My Own Private Odyssey: Camera Obscura

An einem letzten Tag wollte ich noch ein paar Museen besichtigen, denn Thessaloniki hat einige ganz interessante. Petr hatte gefragt, ob ich mit ihm ins Archäologiemuseum wollte, aber mein Bedarf an Urnen und Statuen war gedeckt und ich machte mich ohnehin lieber auf eigene Faust auf den Weg. Zunächst ging ich noch einmal zur Agia Sofia, da sie im Inneren ihrem großen Namensvetter in Istanbul ähnelt sollte. Nun war es so, dass es immer noch 40 Grad im Schatten waren und ich daher Shorts angezogen hatte (meine beiden langen Hosen waren außerdem dreckig). Als ich jedoch am Eingang stand, war dort ein ganz Liste mit Dingen aufgeführt, die verboten sind, unter anderem das Betreten der Kirche in Shorts. Ich hatte blöderweise meinen Sarong Zuhause vergessen und das Tuch, das ich dabei hatte, entpuppte sich als zu klein, um es um meine Beine zu wickeln. Mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht eingesehen habe, was das alles soll. Aber es war auch egal, denn als ich noch so am Eingang stand kam plötzlich eine alte Frau auf mich zu und kackte mich lautstark in Griechisch an. Da sie die ganze Zeit auf meine Beine zeigte, nahm ich an, dass auch sie ein Problem mit meinen Shorts hatte. Erst als ich mich ein Stück von der Kirche entfernte, hörte sich auf zu keifen. Da hatte ich echt die Faxen dicke, und erst recht, als zwei Männer - in Shorts - die Kirche betraten ohne beschimpft zu werden. Ein Mann kam zwar noch heraus und bot mir einen Wickelrock an, aber ich winkte ab. Ich hatte einen etwas überempfindlichen Tag und keine Lust, nochmal auf die zeternde Omi zu treffen. 

Außerdem war ich nicht mehr so bereit wie früher, mich wegen der Religion der anderen zu verhüllen. Ich versteh das ohnehin nicht. Ich bin kein schlechter Mensch, nur weil man meine Knie sehen kann (um die geht es ja wohl). Was bitte schön ist so schlimm an Knien? Und was gibt diesen religiösen Fuzzis das Recht, alle Leute zu beschimpfen, nur weil diese sich nicht zu Tode schwitzen wollen? Und überhaupt, wenn Gott nicht will, dass die Menschen Haut zeigen, warum hat er ihnen dann kein Fell gegeben?

Gut, kommen wir zurück zum eigentlich Thema. Zunächst machte ich mich auf den Weg zum Jüdischen Museum, das ich mir immer noch ansehen wollte, auch wenn ich schon das in Athen besucht hatte. Während ich noch in der Straße nach dem Eingang suchte, traten plötzlich zwei große, kräftige Männer an mich heran und fragte mich, wo ich herkomme. Als ich es ihnen sagte, baten sie mich, meinen Rucksack zu öffnen, den sie daraufhin durchsuchten. Nachdem sich der Inhalt als harmlos erwiesen hatte, führte mich der eine schließlich ins Museum. Okay... ich verstehe ja, dass sie vorsichtig sein müssen, aber sie müssen mich auch nicht gleich wie einen Drogendealer behandeln. Das war schon ein bisschen unheimlich. An der Rezeption saß eine junge Dame, die offensichtlich alles lieber tun würde, als sich mir zuzuwenden. Schließlich ließ sie mich aber doch bezahlen, bevor sie mir in Zeitenlupentempo eine Quittung ausstellte (Griechen lieben es, Quittungen auszustellen).

Im Erdgeschoss hatten sie einige jüdische Grabsteine ausgestellt, aber da die Erklärungen in Griechisch waren, überflog ich das ganze eher. Ich hätte mir zwar einen Audioguide ausleihen können, aber ich hatte keine Lust, die Dame darum zu bitten. Die Herausgabe war schließlich mit Arbeit verbunden. Stattdessen ging ich den ersten Stock, wo sich eine Timeline mit der Geschichte der Thessaloniker Juden befand. Die Ersten siedelten wohl bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. dort, aber die Gemeinde wuchs erst so richtig nach der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 an, als sich viele Juden im osmanischen Reich niederließen. So wurde Thessaloniki eine der größten sephardischen Gemeinden der Neuzeit; im 19. Jahrhundert war etwa die Häfte der Thessaloniker jüdisch, rund 70.000 insgesamt. Folglich gab es auch mehrere jüdische Tageszeitungen, die in Ladino geschrieben waren. Die verschiedenen religiösen Gruppen lebten damals streng getrennt; die jüdischen Einwohner hatten sich im Süden der Stadt niedergelassen. Das führte dazu, dass nach dem Großen Feuer von 1917 fast dreiviertel der knapp 75000 Obdachlosen jüdisch waren, da das Feuer besonders in ihrem Stadtteil gewütet hatte (dieses Feuer ist übrigens auch einer der Gründe dafür, warum vom osmanischen Erbe Thessalonikis so gut wie nichts mehr zu sehen ist). Die wirklich große Katastrophe für die jüdische Bevölkerung war freilich der Zweite Weltkrieg: ich hatte ja schon geschrieben, dass 97 Prozent der Thessaloniker Juden ermordet wurden. Die Nazis hatten sie ab 1942 zur Zwangsarbeit verpflichtet, bevor sie sie in Konzentrationslager brachten, wo etwa 90 Prozent von ihnen direkt nach der Ankunft getötet wurden.

Abgesehen davon hatten sich noch verschiedene Ausstellungsstücke zu den Feiertagen und zum Zionismus, und ein bisschen was zu den reicheren Juden Thessalonikis, die einen wichtigen Teil der örtlichen Wirtschaft ausmachten. Das war's dann aber auch. Ich muss sagen, dass ich sehr enttäuschend war von dem Museum. Nicht nur, dass ich nach einer halben Stunde alles gesehen hatten, nein, es war auch so lieblos. Ich meine, eine Timeline? Geht's noch einfallsloser? Bei so einer großen jüdische Gemeinde muss es doch ein bisschen mehr zu erzählen und zu zeigen geben. Das war für mich einer der Hauptgründe gewesen, warum ich nach Thessaloniki gekommen war, weil ich mehr über die jüdische Geschichte der Stadt erfahren wollte. Nach dem Besuch fühlte ich mich jedoch genau so schlau, oder eher dumm, wie zuvor. Außerdem würde es dem Personal sicher nicht schaden, ein wenig freundlicher zu sein.

Anschließend ging ich zur Hafengegend, die sie ganz hübsch renoviert haben und die jetzt mehrere Museen und Cafés beheimatet. Der Nachteil war, dass es zwar viele Sitzplätze gab, diese jedoch zumindest in der Mittagszeit alle in der prallen Sonne lagen. Ich fand einen Sitzblock, der sich immerhin teilweise unter einem Bäumchen befand, doch kaum dass ich mich dort niedergelassen hatte, machte sich eine deutsche Schulklasse neben mir breit. Ich verspeiste schnell ein Mini-Schokocroissant, bevor ich mich dann auf zum Museum machte. Als ich aufstand, hörte ich einen der Jungen zu seinem Kumpel sagen: "Na toll, jetzt hast du die Frau verscheucht." Hm. Hmm.


Eigentlich hatte ich das Fotografie-Museum besuchen wollen, doch dann sah ich direkt daneben ein Filmmuseum, das in meinem Reiseführer gar nicht erwähnt worden war. Da ich schon einige Fotoausstellungen gesehen hatte, schaute ich mir dann doch lieber das Filmmuseum an, denn ich muss zugeben, dass ich überhaupt nichts über den griechischen Film wusste. Ich kann mich auch nicht erinnern, schon einmal einen griechischen Film gesehen zu haben, nicht mal Alexis Sorbas. Der Herr am Eingang hieß mich gleich willkommen und das Ticket kostete nur zwei Euro, was mich augenblicklich aufheiterte.

Die Ausstellung war in verschiedene Räume aufgeteilt. Jeder zeigte Ausstellungsstücke aus einer bestimmten Periode des griechischen Films, sowie einen kleinen Film. Der Erzähler all dieser Filme war ein Junge namens Taksis, der 1896 geboren wurde aber die ganze Ausstellung hindurch seine Kinderstimme behielt. Er begann mit den Filmen der Gebrüder Luminière, bevor er sich dem griechischen Stummfilm zuwandte, der stark von Buster Keaton und Charlie Chaplin beeinflusst war. Zunächst wurden vor allem die griechischen Dramen verfilmt, aber nach und nach gab es immer mehr originale Drehbücher. Während des Zweiten Weltkriegs wurden verständlicherweise so gut wie gar keine Filme gedreht; danach orientierte sich das griechische Kino stark an der französischen Nouvelle Vague, auch wenn immer noch die alten Dramen verfilmt wurden. Ab den Achtziger Jahren nahm die Zahl der Kinogänger wegen des Fernsehens stark ab, dennoch wurden noch verhältnismäßig viele Arthouse-Filme produziert. Bei dem letzten Raum handelte es sich passenderweise um ein Kino. Sie zeigten einen 3D-Film, in dem Taksis die Filmproduktion erklärt in dem er vorgibt, ein Film zu sein, der darauf wartet, geboren zu werden. Das war ganz interessant, allerdings fand ich das 3D etwas anstrengend.

Ich war wirklich froh, dass ich mir das Filmmuseum ausgesucht hatte, denn es gab nicht nur viel zu sehen, es war auch alles sehr interessant. Endlich! Was mir besonders gefiel waren die vielen Filmausschnitte. Da war doch eine ganze Reihe Filme dabei, die sehr sehenswert wirkten (auch wenn ich mir die Namen nicht merken konnte). Das griechische Kino scheint auf jeden Fall eine Entdeckungsreise wert.

Als ich das kinodunkle Museum verließ, war ich erstmal für eine Minute blind, da die Sonne immer noch vom Himmel brannte. Ich ging die Promenade entlang zum Weißen Turm. Darin befindet sich ein Museum über die Stadt selbst, das ich mir ansehen wollte. Bis zum letzten Jahr war Eintritt wohl umsonst, aber mittlerweile nehmen sie drei Euro, was aber immer noch ein guter Preis ist. Da die Ausstellung in Griechisch ist, musste ich wohl oder übel auf einen Audioguide zurückgreifen.


Der Weiße Turm stammt aus der osmanischen Zeit und ist der Ausbau einer byzantinischen Festung. Er war ein berüchtigstes Gefängnis, in dem auch Massenexekutionen stattfanden. Als die Griechen die Stadt 1913 annektierten strichen sie den Turm weiß an, um symbolisch die blutige Vergangenheit zu übertünchen, aber mittlerweile ist von der Farbe nichts mehr zu sehen. Die Ausstellung war in mehrere Themen gegliedert, die je ein Stockwerk beanspruchten. Statt der übliche Infotafeln gab es Bildschirme, die einen interessanten Kontrast zu dem jahrhundertealten Gemäuer bildeten. Zunächst ging es um die Struktur der Zeit während der osmanischen Herrschaft von 1430 bis 1913, in der Christen, Muslime und Juden wie erwähnt in unterschiedlichen Vierteln lebten. Vielen Bauwerke wie zum Beispiel das sogenannte "Goldene Tor" existieren heute nicht mehr und viele Kirchen gibt es heutzutage überhaupt nur noch, weil die Osmanen sie in Moscheen umwandelten.

Weitere Themen waren "glimpses of history" (die Entwicklung des Hafens, der Bevölkerungs-austausch zwischen Griechenland und der Türkei, das große Feuer, die Shoah...), Handel und Kultur. Das war alles sehr interessant, aber es waren einfach soooo viele Fakten, die der Guide von sich gab, dass es mir völlig unmöglich war, sie alle zu behalten. Es war auch nicht so einfach, sich auf die monotone Stimme zu konzentrieren, während sich die anderen Besucher unterhielten. Meinen rauchenden Schädel konnte ich auf dem Dach abkühlen, von dem man einen tollen Blick über die Umgebung hatte:


Zum Schluss schaute ich noch in einem kleinen Laden in der Filipappou vorbei, in dem sie sehr schöne, handgemachte Sachen hatten. Ich kaufte mir schließlich eine Tragetasche, da sie - Überraschung, Überraschung - mit Eulen bedruckt war. Der Rest des Tages war ruhig, da alle Leute, mit denen ich in den Tagen zuvor zusammen gesessen hatte, abgereist waren. Ich teilte das Zimmer unter anderem mit zwei jungen Brasilianern, die wohl hauptsächlich am Partymachen interessiert waren - zumindest fragten sie mich (ausgerechnet!), wo man am besten hingehen kann. Der eine von ihnen, Fernando, bestand zudem darauf, dass ich im genau sage, wo ich herkomme. Erwartungsgemäß sagte ihm der Ort nichts, sodass er fragte: "Does it have a football team?" "Yes, but they're not very good", meinte ich. "Oh."

So weit, so gut. Beim nächsten Mal dann der Abschluss meiner Odyssee.

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