Dort lebt die sechsjährige Jean Louise "Scout" Finch mit ihrem vier Jahre älteren Bruder Jem und ihrem verwitweteten Vater Atticus, einem Anwalt. Scout ist ein Tomboy, sie ist nicht auf den Mund gefallen und prügelt sich auch gerne, im Gegensatz zu dem eher besonnenen Jem. Der Roman beginnt recht unschuldig mit Scout und Jem, die Freundschaft mit dem etwa gleichaltrigen Dill schließen - einem kleinen, fantasievollen Jungen aus schwierigen Familienverhältnissen, der die Sommer in Maycomb verbringt (Vorbild war hier offenbar Lees enger Freund Truman Capote). Die meiste Zeit versuchen die drei, Arthur "Boo" Radley hervorzulocken. Dieser hatte als Jugendlicher mit zwei anderen einen dummen Streich begangen, woraufhin sein Vater und später sein älterer Bruder ihn für Jahrzehnte im Haus behalten. Die kindliche Unschuld findet ihr Ende, als Atticus Finch die Verteidung des Afroamerikaners Tom Robinson übernimmt. Robinson wird von dem armen und gewalttätigen Bob Ewell beschuldigt, seine Tochter Mayella vergewaltigt zu haben. Natürlich hat Robinson in Zeiten von Jim Crow nicht die geringste Chance, dennoch setzt sich Atticus mit ganzer Macht dafür ein, dass Robinson Gerechtigkeit widerfährt - wofür er und seine Familie bald offen angefeindet werden.

Es gibt ja nicht wenige Romane, die sich mit Rassismus im amerikanischen Süden beschäftigen, das Besondere an Lees Buch ist jedoch, dass sie das Thema aus Sicht eines Kindes behandelt. Scouts kindliche Naivität entlarvt dabei oft die Heuchelei der Erwachsenen, die sich wie aufrechte Bürger aufführen, aber vorurteilsbeladen ohne Ende sind. Gleichzeitig spottet Lee mit viel Ironie über eine Gesellschaft, in der Tradition eine große Rolle spielt und die alle, die nicht seit Generationen dort leben oder irgendwie anders sind, nicht akzeptieren kann. Doch trotz alle dem fühlt man sich als Leser seltsam wohl in Maycomb. Das liegt in erster Linie an den liebenswerten Figuren, sei es die freche Scout, der umsichtige Jem, die resolute Haushälterin Calpurnia oder die selbstbewusste, humorvolle Nachbarin Miss Maudie. Das Zentrum von Mockingbird ist aber Atticus Finch: Er ist der moralische Kompass des Romans, der wirklich eine Ethik hat, während andere nur so tun. Atticus zeigt, wie wichig es ist, Empathie zu üben - eine Fähigkeit, die viele seiner Mitbürger nicht haben. Lee offenbart die dunklen Seiten des Südens, den Rassismus, die Armut, die Gewalt und auch die Misogynie, aber gleichzeitig ist ihre Welt ein voll Humor und Wärme, in der manchmal auch das Gute triumphiert.

Das Universum von Mockingbird ist eins, das man nur sehr ungern verlässt. Umso schöner ist es, dass in Go Set a Watchman eine erwachsene Scout nach Maycomb zurückkehrt. Ich bin schon sehr gespannt darauf.

Fazit: Ein zutiefst menschliches Buch, das weniger von einer Handlung als von seinen wunderbaren Figuren lebt.


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