Movie Night: 12 Angry Men



Manche Filme packen einen vom ersten Moment an, einfach nur weil sie so ungewöhnlich sind. 12 Angry Men (deutsch: Die zwölf Geschworenen) ist so ein Film. Obwohl er gemeinhin als Justizdrama beschrieben wird, spielt nur die Anfangsszene im Gerichtssaal. Mehr noch: Vom eigentlichen Prozess bekommt der Zuschauer gar nichts mit. Als die Geschichte beginnt ist die Verhandlung bereits vorbei: Der Richter belehrt die Geschworenen, die Kamera zeigt kurz den jugendlichen Angeklagten, und das war's. Mit Ausnahme einiger Szenen im Waschraum und dem kurzen Finale vor dem Gerichtsgebäude spielt der gesamte Film in dem Beratungszimmer, in dem die Jury ein einstimmiges Urteil fällen muss.

Zunächst sieht es aus, als ob die - größtenteils namenlos verbleibenden - Juroren keine Schwierigkeiten hätten, sich auf ein Urteil zu einigen: Zu offensichtlich ist es für sie, dass der junge Mann auf der Anklagebank seinen Vater erstochen hat. Doch während 11 Geschworenen für "schuldig" stimmen, hat Juror #8 (Henry Fonda), ein Architekt, Zweifel. Er ist nicht überzeugt, dass der Angeklagte wirklich unschuldig ist, doch angesichts der drohenden Todesstrafe fordert er, den Fall nicht in fünf Minuten abzuhaken sondern erst darüber zu diskutieren. Der Rest der Gruppe ist nicht begeistert, da die meisten von ihnen einfach nur schnell das Gebäude verlassen wollen, vor allem Juror #7 (Jack Warden), der Karten für ein Baseballspiel hat und jede Position einnehmen würde, solange er es nur rechtzeitig ins Stadion schafft. Bald springt Juror #9 (Joseph Sweeney), der Älteste im Raum, Juror #8 bei. Stück für Stück nehmen die Geschworenen danach das Tatgeschehen und die Beweise auseinander, bis immer mehr von ihnen "berechtigte Zweifel" an der Schuld des Angeklagten bekommen und der "Schuldig"-Block langsam zerfällt - zum Ärger des cholerischen Jurors #3 (Lee J. Cobb), der felsenfest davon überzeugt ist, dass der Beschuldigte auf den elektrischen Stuhl gehört.

Auch wenn sein Ruhm 12 Angry Men vorauseilt war ich doch überrascht, wie gut der Film ist. Das beginnt mit der Vorlage von Reginald Rose, in der er erforscht, wie Menschen Entscheidungen treffen. Obwohl der Film nur gut 90 Minuten lang ist, lassen sich die Charaktere sehr klar voneinander abgrenzen. Jeder hat einen anderen biographischen Hintergrund und eine andere Herangehensweise an den Fall. Da ist der nervöse Bankangestellte (John Fiedler), der zum ersten Mal in einer Jury sitzt und Zeit braucht, um zu seinen eigenen Überzeugungen zu gelangen; da ist Juror #5 (Jack "Quincy" Klugman), der wie der Angeklagte in einem Slum aufgewachsen ist; da ist der oberflächliche Werbefachmann (Robert Webber), den der Fall überhaupt nicht zu interessieren scheint. Besonders gut hat mir gefallen, dass nicht alle, die zum harten Kern der Schuldig-Fraktion gehören, von Emotionen und Vorurteilen verblendet sind. Natürlich sind da der rassistische Juror #10 (Ed Begley) und der bereits erwähnte Juror #3, aber Juror #4 (E.G. Marshall), ein Börsenmakler, ist ein sehr nüchterner Mensch, der sich nur von Fakten leiten lässt. Starke Figuren, die von starken Schauspielern mit Leben erfüllt werden.

Daneben hat das Drehbuch eine interessante Twists parat. Der Zuschauer weiß zunächst überhaupt nichts über den Fall. Je weiter der Film voranschreitet, desto mehr lernt er und wird durch die immer neuen Sichtweisen überrascht. Trotz des ernsten Themas beweist der Film aber auch Humor und legt seinen Charakteren diverse schlagfertige Bemerkungen in den Mund. Dass das alles so wunderbar funktioniert ist auch der Inszenierung von Sidney Lumet und der Kameraführung von Boris Kaufman geschuldet. Während das Beratungszimmer zunächst nur von oben und die Figuren aus der Entfernung gezeigt werden, geht die Kamera im Verlauf immer näher ran, bis die Geschworenen fast nur noch in Nahaufnahme zu sehen sind, was die Beklemmung ins Extreme steigert. Verstärkt wird der Effekt dadurch, dass es der heißeste Tag des Jahres ist und (fast) alle Juroren wie verrückt schwitzen - Ausdruck für die aufgeheizte Stimmung im Raum.

Fazit: Mit 12 Angry Men stellt Regisseur Sidney Lumet unter Beweis, dass man auch mit einfachen Mitteln großes Kino schaffen kann. Ein brillantes und hochgradig faszinierendes Drama, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.

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