Project Ireland: The Twelfth


Was die Lautstärke betrifft, so könnte der Unterschied zwischen Newcastle und Belfast kaum größer sein. Während ich in Newcastle fast allein auf weiter Flur war, war in Belfast wieder kaum an Schlaf zu denken. Das lag allerdings weniger am Verkehr als an drei partygeilen Schottinnen, die bei ihrer späten Rückkehr überhaupt nicht daran dachten, dass Schnattern zugunsten ihrer schlafenden Zimmergenossen einzustellen. Und wenn sie dann mal schliefen, dann schnarchten sie auch noch.

Ich war also nicht gerade in bester Laune an meinem ersten Morgen. Zudem hatte ich immer noch nicht wirklich „ausgearbeitet“, was ich wann an meinen letzten Tagen mache. In Belfast selbst wollte ich noch das Rathaus, das Titanicmuseum und Stormont, das Parlament, besichtigen; außerdem wollte ich noch mindestens einer Trad Session im Pub beiwohnen. Außerdem wollte ich noch Ausflüge nach Carrickfergus und Armagh unternehmen. Nun war es so, dass mein erster kompletter Tag zufällig der 12. Juli war. Das ist nicht bloß ein Feiertag, das ist der Tag an dem die Logen des Orange Order durchs Land ziehen um an die Glorious Revolution von 1688 und die Schlacht an der Boyne von 1690 zu erinnern. Das ist der Tag, an dem es am ehesten zwischen Republikanern und Loyalisten kracht.

Gut, in den letzten Jahren war es am 12. Juli verhältnismäßig ruhig, aber der Lonely Planet empfahl, an diesem Tag zumindest Belfast zu meiden und viele Hostels nehmen über diesen Tag auch keine Gäste von den Britischen Inseln auf aus Angst vor Krawall. In Belfast selbst versucht man neuerdings dieser eher unseligen Tradition ein positives Image zu verpassen; so fand neben der traditionellen Parade am Rathaus ein Orangefest mit familienfreundlicher Unterhaltung statt.

Ich hatte nicht geplant, am 12. Juli in Belfast zu sein, das war eher Zufall, weil am Montag ein günstiger Flug zurückging und ich halt vorher noch ein paar Tage in der Stadt haben wollte. Nun, da ich dort war, war ich aber schon ziemlich neugierig. Da der Lonely Planet schrieb, dass viele Einheimische während dieser Zeit die Stadt verlassen, dachte ich, dass nur ein paar Freaks die Straßen entlang marschieren. Ich wollte mir diese also kurz ansehen und dann mit dem Zug nach Carrickfergus fahren, da das Castle als eine der wenigen Sehenswürdigkeiten an diesem Tag geöffnet hat.

Es kam anders. Als ich das Hostel verließ sah ich, dass nicht nur ein paar Dutzend, sondern tausende Menschen am Straßenrand standen und auf die Parade warteten. Die ganze Straße vom Hostel bis zum Zentrum war vollgepackt mit Menschen. Viele von ihnen trugen dazu noch orange oder blau-rot-weiße Kleidung, wenn sie sich nicht gleich den Union Jack umgehängt hatten, während die Verkäufer noch mehr Diamond Jubilee-Merchandise unter die Leute brachten. Viele hatten schon ordentlich einen im Tee, und das obwohl es gerade mal zehn Uhr war und die meisten ihre Kinder dabei hatten.


Ich bahnte mir meinen Weg zum Rathaus, wo die Parade offiziell mit einer Zeremonie eröffnet wurde. Obwohl ziemlich viele Medienvertreter dort waren, war es kein Problem, nah heranzukommen. Drei alte Männer mit orangefarbener Schärpe legten Kränze nieder und faselten davon, was für ein großartiges Opfer es doch sei, für sein Land im Krieg zu fallen. Ich hegte ernsthafte Zweifel daran, dass einer von ihnen schon einmal Soldat war. Interessant war auch, dass die Gruppe, die die Parade anführte, fast ausschließlich aus Männern bestand. Ihnen folgte eine Kapelle, die wiederum von einem Mann angeführt wurde, der eine Puschelhaube wie die Wächter am Buckingham Palace trug. Ich ging mit ihnen zurück zum Anfang der University Road, wo sich das Hostel befand und sie auf die Lisburn Road abbogen. Erst dort sah ich, dass sich hinter ihnen eine schier endlose Schlange weiterer Marschkapellen befand.




Ich fuhr an diesem Tag dann nicht mehr nach Carrickfergus. Obwohl ich in den Monaten zuvor arbeitsbedingt schon diverse Marschparaden gesehen hatte, konnte ich meinen Blick einfach nicht von dem Spektakel abwenden. Die Kapellen kamen aus ganz Nordirland, einige sogar aus Schottland. Sie trugen Banner, die in erster Linie William of Orange aber auch andere bedeutsame Momente britisch-protestantischer Geschichte zeigten, wie die Unterzeichnung des Ulster Covenant (dazu gleich mehr). Ich war überrascht, wie viele Kinder mit marschierten, und auch, dass es mitunter reine Frauenkapellen gab, ich dachte, der Zwölfte würde vor allem von alten Männern begangen. Es war schon eine Reihe Freaks dabei, etwa zwei Frauen im Union-Jack-Dress, die mit Vorliebe unter die Kilts der Männer spähten sowie ein Mann, der alleine auf einem Truck stand und der Menge zuwinkte.


Gegen zwölf war mein Kameraakku dann leer und ich aß erst einmal was, während er lud. Eine Stunde später ging ich wieder raus, aber nach ein paar Minuten war die Parade plötzlich vorbei. „They’re coming back in the afternoon“, meinte der Amerikaner und ging zurück an die Arbeit. Ich entschied mich dann, Stormont zu besuchen, auch wenn es an diesem Tag geschlossen hatte. Vorher machte ich aber noch einen Abstecher zum Orangefest am Rathaus, wo gerade ein Mann oder eine Frau in etwas futuristischer Aufmachung auftraten. Der Mann hatte eine Friseurhaube dabei, die er über die Köpfe der zuschauenden Kinder hielt, wobei jedes Mal ein neues Geräusch ertönte, wie Vogelgezwitscher oder das Rauschen des Windes. Das war ganz lustig.


Stormont liegt ungefähr acht Kilometer östlich vom Stadtzentrum entfernt, sodass ich den Bus nehmen wollte. Am Donegall Square am Rathaus war es jedoch so voll, dass ich mich entschloss, den Bus von der Queen’s Bridge aus zu nehmen. Dummerweise war mir nie aufgefallen, dass diese eine Einbahnstraße ist, wobei der Verkehr aus East Belfast kommt. Also ging ich noch weiter bis zur Newtownards Road. Der Fahrplan gab keinerlei Auskunft darüber, wie die Busse an Feiertage fuhren, sodass ich einfach wartete. Als aber nach einer Viertelstunde immer noch kein Bus Richtung Stormont vorbeigekommen war, ging ich zur Albertbridge Road, da dort theoretisch noch eine andere Linie vorbeifahren sollte. Aber auch dort wartete ich vergebens. Ich ging noch ein Stückchen weiter zur Ecke Connswater, wo ich dann einsah, dass an diesem Tag wohl kein Bus direkt zum Parlamentsgebäude fuhr.

Ich nahm dann eine andere Linie, die an einer anderen Seite des Stormont Estate hielt. Sie war gar nicht so weit vom Parlament entfernt, wie ich gedacht hatte, sondern hielt am südlichen Ende des Parks, der das Gebäude umgibt. Der Anblick war ganz beeindruckend. Eine breite Straße, die Prince of Wales Avenue, führt hoch zum Parlamentsgebäude. Sie ist ungefähr eine Meile lang, wirkt aufgrund einer optischen Täuschung aber kürzer. Vielleicht zweihundert Meter vor dem Gebäude befindet sich eine Statue von Edward Carson, dem ersten Mann, der vor ziemlich genau 100 Jahren den Ulster Covenant unterschrieben hat. Dies war eine Art Petition gegen die Home Rule Bills, die Irland Selbstverwaltung zugestanden hätten. Unter Loyalisten hält sich das Gerücht, dass einige der fast 500.000 Unterzeichner mit ihrem eigenen Blut unterschrieben hätten, was jedoch nicht stimmt.


Das Parlamentsgebäude war natürlich geschlossen, was sehr schade war. Die Tour durch das australische Parlament war eins meiner Highlights in Canberra gewesen und in Belfast hätte ich gerne ähnliches gemacht. In Stormont bieten sie jedoch vergleichsweise wenige Führungen an, da muss man schon genau drauf achten, wann diese stattfinden. Es war aber nicht so tragisch, da der umliegende Park wirklich sehr schön ist. Im Ostteil etwa befindet sich eine Statue namens Reconciliation, die ich mir schon länger hatte ansehen wollen. Sie zeigte einen Mann und eine Frau, die sich kniend umarmen. Ich dachte immer, das Werk beziehe sich auf die Troubles, aber da Jerusalem, Berlin, Hiroshima und Coventry auf den Steinen standen, geht es wohl eher um den Zweiten Weltkrieg bzw. “Bruderkriege“ an sich.


Im Westteil befindet sich Stormont Castle, in dem die Northern Ireland Executive untergebracht ist. Ich wollte gerne ein Foto davon machen, aber es war alles abgesperrt, sodass ich nur einen winzigen Teil des Schlosses sehen konnte. Da es einigermaßen sonnig war, setzte ich mich dann einfach auf eine Bank und las im Dorian Gray oder schaute mir die vielen, vielen Hunde an. Stormont ist wirklich eine der schönsten Ecken von Belfast. Da es so hügelig ist, hat man übrigens auch einen ganz guten Ausblick auf East Belfast, inklusive Samson und Goliath.


Am späten Nachmittag fuhr ich wieder zurück in die Innenstadt. Dort ging es mittlerweile noch weniger gesittet zu als am Vormittag. Es war nicht mehr ganz so viel los, aber die, die noch da waren, waren vollends betrunken. Außerdem lag überall tonnenweise Müll herum. Immerhin war es im Zentrum friedlich gewesen, im Gegensatz zu Ardoyne in Nord-Belfast, wo sich beide Seiten eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten.

Das war schon ein seltsamer Tag gewesen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mit diesen sektiererischen Aktivitäten nichts anfangen kann und es auch ein bisschen befremdlich finde, den Sieg in einer Schlacht zu feiern, die über 300 Jahre zurück liegt. Nun ja, vielleicht wird es irgendwann einmal einen 12. Juli ohne Provokationen und Gewalt geben, das würde ich Nordirland wirklich wünschen. Weitere Eigentümlichkeiten dann beim nächsten Mal.

Kommentare

  1. Ach diese Medienvertreter aber auch, was die nur immer alle da bei so Veranstaltungen wollen!!! Dannie, ich mußte doch lachen! Aber daß so ein historisches Ereignis gerade noch von jüngeren Leuten so gefeiert wird, ist befremdlich - gibt es bei uns zum Glück nicht. Selbst Ereigneisse, die "nur 100 Jahre" zurückliegen, sind doch heute relativ bedeutungslos. Liebe Grüße Rudi!!

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