Books I've Read: David Malouf - Fly Away Peter


Es gibt Bücher, die entziehen sich einfach jeglichen Erwartungen. So wie Fly Away Peter von David Malouf. Schon als ich zum ersten Mal hörte, worum es darin geht, war mir klar, dass ich das Buch lesen wollte: Drei unterschiedliche Personen lernen sich an der Küste von Queensland durch ihre Liebe für Vögel kennen, doch dann müssen die beiden Männer nach Frankreich in den Ersten Weltkrieg ziehen, während die Frau in Australien zurückbleibt. Ich entwickelte erste Vorstellungen, die jedoch prompt zerstört wurden als ich erfuhr, dass das Buch gerade einmal 140 Seiten lang ist. Wie kann Malouf so eine Geschichte mit so wenigen Worten erzählen?

Nun, indem er eigentlich keine Geschichte erzählt. Zumindest nicht auf herkömmliche Weise. Fly Away Peter ist völlig anders als alle anderen Bücher, die ich kenne. Es weder plot- noch character-driven, während des Lesens kam es mir eher wie ein literarisches Fotoalbum vor. Malouf pickt sich eine Episode aus dem Leben seiner Figuren heraus, wie ein Schnappschuss, den er dann in unfassbar poetischen Worten ausschmückt. Dann springt er zum nächsten Moment. Dazwischen können Tage, Wochen, Monate liegen, Hochzeiten, Todesfälle oder Geburten, das interessiert alles nicht. Es geht immer nur um diesen einen Moment, in einem Leben, dass eigentlich nichts anderes ist als die Abfolge flüchtiger Momente. Und irgendwann endet diesen Momente, aber die Welt läuft immer weiter, völlig unberührt.

Das soll nicht heißen, dass in dem Buch überhaupt nichts passiert. Hauptfigur ist Jim Saddler, ein junger Mann, der am liebsten nichts anderes tut als den ganzen Tag Vögel zu beobachten. Vögel sind seine Welt, im Gegensatz zu den Menschen. Als Jim den Ausbruch des Kriegs miterlebt, kann er nicht verstehen, warum alle so begeistert sind und sich freiwillig melden. Der Einzige, der Verständnis für Jim hat ist Ashley Crowther, der ebenfalls ein Außenseiter ist. Im Gegensatz zu Jim stammt Ashley aus einer wohlhabenden Familie; er wurde in Europa ausgebildet und kommt erst nach Queensland zurück, als er dort die Farm seiner Eltern erbt. Er gibt Jim einen Job als "Vogelbeobachter": Er soll all die Bewegungen der Vögel in dem Gebiet dokumentierten. Kein Job, der nach wirtschaftlichen Maßstäben irgendwie nötig wäre, aber der perfekte Job für Jim, wie Ashley weiß. Dort lernt Jim auch Imogen Harcourt kennen, eine ältere alleinstehende Frau, die aus England nach Queensland gekommen ist und als Naturfotografin arbeitet. Noch eine Außenseiterin. Doch im Gegensatz zur Außenwelt findet Jim Imogen kein bisschen wunderlich. Alles was ihn interessiert, ist die gemeinsame Begeisterung für die Vogelwelt, wodurch sich eine Freundschaft entwickelt. Um die Beziehung der Drei zu beschreiben, braucht Malouf nur einen Satz: "When he [Jim] talked to Miss Harcourt, as when he talked to Ashley Crowther, they spoke only of 'the birds'."

Eins der wichtigsten Merkmale von Fly Away Peter ist der Kontrast: Im ersten Teil steht die Schönheit der australischen Natur im Mittelpunkt. Ashleys Anwesen, das irgendwo südöstlich von Brisbane liegt, nennen er und Jim "Sanctuary" - Zufluchtsort, auch wenn es trotz aller Idylle kein friedliches Paradies ist. Das ist jedoch kein Vergleich zu den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Irgendwann geben die beiden Männer dem Druck nach und werden nach Frankreich geschickt - Jim als einfacher Soldat, Ashley als Offizier. Jims Wahrnehmung des Krieges macht den Hauptteil des Buches aus. Detailliert beschreibt Malouf den Horror des Gemetzels. Ich habe diverse Filme, Serien und Dokus zum Thema gesehen, aber Maloufs Bilder haben sich mindestens genauso in mein Gedächtnis eingebrannt, einfach weil seine Darstellung so plastisch ist, etwa wenn er den Krieg als niemals endende, menschenfressende Maschine beschreibt.

Doch trotz aller Unterschiede haben Queensland und die Schlachtfelder von Frankreich und Flandern eins gemeinsam: Sie sind beide irgendwie aus der Zeit gefallen. Da es in dieser Ecke von Australien keine wirklichen Jahreszeiten gibt, scheint die Zeit quasi still zu stehen, nur das Ankommen und Abfliegen der Zugvögel ist ein Indiz, dass sich etwas bewegt. Im Krieg hingegen scheint alles schneller zu gehen: Jim fühlt sich unendlich alt als er miterlebt, wie seine Kameraden fallen, wie die Ersatzmänner ankommen und ebenso fallen, und wie sie wieder ersetzt werden - Generation über Generation über Generation.

Auch wenn ich nicht unbedingt was dagegen gehabt hätte, mehr über Ashley und Imogen zu erfahren, ist Fly Away Peter perfekt. Zwar muss man sich erst daran gewöhnen, dass es weder um die Handlung noch um die Personen sondern eher um Konzepte geht, aber gerade das macht das Buch auch so außergewöhnlich. Und dann ist natürlich noch Maloufs Sprache. Man merkt sehr deutlich, dass er eigentlich Dichter ist, da sein Schreibstil sehr bildhaft und ein wenig unwirklich ist. Und wunderschön. Fly Away Peter ist von einer unsagbaren Schönheit, die all den Horror und die tiefe Trauer überdauert.

Fazit: Intense.


P.S. Der Titel ist eine Anspielung auf den englischen Kinderreim "Two Little Dickie Birds" - nur falls ihr euch wie ich wundern solltet, da es aus dem Roman selbst nicht ersichtlich wird.

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