September Review

 

Manchmal habe ich den Eindruck, dass ungefähr die Hälfte aller Alben im April oder September erscheint, während in den anderen Monaten mal mehr und mal weniger los ist. Insbesondere der September 2012 wartete mit einer Sintflut interessanter Neuerschei-nungen auf, sodass es völlig unmöglich ist, alle zu hören. Über die tollen neuen Alben von David Wax Museum und Jason Molina hatte ich ja schon geschrieben, aber es gibt noch zehn weitere, die ich euch kurz vorstellen möchte.


Bob Dylan - Tempest


Es gibt keinen Musiker, lebendig oder tot, den ich mehr verehre als Bob Dylan. Als ich gehört habe, dass er im reifen Alter von 71 Jahren noch einmal ein Album veröffentlicht, war ich natürlich völlig aus dem Häuschen, zumal sein letztes reguläres Werk Together Through Life auch schon dreieinhalb Jahre alt ist. Vor lauter Aufregung habe ich mir vorab schon einmal das Video von "Duquesne Whistle" angesehen, was dazu geführt hat, dass ich eine ganze Weile lang nichts anderes hören konnte, weil mich der Song so begeistert hat. Irgendwann drang ich dann aber doch zu den anderen Titeln vor. Tempest passt recht gut zu den anderen Alben, sie seit 1997 erschienen sind: Auch hier lässt sich der Meister hauptsächlich von der Musik der 30er-, 40er- und 50er-Jahre inspirieren. Aber Bob Dylan wäre nicht Bob Dylan, wenn er nicht auch wieder für einige Überraschungen gut wäre. So handelt er Titelsong ausgerechnet vom Untergang der Titanic, einem Thema, dass in diesem Jahr nun wahrlich nicht zu kurz gekommen ist. Nun gibt also auch His Bobness seinen Senf dazu und zwar in Form einer fast 14-minütigen klassischen Folkballade. Die wahren Höhepunkte des Albums sind für mich neben "Duquesne Whistle" jedoch das von Rachsucht geprägte "Pay in Blood" und "Roll On John", eine Hommage an John Lennon. Dylan selbst hat übrigens Vermutungen, dass es sich um seine letzte LP handeln könnte, heftig dementiert. In Anbetracht seines herausragenden Spätwerks wäre es auch zu schade, wenn Tempest sein letztes Album wäre. Roll on, Bob.


Two Gallants - The Bloom & The Blight


Schwierig. Nach What the Toll Tells hielt ich Two Gallants für eine der größten Bands überhaupt, doch dann kam ein selbstbetiteltes Album, das mir schon nicht sooo gut gefiel, und eine jahrelange Pause. Als sie dann endlich wieder live zu sehen waren, hatte sich ihr Sound merklich verändert; er war härter, grungiger. Two Gallants hatten ja schon immer ein Tendenz in Richtung Punk und Garage Rock, doch bei ihren neuen Songs war mir das zuviel des Guten, zumal die Gitarre mitunter so laut war, dass der Text völlig unterge-gangen ist. Von daher erwartete ich nicht viel von The Bloom & The Blight, ihrem ersten Album seit fünf Jahren. Mittlerweile muss ich sagen, es gefällt mir besser, als ich zunächst gedacht habe. Natürlich mag ich die ruhigeren Songs wie "Broken Eyes" am liebsten, aber auch die lauteren Sachen sind nicht übel, insbesondere "Halcyon Days" und "My Love Won't Wait". Nichtsdestotrotz halte ich ihre ersten beiden Alben für um Längen besser.


Patterson Hood - Heat Lightning Rumbles in the Distance


Patterson Hood ist in erster Linie als Sänger und Gitarrist der Drive-by Truckers bekannt, doch er hat auch einige sehr hörenswerte Soloscheiben aufgenommen. Die Anfänge seines neuen Albums reichen viele Jahre zurück: Nach dem Ende seiner ersten Ehe begann Hood ein Buch zu schreiben, das er jedoch nie vollendete. Aus diesen Texten wurde stattdessen Heat Lightning Rumbles in the Distance. Das Werk ist wesentlich ruhiger und reduzierter als seine Alben mit den Drive-by Truckers und wahrscheinlich trauriger und ernster als alles, was er zuvor aufgenommen hat. Aber vielleicht weil Heat in einer dunklen Stunde geboren wurde, ist es so ein großartiges Album. Die Songs handeln von Verlust und Trennung, dabei sind sie mal trotzig, mal resigniert, aber immer berührend, allen voran "After the Damage" und "Come Back Little Star", das dem verstorbenen Vic Chesnutt gewidmet ist. Ein durchgängig hervorragendes Album.


The Avett Brothers - Carpenter


Auf das neue Album der Avett Brothers war ich sehr gespannt, da der Vorgänger I and Love and You zwar sehr schöne Songs zu bieten hatte, aber hoffnunglos überproduziert war. Als ich las, dass sie sich für Carpenter leider wieder mit Rick Rubin zusammengetan haben, war ich enttäuscht, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Tatsächlich fängt das Album mit "The Once and Future Carpenter" sehr stark an. Dabei handelt es sich um eine Folkballade, die auch aus den 60ern oder 70ern stammen könnte und von einem herumstreifenden Dichter erzählt. Danach ebbt das Niveau leider etwas ab, bis hin zum Totalausfall "Paul Newman vs. The Demons", einer üblen, billigen Rocknummer. Am besten sind die Avett Brothers immer noch bei den folkigeren Songs wie "Through My Prayers" oder "A Fathers First Spring" (mit der schönen Zeile "I have been homesick for you since we've met"). Carpenter ist ein ordentliches Album, doch für meinen Geschmack zu sehr auf Radiotauglichkeit getrimmt, ohne große Momente wie den Bluegrass-Jam am Ende von "Laundry Room". Ich wünschte, sie würden endlich Rick Rubin loswerden und sich wieder mehr auf ihre Wurzeln konzentrieren, denn sie haben es überhaupt nicht nötig, so dick aufzutragen.


Aimee Mann - Charmer


Es würde wohl das Internet sprengen, wenn ich erzählen würde, wieviel Aimee Mann mir bedeutet. Sie ist auf jeden Fall meine Lieblingsmusikerin und Bachelor No. 2 ist wahrscheinlich mein meist gespieltes Album überhaupt. Dementsprechend habe ich dem Erscheinen von Charmer entgegengefiebert wie sonst nur Tempest. Das Album handelt von Menschen, die andere mit ihrem Charme in den Bann ziehen, aber in Wahrheit narzisstisch und unehrlich sind. Das ist kein neues Motiv in Aimees Werk, ich würde sogar sagen, es zieht sich durch ihre Alben wie ein roter Faden, man nehme nur mal Songs wie "It Takes All Kinds" oder "Humpty Dumpty". Es passt ganz gut, dass Aimee sich für die Songs am Pop der 60er und 70er orientiert hat, denn die Melodien klingen verführerisch, aber es steckt leider relativ wenig dahinter. Nicht, dass das Album schlecht wäre, aber es fehlen wirklich herausragende Songs, was auch daran liegt, dass Aimee lyrisch nicht so auf der Höhe ist wie sonst. Ihr fehlt einfach der Biss früherer Stücke wie "Nothing Is Good Enough", oder "Red Vines" oder oder... Charmer fühlt sich eher wie ein Übergangsalbum an, was schon fast eine Tragödie ist angesichts der Tatsache, dass meist drei, vier Jahre zwischen ihren Werken liegen. Da muss ich wohl zum zweimillionsten Mal Bachelor No. 2 auflegen.


Black Prairie - A Tear in the Eye Is a Wound in the Heart


Black Prairie ist eine Band aus Portland, an der unter anderem drei Musiker der Decemberists beteiligt sind. Neben den ganzen "großen" Veröffentlichungen wäre mir A Tear in the Eye... fast entgegangen, was sehr schade gewesen wäre. Für mich ist es die Überraschung des Monats. Das Album sprüht nur so vor Experimentier- und Spielfreude, dass es eine Wonne ist, ihnen zuzuhören. Es gibt kaum eine Musikrichtung, die Black Prairie nicht beackern, sei es Bluesgrass, Country, Pop, Zydeco, Folk, oder osteuropäisch angehauchte Musik. Und das alles passt auch noch hervorragend zusammen. Meine Favoriten sind "For the Love of John Hartford", "Nowhere, Massachusetts" und "Richard Manuel", wobei eigentlich alle Songs erste Sahne sind. Wer traditionelle, handgemachte Musik mag, ist hier genau richtig.


Grizzly Bear - Shields


Obwohl ihr Album Veckatimest von allen Seiten in den Himmel gelobt wurde, sind Grizzly Bear bisher irgendwie an mir vorbeigegangen. Nachdem aber auch Shields die Kritiker begeisterte, dachte ich mir, dass dies vielleicht der passende Moment ist, sich mit den Herren aus Brooklyn näher zu beschäftigen. Shields ist ein komplexes Album das absolut nicht zum Nebenbeihören geeignet ist, sondern volle Aufmerksamkeit fordert. Es steckt voller origineller Ideen, die dafür sorgen, dass es wahrscheinlich auch nach dem hundersten Durchgang noch frisch klingt. Es ist ziemlich schwer, Shields zu kategorisieren, aber ich würde mal vermuten, wer The Whole Love von Wilco oder Swing Lo Magellan von den Dirty Projectors mag auch hiermit einiges anfangen kann. Das einzige, was man an dem Album kritisieren kann ist, dass es vielleicht eher was für den Kopf als fürs Herz ist. Andererseits ist Shields ein ziemlich Grower, von daher kann ich mir schon vorstellen, dass sich noch so etwas wie Liebe bei mir einstellt. Einen neuen Fan haben Grizzly Bear auf jeden Fall.


Woods - Bend Beyond



Bend Beyond von Woods ist noch so ein Album, auf dass ich nur zufällig aufmerksam geworden bin. Ich erinnerte mich vage an ein oder zwei Songs von ihnen, die ich nicht übel fand, sodass ich mir auch Bend Beyond anhörte. Das Album ist geradezu charmant altmodisch. Die Songs bewegen sich zwischem sonnigen 60er-Jahre-Pop und psyche-delischen Rockjams im Stil der Siebziger, alle getragen von Jeremy Earls Falsettgesang. Wen die Retrowelle der letzten Jahre nervt wird hiermit wohl nicht so viel anfangen können, für alle anderen ist Bend Beyond ein echtes Hörvergnügen. Sehr empfeh-lenswert.


Ryan Bingham - Tomorrowland


Auf Ryan Binghams neues Werk habe ich mich ebenfalls sehr gefreut, da der Vorgänger Junky Star eins meiner liebsten Alben des vorletzten Jahres war. Leider muss ich sagen, dass ich von Tomorrowland ziemlich enttäuscht bin. Bingham hat den spröden Alt.Country von Junky Star gegen bombastischen Rock eingetauscht. Die Gitarren heulen, das Schlagzeug kracht und dann kommt auch eine Armada an Streichern dazu. Geht es nicht eine Nummer kleiner? Nur seine raue Stimme sorgt noch für ein paar Ecken und Kanten, der Rest ist weichgepültes Rockeinerlei. Ist das noch der Mann, der den Oscar für "The Weary Kind" bekommen hat? Einzig "No Help from God" erinnert noch vage an vergangene Großtaten wie "Hallelujah" oder "All Choked Up Again". Wer noch nicht mit Ryan Bingham vertraut ist, dem sage ich: Vergesst Tomorrowland, holt euch Junky Star.


Mumford & Sons - Babel


Ja, Mumford & Sons. Ich mochte diese Band mal sehr gerne, doch dann wurde sie plötzlich immens populär und Sigh No More lief an jeder Ecke, sodass ich es bald nicht mehr hören konnte. Trozdem war ich einigermaßen gespannt, was der Nachfolger Babel zu bieten hat. Um es kurz zu machen: Ziemlich genau das Gleiche wie Sigh No More. Mumford & Sons verlassen sich auf ihr altes Erfolgsrezept und präsentieren schmissigen Bluegrass. Das ist zwar alles ganz nett, aber auch ein bisschen langweilig. Man muss ihnen sicher dankbar sein, dass sie dem Bluegrass zu einem ungeahnten Popularitätsschub verholfen haben, aber es wäre auch schön, wenn sie irgendwann mal ihre Komfortzone verlassen würden. Vielleicht beim nächsten Album?


Weitere interessant klingende Alben, die ich (noch) nicht gehört habe (Ergänzungen sind willkommen):
Will Johnson - Scorpion
The XX - Coexist
Dum Dum Girls - End of Daze EP
Murder by Death - Bitter Drink Bitter Moon
Sera Cahoone - Deer Creek Canyon
Dinosaur Jr. - I Bet on Sky
Calexico - Algiers
David Byrne & St. Vincent - Love This Giant
Van Morrison - Born to Sing: No Plan B
Cat Power - Sun
Jens Lekman - I Know What Love Isn't
John Hiatt - Mystic Pinball

Kommentare

  1. Oh Dannie, Dein Blog erspart einem jedes Feuilleton einer Zeitung. Hier bekommt man auch alles geboten, was dort steht. Liebe Grüße!

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